Streit um die Medikamentenpreise

Die Diskussion entbrennt jedes Jahr aufs Neue: Sind die Medikamentenpreise zu hoch – und wenn ja, wie stark sollen sie reduziert werden? Die beiden Basel spielen darin eine eigenwillige Rolle.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Diskussion entbrennt jedes Jahr aufs Neue: Sind die Medikamentenpreise zu hoch – und wenn ja, wie stark sollen sie reduziert werden? Die beiden Basel spielen darin eine eigenwillige Rolle.

Medikamente sind in der Schweiz zu teuer. Die Preise müssen runter. Also verordnet der zuständige Bundesrat Alain Berset (SP) den Herstellern eine entsprechende Preissenkung. Es folgt der unvermeidliche Aufschrei, der immer ertönt, wenn im Gesundheitswesen irgendwer irgendwo irgendeine Veränderung an die Hand nimmt.

Die üblichen Player, allen voran der Verband der Pharmaunternehmen, malen den Untergang der Schweizer Pharmaindustrie an die Wand – oder sie prophezeien doch wenigstens deren unverzügliche Auswanderung in weniger wirtschaftsfeindliche Regionen dieser Erde. Oder zumindest den Rückgang von Forschung und Entwicklung am Standort Basel.
Sie erhalten in aller Regel Sukkurs von wirtschaftsfreundlichen bürgerlichen Politikern. In den Standortkantonen der Pharamindustrie sogar von sozialdemokratischen. Dazu gehören die Ständeräte der beiden Basler Halbkantone, Anita Fetz und Claude Janiak, sowie Regierungsrat Christoph Brutschin, Vorsteher des Wirtschaftsdepartements Basel-Stadt.

Auch bei den Gegnern das Übliche

Auf der Gegenseite finden sich ebenfalls die üblichen Kontrahenten: die Interessenvertreter der Bürger, denen die stetig steigenden Krankenkassenprämien langsam die Luft abschnüren – von der schweizerischen SP über den Preisüberwacher bis zu den Konsumentenschützern. Und dazu der Verband der Krankenkassen, die nur ungern den Schwarzen Peter für noch stärkere Prämienerhöhungen übernehmen. Wie dieses Spiel abläuft, konnte man in den letzten Tagen und Wochen den Medien entnehmen (die TagesWoche berichtete online laufend darüber).

Was dabei herauskommen wird, ist am ehesten ein Kompromiss: etwas moderatere Preissenkungen, als Alain Berset vorhatte, etwas weniger Sparmöglichkeiten für die Krankenkassen. Alle Beteiligten wahren das Gesicht – jeder hat nachgegeben, aber nicht vollständig. Die Medikamentenpreise werden zwar zurückgehen, aber immer noch deutlich höher liegen als im Ausland. Und der Normalbürger wird feststellen, dass deshalb seine Krankenkassenprämien nun doch ein wenig steiler ansteigen, als man es ihm versprochen hatte. Also business as usual.

Welche Differenz liegt drin?

Dabei ist der Fall eigentlich völlig klar. Medikamente sind in der Schweiz zu teuer. Zumindest kosten sie deutlich mehr als im benachbarten Ausland. Darüber besteht keine Meinungsverschiedenheit.

Das Problem ist nur: Wie gross ist der Unterschied und wie gross dürfte er sein? Im vergangenen Jahr betrug die Preisdifferenz zum Ausland für patentgeschützte Arzneimittel 19 Prozent. Gemessen wird dabei ein vergleichbarer Warenkorb in sechs vergleichbaren Ländern, umgerechnet wird mit dem durchschnittlichen Franken-Euro-Kurs des vergangenen Jahres, in diesem Fall 1.26 Franken. Hätte man vor sechs Jahren ebenfalls einen Euro-Kurs von 1.26 Franken in Rechnung gestellt, hätte die Preisdifferenz damals 36 Prozent betragen. Zum damaligen Wechselkurs (1.54 Franken) betrug sie 19 Prozent, genau so viel wie heute. Daraus kann man zwei diametral entgegengesetzte Schlüsse ziehen.

