Stephan Eicher präsentierte sein jüngstes Album «L’Envolée» im Stadtcasino. Seine Musikkarriere dauert mehr als 30 Jahre an – seine Live-Performance ist aber energetisch wie eh und je.
Der Musiksaal steht im Dunkeln. Beleuchtet ist nur ein auf einem goldenen Podest erhobener Plattenspieler, dessen Vinylteller den gleichen, sphärischen Gitarrenton wiederholt im Vierteltakt spielt. Bevor die Kuriosität ihren Reiz verlieren kann, betritt Stephan Eicher die Bühne, um sich ans Klavier zu setzen und mit Flüstergesang die Begleitmelodie zu «La Relève» zu spielen, einem Chanson auf seinem neuen Album.
Meister der musikalischen Dramaturgie
Während die Musik sich mit jedem hinzukommenden Instrument intensiviert, wird die Beleuchtung heller, sodass eine zehn Meter hohe Wand aus farbigen Stereoboxen hinter den Musikern erkennbar wird. Schliesslich münden vier rhythmisch exakt synchronisierte Strobo-Impulse in den Endklimax des Lieds, sodass sich der Zuschauer bereits nach dem ersten Titel im positiven Sinn überfordert sieht. Eicher beweist sich schon zu Beginn als Meister der musikalischen Dramaturgie.
Besonderes Lob gebührt der multiinstrumental talentierten Begleitband. Neben elektrischen Gitarren und Schlagzeugen waren auch Kontrabass und Flügelhorn zu hören, welche – auch wenn dies letztlich auf Eichers Arrangement zurückzuführen ist – mit unheimlicher Virtuosität gespielt wurden. Mit raffinierten Soli, musikalischen Dialogen mit dem Gitarristen und gewitztem Charme wird der Violonist nach kurzer Zeit zum Publikumsliebling.
Die Besucher des beinahe ausverkauften Stadtcasinos lassen sich zwischen den Liedern ebenfalls gerne von Eichers humorvollen Anekdoten zu Basel auflockern. So erwähnt er etwa, dass ihm nachmittags die Tränen in die Augen traten, als er durch die Altstadt spazierte. Bis ihm durch den Kopf ging, dass die tränenden Augen womöglich auf die Chemieschlote zurückzuführen seien.
Wärme und Dringlichkeit
Starke Bühnenpräsenz spürt man – wie unter vielen Stücken – beim neuen Titel «Tous les bars». Stephan Eicher spricht seinen Liedtext zu Beginn acapella, während eine einzige, warmleuchtende Glühbirne über seinem Kopf schwebt. Einer nach dem anderen tun es ihm seine Bandmitglieder gleich, sodass man plötzlich von der düsteren Aura einer Sprechgesang-Hydra umgeben wird, über deren fünf Köpfe inzwischen je eine Glühbirne strahlt. «Les hommes, les hommes, les hommes se pressent. Non, elle n’a pas besoin d’ami. Elle ne veut pas de compagnie. Elle reste seule dans son coin avec son verre et son chagrin qu’on la laisse!», ruft der Sprechchor, bevor die Musiker die hängenden Lampen von sich stossen, sodass diese in der Luft schwingen, während ein aufdrängendes Gefühl des Chaos vom einsetzenden Gitarrenriff untermalt wird.
Als Zugabe gibts «Hemmige»
«Wenn ich einen dicken Fehler spiele, muss ich nochmals. Und sonst gehe ich in mein Gemach», kündigt Eicher sein letztes Lied an. Trotz perfekter Darbietung kann er sich dem Zugabeobligat nicht entziehen. Er lässt sich vom Schreien, Pfeifen, Klatschen und Fussstampfen des Publikums zurück auf die Bühne locken, um fünf weitere Lieder – darunter auch Altbekannte wie sein Mani-Matter-Cover «Hemmige» – zu spielen.
Als Krönung eines wunderbaren Konzerts wechseln der Schlagzeuger zur Trommel, der Geigenspieler zur Trompete, der Bassist zum Flügelhorn und der Gitarrist zur Klarinette und folgen Stephan Eicher als Gitarre spielendem Umzugsführer durch das im Stehen klatschende Publikum, bis sie endgültig hinter dem Vorhang verschwinden.