Tiefe Strompreise gefährden den Atomausstieg

Die Öffnung des Strommarkts gefährdet die Energiestrategie des Bundes.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Der Bund will Strom sparen und erneuerbare Energie fördern. Doch die Öffnung des Strommarkts gefährdet diese Energiestrategie.

Die Stromflut, die seit Beginn der Wirtschaftskrise Europa überschwemmt, wirkt sich aus: Die reinen Marktpreise für Strom (ohne Netzkosten und Abgaben) sinken. Im laufenden Jahr kostete Bandstrom am Spotmarkt der europäischen Energiebörse im Schnitt nur noch vier Cent oder umgerechnet fünf Rappen pro Kilowattstunde (kWh). Das ist ein Rückgang um 40 Prozent gegenüber dem Stand im Hochpreisjahr 2008. Auch in den kommenden Jahren, so zeigen die Notierungen am Terminmarkt, bleiben die Strompreise tief.

Die europäischen Marktpreise sind heute etwa gleich hoch wie die reinen Produktionskosten von alten Schweizer Atom- und Wasserkraftwerken. Und sie drücken mittelfristig auch das Niveau der Strompreise in der Schweiz.

Das gilt zumindest für jene 30 000 Grossverbraucher und Stromverteilunternehmen, die laut Gesetz schon seit 2009 Zutritt zum Strommarkt haben, bisher aber das geschützte Versorgungsmonopol bevorzugten. Ab nächstem Jahr würden viele dieser Grossverbraucher auf dem Markt einkaufen, um vom tiefen europäischen Preisniveau zu profitieren, bestätigt Renato Tami, Leiter der Eidgenössischen Elektrizitätskommission.

Stromproduzenten leiden

Die aktuelle Entwicklung schmälert die Gewinne der produktionsorien-tierten Schweizer Elektrizitätsunternehmen. Denn diese besitzen nicht nur Atom- und Wasserkraftwerke in der Schweiz, sondern auch AKW-Be-teiligungen, Kohle- und Gaskraftwerke im Ausland. Ihre Profite im Strom-aus­senhandel sind seit 2008 stetig geschrumpft, wie die Daten der Elektrizitätsstatistik und der Geschäftsberichte der grossen Stromkonzerne belegen.

Historisch ist diese Situation nicht einmalig. So waren die Grosshandelspreise für Strom in den Jahren 1995 bis 2004 sogar tiefer als heute. Doch damals konnten die Stromproduzenten ihre Verluste, die sie im geschlossenen europäischen Stromhandel verbuchten, noch ausgleichen mit höheren Tarifen in ihren inländischen Versorgungsmonopolen.

Stromsparen rentiert erst, wenn die Preise deutlich steigen.

Die stufenweise Öffnung des Strommarktes, die der Bundesrat spätestens ab 2016 auch auf Kleinverbraucher ausweiten will, verbaut jetzt aber diese Quersubvention. Das dürfte die Margen der mehrheitlich staat­lichen Schweizer Stromkonzerne weiter schmälern.

Die Marktöffnung, verknüpft mit dem erwähnten tiefen Strompreis­niveau, bedroht auch die Ziele der bundesrätlichen «Energiestrategie 2050». Diese verbietet den Bau von neuen AKW und verlangt langfristig eine Halbierung des gesamten Endenergieverbrauchs sowie eine Stabilisierung des Stromverbrauchs in der Schweiz. Das alles will der Bundesrat erstens mit Massnahmen zur Steigerung der Energie- und Stromeffizienz erreichen, zweitens mit dem Bau von inländischen Solar-, Wind-, Biomasse- und Gaskraftwerken, welche die betagten Atomkraftwerke ersetzen.

Der billige Strom erschwert diese politische Strategie in zweifacher Hinsicht: Viele Sparmassnahmen rentieren erst, wenn der Strompreis wieder deutlich steigt. Dasselbe gilt für Investitionen in neue inländische Kraftwerke. Verharren die Marktpreise im Keller, unter­bleiben Investitionen in Kraftwerke, sofern diese nicht subventioniert ­werden.

Darum hat etwa der Strom­konzern Axpo alle Projekte für inländische Gaskraftwerke schubladisiert, und die Berner BKW verzichtet vorderhand auf den Bau ihres geplanten Pumpspeicher-Kraftwerks im Grimselgebiet. Auch für Solar-, Wind- und Biomasse-Kraftwerke steigen die Hürden. Denn je grösser die Differenz ist zwischen den Produktionskosten von Strom aus erneuerbarer Energie und den Marktpreisen, desto weniger Kraftwerke lassen sich mit den verfügbaren Subventionen aus dem Topf der kostendeckenden Einspeisevergütung fördern.

Für die tiefen Strommarktpreise gibt es zwei Ursachen. Einerseits überschreiten die Kraftwerkskapazitäten in Europa die geschrumpfte Nachfrage. Andererseits wird Strom direkt und indirekt massiv subventioniert (siehe Box unten). Das schafft einen Anreiz, den künftig wegfallenden inländischen Atomstrom mit billigem Importstrom zu ersetzen statt mit Sparmassnahmen und neuen Kraft­werken im Inland.

Lenkungsabgaben sollen es richten

Mittelfristig ist diese billige Lösung gut für die Stromkonsumenten. Doch langfristig kann der Verzicht auf Stromsparen und neue Kraftwerke im Inland zu einem Engpass in der Stromversorgung führen. Darum ist es wichtig, den mit Subventionen verzerrten Strommarkt durch langfristig voraussehbare Energielenkungs­abgaben zu korrigieren.

Genau das will der Bundesrat tun. Nach seinen Plänen sollen diese Ab­gaben allerdings erst nach dem Jahr 2020 eingeführt werden. Statt gehandelt wird noch studiert.

Subventionen verfälschen den Markt
Die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie wird heute europaweit subven­tioniert. In der Schweiz geschieht das mit der kostendeckenden Einspeise­vergütung, im Ausland mit Gesetzen zur Förderung erneuerbarer Energie. Diese Subventionen seien schuld daran, dass die Preise ­ein­brechen und die Stromproduktion in Schweizer Wasserkraftwerken unren­tabel wird.
Darüber klagt die Stromwirtschaft seit Jahren. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn Wind- und Solarstrom decken erst etwa zehn Prozent des europäischen Strombedarfs. Der wichtigste Preis­drücker ist heute der Strom aus Kohlekraftwerken mit ­einem Marktanteil von rund 50 Prozent.
«Kohlestrom ist heute das preis­set­zende Markt­element», sagt Kurt Bobst, Chef der Bündner Strom­handels­­firma ­Repower. Dieser Kohlestrom ist auf dem euro­päischen Markt billiger geworden, weil das Fracking von Erdgas in den USA ­einen Preiszerfall der Kohle bewirkte. Zudem wird auch die Kohleverstromung massiv subventioniert, weil die Ver­ursacher die Kosten des CO2-Aus­stosses nicht zahlen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 18.10.13

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