«The Farewell Party» thematisiert ein Tabu im Judentum – die Sterbehilfe

Darf der Mensch verwerfen, was Gott gegeben hat? Judentum und Islam lassen für aktive Sterbehilfe keinen Spielraum. Dass man darüber trotzdem reden soll, zeigt der träf-traurige israelische Film «The Farewell Party».

Spielt den Allmächtigen: Yehezkel (Ze'ev Revach) in «The Farewell Party».

Darf der Mensch verwerfen, was Gott gegeben hat? Judentum und Islam lassen für aktive Sterbehilfe keinen Spielraum. Dass man darüber trotzdem reden soll, zeigt der träf-traurige israelische Film «The Farewell Party».

Gott ruft an. Doch als Zelda abnimmt, hat er nicht die erwünschte Nachricht zur Hand. Zelda verbringt ihre Tage alleine in einem Altersheim, eine Krankheit macht ihr das Leben von Tag zu Tag schwerer. Doch Gott mahnt sie, länger auszuharren, bis ihre Stunde gekommen sei. Einen Trost gibt er ihr noch auf den Weg: Ihr Mann sende Grüsse aus dem Jenseits. «Mein Mann? Ich war nie verheiratet», antwortet Zelda erstaunt.

Von Menschen, die Gott spielen, handelt der Film «The Farewell Party», oder zumindest von solchen, die aus guten Absichten in Rollen hineinschlüpfen, die zu gross für sie werden. Natürlich war es nicht der Schöpfer selbst, der zum Hörer griff, sondern Yehezkel, ein Mitbewohner in Zeldas Altersheim, der sich die Zeit mit Tüfteleien an der Werkbank vertreibt. Zum Beispiel mit einem Stimmenverzerrer fürs Telefon, der jedes gesprochene Wort mit einem derart machtvollen Echo ausstattet, dass man meinen könnte, der Allmächtige selbst sei am Apparat.

Aus derbem Spass wird tiefer Ernst, als sich die Krebserkrankung von Yehezkels Bruder Max drastisch verschlimmert. Max wünscht den Tod, seine Frau ist einverstanden, die Wahl fällt auf Gift, das eine Minute nach einem Anästhetikum injiziert werden soll. Damit Max nicht leidet am Gift, vor allem aber, damit niemand auf die Idee kommt, eine Autopsie durchzuführen. Denn das Gesetz in Israel verbietet aktive Sterbehilfe. Nur: Wie nimmt der mittlerweile fast völlig gelähmte Max das Gift zu sich?

Die «Todesmaschine» in der Tradition des jüdischen Witzes

Die Lösung scheint aus jener Sorte des jüdischen Witzes zu stammen, der davon handelt, mit welcher Originalität gläubige Juden die mannigfaltigen Gesetze der Torah möglichst weitläufig umgehen, ohne sie zu verletzen. Der Tüftler Yehezkel bastelt eine «Todesmaschine», mit der sich sein kranker Bruder per Knopfdruck das Betäubungsmittel und danach das Gift zeitversetzt selbst einflössen kann.

Kernstück der Maschine ist eine Sabbatuhr – eine Uhr mit Zeitschalter, die normalerweise dazu dient, am jüdischen Ruhetag ohne menschliches Zutun den Küchenherd zu entfachen. Die Sterbehilfe gelingt, Max erhält den gewünschten sanften Tod – und das Gerücht von der «Todesmaschine» spricht sich rum im Altersheim, wo manch siechender Bewohner nur auf die Erlösung wartet.

Tränen der Komik, Tränen der Trauer

Todessehnsucht im geheiligten Land – das israelische Regieduo Tal Granit und Sharon Mayom hat mit «The Farewell Party» einen Film gedreht, der zu Tränen der Komik wie der Trauer rührt. Die moralischen Fragen zur Sterbehilfe – zumal in einem Land wie Israel, wo die Rechtssprechung zu den persönlichen Fragen über Geburt, Leben und Tod von der Ethik der verschiedenen Religionen geprägt ist – führen Granit und Mayom nicht explizit ins Feld. Jedoch umkreisen sie den Film unaufhörlich.

Wie darf der Mensch, was Gott verbietet? Wem gehört das eigene Leben? Und wer darf mitreden in dieser irreversiblen Entscheidung – die Angehörigen, die Ärzte, die Geistlichen? «In Israel ist in den vergangenen Jahren Bewegung in das Thema gekommen», sagt Tal Granit, zumindest in säkularen Kreisen. Aufsehen erregte vor vier Jahren der Freitod des Radiomoderators Adi Talmor, der in die Schweiz reiste, um das Angebot zur Sterbebegleitung des Vereins Dignitas im Kanton Zürich zu nutzen. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder weltweit, die aktive Sterbehilfe nicht verbietet. Das hat Folgen, die Zahl der «Sterbetouristen» ist in den vergangenen Jahren spürbar gewachsen.

Die gespaltene Bevölkerung

In Israel herrschen andere Verhältnisse, sagen Granit und Mayom – obwohl das Bedürfnis da ist. «Jedes Mal, wenn wir den Film vorführten, fragte an der Publikumsdiskussion eine ältere Person, ob die Maschine tatsächlich existiere – und ob man sie benützen dürfe», sagt Mayom.

