Urs Wüthrich verteidigt die Schulreform

Der Baselbieter Bildungs­direktor Urs Wüthrich hat sich geärgert über die Titelgeschichte in der letzten TagesWoche, die den Reformprozess in den Schulen kritisch beleuchtete. Hier erklärt er warum.

Von wegen «Achtung Reform!», sagt der Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich. Die Schulen seien gut. Und sie würden immer besser. (Bild: Illustration Domo Löw)

Der Baselbieter Bildungs­direktor Urs Wüthrich hat sich geärgert über die Titelgeschichte in der letzten TagesWoche, die den Reformprozess in den Schulen kritisch beleuchtete. Hier erklärt er warum.

Es ist unmöglich, Staub wegzublasen, ohne dass jemand zu husten anfängt.» Das regelmässige Hüsteln der TagesWoche zeigt, dass ihr die Entstaubung, Aktualisierung und Harmonisierung der Guten Schule Baselland ganz offensichtlich und immer wieder in den falschen Hals gerät. Insbesondere die Pauschalkritik an den Entwicklungsprozessen zeichnet sich dabei eher durch einen gewissen Unterhaltungswert aus als durch Faktennähe. So sind beispielsweise die zukünftigen Stundentafeln das Ergebnis eines breit angelegten öffentlichen Diskussionsprozesses, beschlossen vom demokratisch legitimierten Bildungsrat und nicht im stillen Kämmerlein entstanden. Mangelnde Transparenz und Demokratiedefizite können nicht ernsthaft begründet werden.

Fundament für Innovation

Die Schweiz behauptet in einer globalisierten Wirtschaft erfolgreich ihre Spitzenposition als wettbewerbsstärkstes Land. Erneuerungswille und Entwicklungsfähigkeit sind unverzichtbare Qualitäten, die von den Schulen vorgelebt werden müssen, damit Schülerinnen und Schüler auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereitet werden. Die systematische Verunglimpfung von Reformprozessen ist vor diesem Hintergrund verantwortungslos. Die TagesWoche wird schliesslich auch nicht im Bleisatz produziert.

Klarer politischer Rückhalt

80 Prozent Nein-Stimmen gegen die Privatschulinitiative, klare Mehrheiten in den Volksabstimmungen zum Konkordat Sonderpädagogik sowie zum HarmoS-Konkordat und damit zum Unterricht in zwei Fremdsprachen auf der Primarstufe sind überzeugender Beleg für den Rückhalt der öffentlichen Schulen und der Bildungsharmonisierung in der Bevölkerung.

Die Vielzahl und Vielfalt parlamentarischer Vorstösse illustrieren das Interesse der Politik am Bildungsauftrag. Die Landrätinnen und Landräte fordern ausreichende Deutschkenntnisse und frühe Sprachförderung, obligatorischen Berufswahlunterricht auf allen Stufen, Stärkung der Kompetenzen in Mathematik, Informationstechnologien, Naturwissenschaften und Technologie (Mint), volkstümliche Schweizer Musik in der Musikschule, musikalische Talentförderung, Klassenstunde an der Sekundarschule, drogen- und gewaltfreie Schule, Sport als Promotionsfach etc.
Schulen sind Teil unserer Gesellschaft, an sie werden Erwartungen gerichtet. Das ist gut so. Wichtig ist aber auch, dass diese Gesellschaft Anliegen filtert, ordnet und gewichtet. Die Öffentlichkeit hat in Verfassung und Gesetzen zu diesem Zweck Organe und Verfahren geschaffen, damit die Schulen nicht an Anforderungen ersticken und die Aufmerksamkeit ihrer Schülerinnen und Schüler zentrifugal zerstreuen. Demokratisch festgelegte «Filter» sind neben den gesetzlichen Vorgaben, Lehrpläne und Stundentafeln, die Programme der einzelnen Schulen, aber auch die Fach- und Methodenkompetenz der Lehrerinnen und Lehrer.

Natur und Technik stärken

Die Zielsetzungen «Fit für die Gesellschaft» und «Fit für die Wirtschaft» schaffen keinen Widerspruch im Bildungsauftrag. Die Stärkung von Natur und Technik führt nicht zu Einseitigkeit. Im Gegenteil: Gerade die Auseinandersetzung mit den Phänomenen in diesem Bereich erfordert und fördert sprachlichen Ausdruck und Kreativität.

Respekt vor Kreativfächern

Den «Skandal» der Zusammenstreichung der musisch-gestalterischen Fächer gibt es nicht. Einzig an der Sekundarschule müssen neu nicht alle Schülerinnen und Schüler alle Fächer immer belegen. Mehrere gestalterische Fächer können aber auch als Teil des Freifachangebotes belegt werden. Die Bestimmung, wonach mindestens eines der beiden Angebote aus dem Fachbereich Musik, Kunst und Gestaltung stammen muss, führt in der Praxis im Vergleich mit der bisherigern Stundentafel zu einer fast identischen Dotation dieser Fächer und lässt darüber hinaus sogar eine höhere individuelle Gewichtung zu.

Nachholbedarf erkannt

Als Querschnittthema ist ICT und Medien im Lehrplan 21 bereits für die Primarschule vorgesehen. Zur Umsetzung erstellte ein Projektteam aus Vertretungen der Schulen und der kantonalen IT-Organisation eine IT-Strategie Schulen, welche nun aufgrund eines regierungsrätlichen Entscheids als Basis für Parlamentsvorlagen dient. Kernpunkt dieser IT-Strategie ist nicht ein klassischer Informatikanwender-Unterricht, sondern der zweckmässige und verantwortungsbewusste Einsatz von Informatikmitteln als Ergänzung zu den traditionellen Lernformen in allen Fachbereichen.

Unter dem Motto «Hohe Mitwirkungskultur – Sorgfalt vor Tempo» arbeite ich mit engagierten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Überzeugung und Zuversicht daran, dass die Gute Schule Baselland besser und damit zukunftstauglich wird. Diese Überzeugung und Zuversicht wird zum Glück immer wieder durch kritische Begleitung gestärkt.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.08.12

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