«Suffizienz» – ein Unwort mit politischer Sprengkraft

Die «Effizienz» ist der Darling von Unternehmern und Politikern. Effizienz tönt nach Wachstum, Innovation und Nachhaltigkeit. Doch damit Energieverbrauch, CO2-Emissionen und Abfall nicht ständig zunehmen, wäre auch «Suffizienz» nötig; also das Herunterfahren unseres Konsums.

Rauchende Schornsteine, wie hier im Stahlwerk bei Port Talbot (UK), symbolisieren nicht nur Wachstum, sondern auch dessen Preis. (Bild: Stephen Ellaway)

Die «Effizienz» ist der Darling von Unternehmern und Politikern. Effizienz tönt nach Wachstum, Innovation und Nachhaltigkeit. Doch damit Energieverbrauch, CO2-Emissionen und Abfall nicht ständig zunehmen, wäre auch «Suffizienz» nötig; also das Herunterfahren unseres Konsums.

Die Erleichterung in den Chefetagen von Grosskonzernen und unter Politikern war gross, als vergangenen September die «Global Commission on the Economy and Climate» ihr Thesenpapier «Better Growth, Better Climate» veröffentlichte. In einem Zehn-Punkte-Aktionsplan führte die Kommission vor, wie Wirtschaftswachstum und die Abwehr der globalen Erwärmung zusammengehen. Das Papier hat Gewicht, schliesslich steht dahinter niemand Geringeres als Lord Nicholas Stern, der ehemalige Weltbank-Chefökonom, der 2006 für die britische Regierung einen 650-seitigen Bericht zu den ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels vorlegte. 

Die Erleichterung war also gross, denn die Kernaussage von «Better Growth, Better Climate» lautete: Alle Länder, unabhängig vom Wohlstandsniveau, können langfristig wirtschaftlich wachsen und gleichzeitig das «gewaltige» Risiko des Klimawandels abwenden. Uffff, das ging ja noch mal gut.

Wachstumsfreundliche Männerrunde

Doch es gibt Spielverderber, die Stern und seinen Gefolgsleuten einen Strich durch ihre ökonomischen Berechnungen machen. Clive Spash zum Beispiel, ein Umweltökonom der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Kritik beginnt beim Interessenkonflikt des Autorenteams. Dieses besteht neben Stern aus sieben aktuellen Ministern und ehemaligen Staatsoberhäuptern, zwölf Bankern und Finanzfachleuten sowie Vertretern von Weltbank und Internationaler Energieagentur. Unterstützt wird es zudem von einer Beratungsgruppe bestehend aus neun Wirtschaftsprofessoren und sechs Finanzexperten (darunter lediglich zwei Frauen).

Mit welchem Interesse, fragte sich Spash, geht eine globale Elite aus Wirtschaft und Finanzen der Frage nach, ob Wachstum und Umweltverträglichkeit vereinbar sind? Für Spash ist der Fall klar: «Better Growth, Better Climate» ist keine evidenzbasierte Untersuchung, wie die Autoren glauben machen wollen, sondern die Basis für eine politische Agenda, deren wichtigstes Ziel darin besteht, das Wachstumsparadigma um jeden Preis zu retten. Ein Lobbyinstrument auch für das «grüne Wachstum»; ein Wirtschaftsmodell also, bei dem Wachstum mit gleichzeitiger Reduktion des globalen Fussabdrucks einhergeht. All das schön aufbereitet in Politik-gerechten Häppchen für die kommende Klimakonferenz in Paris vom November. 

Spash ist mit seiner Kritik am «grünen Wachstum» längst nicht mehr alleine. Niko Paech zum Beispiel, Wirtschaftsprofessor an der Universität Oldenburg, macht sich seit Jahren für das Konzept einer Postwachstumsökonomie stark. In der Schweiz forderte Irmi Seidl, Forscherin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL, im Buch «Postwachstumsgesellschaft» bereits 2010 eine Neudefinition von Wohlstand. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie wiederum arbeitet seit 20 Jahren an neuen Wohlstandsmodellen und umweltverträglichen Wirtschaftsformen.

