Junge verschwindet, Mami verzweifelt, Monster verwüstet, Untergrundorganisation verwirrt: Der neuste Netflix-Streich «Stranger Things» ist Grusel auf höchstem Niveau und Serienhype der Stunde. Wieso eigentlich?
Das Rezept ist einfach: Man nimmt 1 Hype aus der nahen Vergangenheit, gibt ein paar frische Zutaten dazu, platziert ihn auf einem schicken Silbertablett und wärmt ordentlich auf. Bling! – und fertig ist ein neuer Hype, der eigentlich nichts anderes ist als ein frisierter Alt-Hype, oder im besten Fall ein frisierter Klassiker. In einigen Fällen geht das richtig in die Hose – zum Beispiel in die Rüeblihose – in anderen Fällen kommts aber gut. Richtig, richtig gut.
Wie zurzeit bei «Stranger Things»: Unser neustes Geschenk aus dem Hause Netflix, eine Serie, die so wohlig-gruslig ist, dass man in den seltenen Genuss dessen kommt, was Freud «Das Unheimliche» genannt hat: Ärgster Schrecken trifft auf angenehme Vertrautheit. Man versteckt sich angsterfüllt hinter dem Kissen und kuschelt sich gleichzeitig rein.
Woran das liegt? Nun, fürs Erste beherrscht «Stranger Things» das Hype-Rezept nahezu perfekt. Die Geschichte um den Jungen Will Byers, der auf dem Nachhauseweg von einem «Dungeons and Dragons»-Spiel bei seinem Kumpel im Wald verschwindet, ist jenen Horrorfilmen nachempfunden, vor denen wir früher auf dem Wohnzimmersofa gezittert haben. Der Wiedererkennungswert ist entsprechend hoch – und fängt bereits beim Serien-Plakat an:
(Bild: © Netflix)
Na, klingelts?
Dasselbe gilt für den grossartigen Intro-Track, der wie eine aufgefrischte John Carpenter-Halloween-Melodie daherkommt. «Stranger Things» kennt seine Referenzen und es kennt sie gut. Die Story spielt nicht nur in den Achtzigern – sie spielt in den Grusel- und Fantasyfilmen der Achtziger. Man begegnet geekigen Jungs, die ein Mädchen mit übernatürlichen Fähigkeiten finden, Untergrundorganisationen, die dubiose Experimente durchführen, Highschool-Kids, die sich zusammenraufen um ein grauenhaftes Monster zu finden und ein einsamer Ranger, der in die Unterwelt steigt und seine Ängste konfrontiert.
Hinzu kommt ein hochkarätiges Silbertablett: «Stranger Things» ist grandios gefilmt und stark besetzt. Winona Ryder macht sich hervorragend als verzweifelte Mutter, die per Lichterkette mit ihrem Sohn in der Unterwelt (or is he? – Einsatz Akte X-Soundtrack) kommuniziert.
Ebenso überzeugen die drei Jungs, die sich ihrer Nerd-Skills bedienen, um herauszufinden, wo ihr Freund steckt. Sie sind die eigentlichen Stars der Serie, und mit ihren Baseballcaps und Bananensattel-Fahrrädern bilden sie das Gerüst der Nostalgie-Sehnsucht, die sich mit «Stranger Things» unaufhörlich aufbaut. Kaputte Familien, unglückliche Liebesgeschichten, Tod und Grauen – und trotzdem würde man sich am liebsten in diese Serie hineinlegen, so vertraut fühlt sie sich an.
Wie kommt so viel Nostalgie bei jungen Leuten an?
Ob das auch für Menschen gilt, die nicht mit den Klassikern von John Carpenter, Steven Spielberg oder Ridley Scott aufgewachsen sind? Nachdem eine 16-jährige Bekannte «Stranger Things» gesehen hatte, meinte sie nach der ersten Folge: «Die sind ja genau so angezogen wie die Hipster an unserer Schule!» Wunderbar, dachte man da, der Nostalgie-Faktor funktioniert also auch wenn er gar nicht als solcher wahrgenommen wird. Für die einen Hype, für die anderen frisierter Klassiker.
Nur leider mochte der Funke dann doch nicht so richtig überspringen. Erst nervte sie sich ab dem «übertriebenen Monster», dann stellte sie die Logik der Geschichte infrage und kritisierte den Ausgang der Highschool-Romanze. Ihr Urteil zum Schluss: «Ganz ok für eine alte Serie. Aber heute würde man das wohl nicht mehr so drehen.»
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«Stranger Things», ab sofort auf Netflix.