Superhelden und Polonaise mit Bär

Bei der Erlebnis-Kirche ICF ist man mit Jesus noch per Du und der Gottesdienst, pardon die «Celebration», mutet wie ein Kindergeburtstag an.

Party oder Gottesdienst? Beim ICF sind die Grenzen fliessend. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Bei der Erlebnis-Kirche ICF ist man mit Jesus noch per Du und der Gottesdienst, pardon die «Celebration», mutet wie ein Kindergeburtstag an.

Der «weltbeste Geschichten­erzähler» hat eine Vorliebe für Fäkalhumor. Raphaël Carruzzo sitzt in ­einem bequemen Sessel, umrahmt die Predigt mit einer kindergerechten Erzählung und weiss genau, was bei den jungen (sehr jungen) Gästen der ­«Family Celebration» des ICF Basel ankommt. Da und dort ein Witzchen übers Furzen, theatralische Gestik und clownesk inszenierte Missgeschicke. Die vielen Kinder und ihre (überwiegend ebenfalls sehr jungen) Eltern danken es ihm mit lautem Gelächter und Zwischenapplaus. Carruzzo, alle nennen in «Raphi», denn im ICF (International Christian Fellowship) duzt man sich, sitzt in seinem Sessel auf der Bühne im Festsaal des Gundeldinger Casinos am Tellplatz in Basel. Kurz zuvor hat ihn Maike Dörpfeld, verantwortlich für die Predigt an diesem Sonntagmorgen, mit dem eingangs erwähnten Superlativ angekündigt.

Seit ihrer Gründung 1999 feiert die evangelikale Freikirche im zweiten Untergeschoss dieses profanen, grauen Gebäudes ihre Gottesdienste, ­genannt «Celebrations». Gänzlich unprofan ist jedoch das heutige Thema: Superhelden, also «Superheroes». Bei Kindern zieht das immer. Gebannt lauschen die Kleinen «Raphis» Erzählung. Wobei deren Inhalt den meisten wohl geläufig ist. Es geht nämlich um die «Incredibles» (Hauptakteure des gleichnamigen Trick­filmes), eine Familie von Superhelden, die ihre Fähigkeiten nicht nutzen darf, um nicht aufzufallen.

«Wir sind alle Superhelden»

Es ist an «Maike», schliesslich den Bogen zum Glauben zu schlagen. Sie wäre nämlich gerne selber eine Superheldin und sieht in der Bibel die Gebrauchsanleitung, genau das zu werden. «Die Bibel ist unser Wegweiser, ein Leben zu leben, das Gott gefällt.» Konkret sei darin von zwei «Super­helden-Aufträgen» die Rede. Erstens müsse man die Schöpfung Gottes bewahren («Schöpfung ist ein viel cooleres Wort als Natur») und zweitens seine Nächsten lieben. Noch konkreter wirds wenige Minuten später. Im Saal werden Zettel verteilt und alle anwesenden «Superhelden-Kinder, -Familien und -Singles» zum Mitmachen aufgefordert.

Die verteilten Zettel bieten nämlich die Möglichkeit, sich zu den beiden Aufträgen Gottes zu bekennen. Unter dem Titel «Superhero-Family-Action-Steps» ist Platz vorhanden, zwei ganz handfeste Massnahmen zu formulieren. «Raphi» macht ein paar Vorschläge, um die Kreativität seiner Superhelden-Schäfchen auf Trab zu bringen. «Beim Duschen auch gleich ‹brünzle› spart Wasser», zum Beispiel.

Nach einer kurzen Bedenkpause bittet «Maike» drei Kinder auf die Bühne, um ihre Ideen vorzustellen. Ein kleiner Junge trägt passenderweise einen Spidermanpullover, ein Mädchen verspricht, zusammen mit ihrer Familie künftig einmal pro Woche einen fleischfreien Tag einzulegen.

Sugus und tanzende Bären

Mit dem nächsten Programmpunkt verliert die «Family Celebration» schliesslich auch noch die letzten Ähnlichkeiten mit einem konventionellen Gottesdienst und wird vollends zum Kindergeburtstag. Es wird gespielt, und zwar «1, 2 oder 3». Die Gruppeneinteilung geschieht mittels unter die Stühle geklebter Sugus, die Farbe gibt die Gruppe an. Flugs werden unter grossem Getöse die Stühle versorgt. Einige Kinder nutzen die Pause, um sich ein wenig auszutoben, von wegen stille Andacht.

«Raphi» leitet durch das Quiz, erklärt die Regeln und stellt die Fragen. Diese drehen sich vorwiegend um das Thema Umweltschutz. Alle machen mit und geben vollen Körpereinsatz. Junge Väter rennen mit ihren Töchtern auf dem Arm zur richtigen Stelle («Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.»). Kleine Jungs geben sich «high five», wenn dies der Fall war, Mütter mit Kleinkindern an den Händen ärgern sich lautstark, wenn nicht.

«Die Form darf dem Inhalt nicht im Weg stehen.»

Beim ICF habe man es sich auf die Fahne geschrieben, eine Kirche für die Menschen zu sein, und nicht umgekehrt, sagt Ralf Dörpfeld. «Ralf» ist der sogenannte «Executive Pastor» des Basler Ablegers der in Zürich gegründeten Freikirche. «Mit der zeitgemässen Präsentation unseres Glaubens wollen wir die Barrieren so tief wie möglich halten.» Die Form dürfe dem Inhalt auf keinen Fall im Weg stehen, ist «Ralf» überzeugt.

Und der Inhalt ist beim ICF, trotz poppigem Auftritt, konservativ. Man ist bibeltreu, orientiert sich am Alten und Neuen Testament. Nur werden diese uralten Botschaften übersetzt in konkrete, moderne Handlungsanweisungen oder -anregungen. Die Aufforderungen, sich selbst in die «Church» einzubringen, sind zahlreich. Und doch ist es letztlich eine Elite, die von der Kanzel herunter predigt, was Gott gefällt und was nicht. Daran ändert die Band nichts, die mit Schlagzeug, ­Gitarre und Backgroundsängerinnen Jesus lobpreist beziehungsweise «worshippt». Daran ändert auch die junge Frau im Bärenkostüm nichts, die mit den Kindern zum Dschungelbuch-Hit «Probiers mal mit Gemütlichkeit» eine Polonaise startet.

Der ICF macht Kirche zielgruppengerecht und verkauft diese modern verpackt auf allen Kanälen, das ist der wichtigste Unterschied zu den konventionellen Kirchen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

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