All diese Ökonomen und Ökonominnen verbindet eins: Sie glauben nicht an «Better Growth» und die Rettung der Welt durch Effizienzgewinne. Sie fordern Suffizienz; also die bewusste Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs durch Verhaltensänderung – das heisst: Reduktion anstelle von Wachstum.

Mehr Energie, mehr Emissionen, mehr Abfall

Die Kritik leuchtet ein: Der grösste Teil der Effizienzgewinne der vergangenen Jahre wurde vom zusätzlichen Konsum gleich wieder gefressen. Ein Beispiel: Nett zwar, dass wir unsere Wohnzimmer neuerdings mit stromsparenden LED-Lampen bestücken. Trotzdem hat sich der Stromverbrauch für die Beleuchtung in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt; die Anzahl Lampen in einer 4-Zimmer-Wohnung erhöhte sich durchschnittlich von 14 auf 23. Das gleiche gilt für die Mobilität: Klar werden die Automotoren immer effizienter, doch gleichzeitig werden die Karossen bulliger, die Klimaanlagen leistungsstärker und die Anzahl Fahrzeuge nimmt weiter zu, genauso wie unsere täglich zurückgelegten Kilometer.

Unser steigender Konsum schlägt sich auch im Müll nieder: Die Siedlungsabfälle in der Schweiz sind von zwei Millionen Tonnen 1970 auf mehr als fünf Millionen 2012 angestiegen. Unser ökologischer Fussabdruck liegt aktuell rund fünf Mal über der verfügbaren Biokapazität. All dies trotz gewaltiger technischer Fortschritte und Effizienzgewinnen in den vergangenen Jahren.

Die Folgen des Wachstums werden ausgeblendet

Obschon vieles darauf hindeutet, dass wir unsere hehren Umweltziele durch Effizienzgewinne alleine nicht erreichen, bleiben Forderungen nach Konsumverzicht und Suffizienz in Wirtschaft und Politik weitgehend tabu. «Postwachstumsgesellschaft» ist ein Wort, das Ökonomen und Politiker meiden wie der Teufel das Weihwasser. Sie verweisen gerne darauf, dass Wachstum Millionen von Menschen aus der Armut befreit hat, zum Beispiel in China. Die ökologischen Kosten dafür und die neuen Risiken für ebendiese Menschen bleiben unhinterfragt. Und sie preisen das Wachstum als absolute Prämisse für unser aller Wohlstand. Dies obschon Studien längst gezeigt haben, dass – nach der Befriedigung von bestimmten materiellen Grundbedürfnissen – Wachstum und Zufriedenheit nicht weiter korrelieren.

Der amerikanische Ökonom Richard Easterlin entdeckte bereits 1974, dass die Amerikaner trotz erheblich wachsendem Volkseinkommen kaum zufriedener wurden. Und aktuelle statistische Daten der OECD zeigen, dass von elf Faktoren, die für unser Wohlbefinden zentral sind, nur drei materieller Natur sind, alle anderen, wie zum Beispiel der Grad an sozialer Vernetzung, die Umweltqualität oder Gesundheit, sind auch ohne Wachstum zu haben. 

Die Minimalisten machens vor

Jüngst kommt aber etwas Bewegung in den wachstumsgläubigen Einheitsbrei. Nicht von Seiten Wirtschaft, nicht von Seiten Politik, sondern vonseiten Zivilgesellschaft. Aus dem Konsumüberdruss heraus entstand eine Bewegung, die sich «Minimalismus» nennt. In den USA gibt es mittlerweile in allen grösseren Städten selbstbekennende Minimalisten – eine über Blogs und soziale Medien gut vernetzte Gemeinschaft, die sich der Reduktion aufs Wesentliche verschrieben hat. 