Erstens: Die Preisdifferenz bleibt gleich, egal, wie sich der Wechselkurs bewegt. Zweitens: Wäre der Wechselkurs heute gleich hoch wie vor sechs Jahren, wäre die Preisdifferenz verschwunden oder hätte sich sogar umgekehrt – das bedeutet: In der Zwischenzeit ist durchaus Bewegung in die Medikamentenpreise gekommen.

Interessant an der gegenwärtigen Debatte ist weniger, dass sie stattfindet. Verblüffend ist eher der Verlauf der Front: Die geht nämlich mitten durch die Sozialdemokratische Partei. Während die schweizerische Mutterpartei eindeutig hinter ihrem Bundesrat steht und das Lobbying der Pharmaindustrie als «unglaublich» und «dreist» bezeichnet, haben einige sozialdemokratische Politiker aus der Nordwestschweiz diesem angeblichen «Einschüchterungsversuch der Pharmalobby» offenbar Gehör geschenkt.

«Erpresserischer Charakter»

Einige, aber nicht alle. Susanne Leutenegger Oberholzer, Baselbieter SP-Nationalrätin, macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube: Der Drohung mit Stellenabbau als Folge verordneter Preissenkungen spricht sie «erpresserischen Charakter» zu.

Dass die Pharmaindustrie sich gegen Versuche wehrt, in ihre Preispolitik einzugreifen, ist verständlich. Schliesslich trägt die Hochpreispolitik nicht nur dazu bei, dass man Forschung und Entwicklung in der Region Basel ausreichend finanzieren kann. Die überhöhten Preise sorgen auch für die Gewinne, welche die überdurchschnittlichen Managerlöhne und die üppigen Saläre auf der Topetage sichern. Das Jammern über wirtschaftlichen Druck, der aus verordneten Preissenkungen erwachsen könnte, findet «auf sehr hohem Niveau» statt, wie die SP Schweiz festhält.

Transparent und überprüfbar

Wichtig, sagt Susanne Leutenegger Oberholzer, sollten für Politiker immer gesamtwirtschaftliche Überlegungen sein, auch dann, wenn es um regionale Anliegen geht. Wenn sich aus solchen Überlegungen Standortförderung für bestimmte Branchen aufdränge, dann könne man das durchaus machen, aber das müsse «transparent und überprüfbar» sein.

Die darin enthaltene Kritik richtet sie auch an ihre regionalen Parteifreunde: Die Senkung von überhöhten Medikamentenpreisen mit dem Argument zu bekämpfen, so etwas gefährde den Forschungsstandort und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Region Basel, ist gemäss Leutenegger Oberholzer unzulässig. Wenn der Forschungs-standort aber der finanziellen Förderung bedürfte, dann sollte das deutlich deklariert, beantragt, von den zuständigen Stellen geprüft, in einem ordentlichen politischen Prozess beschlossen, nach ganz klaren Kriterien umgesetzt und aus Steuergeldern finanziert werden – «transparent und überprüfbar» eben. Wahrscheinlich würde sich bei einer solchen Evaluation ohnehin herausstellen, dass der Pharmastandort Basel gar keiner speziellen Förderung bedarf.

Die überhöhten Preise irgendwie in die Gesundheitskosten und damit letzten Endes in die Krankenkassenprämien einfliessen zu lassen, ist für alle Beteiligten bequem: Der Pharmaspitze beschert das einen netten Extragewinn, die Politiker enthebt es der mühsamen Pflicht, allfällige Ausgaben vor ihren Wählern rechtfertigen zu müssen. Nur: Transparent ist das nicht, und bezahlen müssen es die Kunden respektive die Patienten.

Generika: Noch drastischer

Wer glaubt, die zunehmende Verwendung von billigeren Generika würde am Problem der überhöhten Medikamentenpreise irgendetwas ändern, täuscht sich gewaltig. Hier ist die Preisdifferenz zum Ausland gemäss der letzten Erhebung mehr als doppelt so hoch als bei den patentgeschützten Arzneimitteln, nämlich 45 Prozent.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

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