Allerdings höre man solche Voten nur im säkularen Zentrum des Landes. «In den übrigen Regionen wurde der Film weniger gut aufgenommen. Das Leben sei ein Geschenk Gottes, das vom Mensch nicht abgelehnt werden dürfe, war die Meinung», so Mayom.

Sterbehilfe, ein Fall fürs israelische Gericht

Die Debatte in Israel neu entfacht hat ein Entscheid des Obersten Gerichtshofes im Frühling 2014, der dem Wunsch eines seit neun Jahren an der unheilbaren Nervenkrankheit ALS leidenden Mannes nachkam, die lebenserhaltenden Massnahmen zu beenden. Entgegen der geltenden Rechtssprechung. «Der Entscheid wurde ausdrücklich unter den besonderen Umständen der seltenen Erkrankung gefällt, ein Präzedenzfall lässt sich daraus kaum ableiten», sagt Tal Granit.

Dass sich am grundlegenden Verbot nichts ändert, dafür sorgen die religiösen Parteien im israelischen Parlament. Ende 2014 haben sie einen Gesetzesvorstoss erfolgreich abgeblockt, der es einem Arzt erlauben sollte, dem Wunsch eines Sterbepatienten straffrei nachzugeben. Die Opposition der religiösen Politiker auf jüdischer wie islamischer Seite war zu erwarten. Sowohl die Torah als auch der Koran betrachten das menschliche Leben als Geschenk, als «Leihgabe» Gottes, über das der Mensch nicht eigenmächtig verfügen dürfe.

Aus jüdisch-medizinethischer Sicht verlasse ein Arzt, der den Tod aktiv herbeiführe, den Rahmen medizinischer Tätigkeit, sagt Benjamin Gesundheit, in Basel geborener Onkologe und Dozent für Medizinethik an der Hebrew University in Jerusalem. «Aktive Sterbehilfe ist somit nicht erlaubt. Die Medizin hat die Aufgabe, die Qualität des Lebens zu verbessern – und nicht, es abzukürzen.» Allerdings stammen die religiösen Gebote aus einer Zeit, in der keine vergleichbaren lebenserhaltenden Möglichkeiten zur Verfügung standen.

Die Hoffnung auf einen würdevollen Abschied

Der Talmud, die tradierte Auslegeordnung der Torah, hält daher fest, dass es keine Verpflichtung gebe, unabwendbare Leiden konsequent zu verlängern. «Palliative Massnahmen sind nicht nur erlaubt, sondern können religiös begründet werden», sagt Gesundheit, «sie dienen nicht primär der Lebensverlängerung, sondern ermöglichen einen würdevollen Abschied. Im Talmud gibt es ein ganzes Traktat zu diesen letzten Schritten, wie man einem Sterbenden helfen kann, ohne seinen Tod aktiv zu beschleunigen.»

Im Islam muss man auf eine «Wunderheilung» hoffen

Auch der Islam beantwortet diese Frage eindeutig. Während in den meisten islamischen Ländern Euthanasie nicht offen diskutiert und rechtlich wie ein Mord eingestuft wird, hat für die sunnitischen Muslime in den westlichen Ländern der Europäische Fatwa-Rat 2003 auf Anfrage eines deutschen Muslims eine Rechtsauskunft erteilt. Darin steht, dass laut Koran Selbsttötung «ohne den Schatten eines Zweifels» verboten sei. Selbst die Existenz von endgültig unheilbaren Krankheiten wird mit dem Hinweis auf die Hadith, die mündlichen Überlieferungen des Propheten, grundsätzlich relativiert: Gott halte für jedes Übel eine Kur zur Hand, was Fälle von «Wunderheilung» belegen würden.

Allerdings, auch das hielt der Fatwa-Rat fest, sei es in Fällen des klinischen Todes erlaubt, die medizinische Behandlung einzustellen. Denn die Rettung von Leben stuft der Koran ebenso als menschliche Pflicht ein. Medizinische Ressourcen sollen daher dort eingesetzt werden, wo sie den grössten Nutzen bringen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist vor zwei Jahren der Ansicht des Fatwa-Rates gefolgt: Bei Schwerstkranken sei es «statthaft, das Angebot von Unterlassen oder Reduktion der Behandlungsmassnahmen in Anspruch zu nehmen», schrieb der Rat in einer Stellungnahme.

Ansonsten sei es eine «selbstverständliche Pflicht» für jeden Muslim, «einen Sterbenden in den letzten Tagen und Stunden nicht allein zu lassen». Wenn «The Farewell Party» von Tal Granit und Sharon Mayom ein didaktisches Element habe, so sei es die Erinnerung an diese selbstverständliche Pflicht, sagen die Regisseure. «Unser Film fällt kein Urteil. Aber in unseren Recherchen haben wir festgestellt, dass selbst in religiösen Kreisen der Tod als Thema vorzugsweise umschifft und in Altersheime ausgelagert wird», so Mayom. Für alles gebe es im Leben Vorbereitungskurse – für Geburten, für die Schule, für den Armeedienst. «Doch geht es um den Tod, entscheiden wir uns fürs Schweigen.»
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«The Farewell Party» läuft ab 24. September im Kino Atelier, Basel.

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