Sie verkaufen oder verschenken praktisch ihren gesamten Gerümpel, der sich in den ersten 20 oder 30 Jahren ihres Lebens angehäuft hat – «Wohlstandsballast», wie der Postwachstums-Ökonom Niko Paech sagen würde. Einige gehen soweit, dass sie sich, ausser von einer Hängematte zum Schlafen, einem Bündel Kleider, einem Körbchen mit Nüssen und Früchten sowie ihrem iPad – darauf möchten die meisten Minimalisten auf keinen Fall verzichten –, von all ihren Habseligkeiten trennen.

Sie schwärmen vom erlösenden Gefühl, wenn man dem Hamsterrad des unaufhörlichen Konsums einmal entflohen ist.

Die Minimalisten schwärmen von Zeitgewinn, vom erlösenden Gefühl, wenn man dem Hamsterrad des unaufhörlichen Konsums einmal entflohen ist. Sie erzählen davon, weniger arbeiten zu müssen, weil sie weniger Geld ausgeben, von einem neuen Bezug zu ihrer Umwelt und mehr Interaktion mit ihrem Umfeld, von einer besseren Balance zwischen Privatleben und Beruf. Sie experimentieren mit ihrem Leben, versuchen zum Beispiel ihren Alltag so umzugestalten, dass sie keinen anorganischen Müll mehr produzieren. 

Ein Trend, der sich mittlerweile bereits in entsprechenden Geschäften niedergeschlagen hat: Die Eröffnung des ersten «Original Unverpackt»-Geschäfts in Berlin Kreuzberg zeugt davon. Dort kaufen Hipsters mit Tupperwares und Weckgläsern Haferflocken, Spaghetti und Naturkosmetik lose ein.



Der «Original Unverpackt»-Laden in Berlin.

Der «Original Unverpackt»-Laden in Berlin. (Bild: Michael Brown)

Von wegen Neo-Hippies

Wer meint, bei den Minimalisten handle es sich um Neo-Hippies oder Utopisten mit einer krankhaften Natursehnsucht, liegt falsch. Sie leben meist in Städten, haben gute Ausbildungen und ziehen sich nicht zurück. Ganz im Gegenteil, sie vernetzen sich und bloggen, schreiben Bücher und drehen Filme. «The minimalists», die wohl bekanntesten Protagonisten der Bewegung, verzeichnen laut eigenen Angaben jährlich zwei Millionen Klicks auf ihrem Blog; sie touren mit Vorträgen durch die USA und nächstes Jahr kommt ihre Dokumentation zum Thema ins Kino.

Das öffentliche Interesse fürs Thema ist symptomatisch für eine Zeit, in der im Zuge der Ökonomisierung und Beschleunigung vieler Lebensbereiche vermehrt wieder die Sinnfrage gestellt wird. Viele erkennen im Reduzieren eine Quelle für Wohlstand und Zufriedenheit – nicht trotz materiellem Verzicht, sondern gerade weil der Alltag nicht mehr von den 10’000 Dingen belastet wird, die laut Schätzung des Soziologen Hartmut Rosa in europäischen Haushalten herumliegen.

Minimalisten leben vor, was Politik und Wirtschaft derzeit noch fürchten: Suffizienz kann funktionieren, ohne dabei auf Lebensqualität und -freude zu verzichten. Mit einer wichtigen Prämisse, wie die Sozialpsychologin Annette Jenny betont, die ihre Doktorarbeit an der Universität Zürich zum Thema schreibt: Materielle Reduktion wird nur dann als Gewinn empfunden, wenn diese aus freien Stücken geschieht. Aber seien wir ehrlich; könnten nicht die meisten von uns reduzieren, ohne auf etwas verzichten zu müssen?

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Am Freitag startet das eco.festival mit einem Kongress zum Thema Suffizienz und vielfältigen Attraktionen in der ganzen Stadt. Das Festival dauert vom 27. bis 29. März. Wir haben den Umweltökonom Frank Krysiak im Vorfeld der Veranstaltung gefragt, was er vom Wachstumsparadigma und der Idee einer Postwachstumsgesellschaft hält. Seine Antworten im Interview.

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