Man muss zuschauen, wie etwas, das man selbst als Lebensinhalt sieht, als lächerliches Gefäss ohne wirklichen Inhalt dargestellt wird. Knackebouls Abrechnung mit den Swiss Music Awards.
Hiermit verwirke ich vielleicht meine Chance auf einen Swiss Music Award. Oder ich erscheine womöglich als Neider, weil ich es noch nie über eine Nomination oder Laudatio hinaus gebracht habe. Aber ich muss es einfach loswerden: Bitte hört auf, diesen Event Swiss Music Awards (SMA) zu nennen. Nennt ihn Swiss Folklore Award oder meinetwegen Swiss Pop Award.
Meine Aktivitäten im Schweizer Musik- und Showkuchen sind ein zweischneidiges Schwert. Ich hab bei «Joiz» moderiert, beim SRF gerappt und kooperiere des Öftern zu Quersubventions-Zwecken mit Firmen.
Aber ich bin auch seit fast 20 Jahren hyperaktiver Teil einer kaum wahrgenommenen Schweizer Musikszene. Ich beteilige mich an Jams und harzigen Touren durch Clubs, bin Existenzkämpfer und Freund von vielen jungen (Überlebens-)Künstlern.
Unter den Award-Gewinnern gab es mehr Trachtenträger als an der Ski-WM in St. Moritz.
Gerade als Seiltänzer zwischen der Welt des Showbizz, des Kommerzes und der überall lauernden Swissness und der Welt der schummrigen Übungsräume, der verkannten Genies und dem exzessiv zermürbenden Dasein echter Künstler erlaube ich mir einen kleinen Verriss dieser SMA und somit des Bildes, das sie vom Schweizer Musikschaffen zeichnen.
Unter den Gewinnern dieser Awards gab es mehr Trachtenträger als an der Ski-WM in St. Moritz. Die Songs der meisten Gewinner, vor allem deren Texte, strotzen vor Vaterlandskitsch und plumper Ländler-Romantik. Selbst die Texte und Lieder der interessanteren Nominierten könnten locker in einer Landfrauenküche in Mettmenstetten laufen, ohne dass sich jemand aufregen würde.
Der Event wurde von Schweizer Fleisch gesponsert und von Fremdenfeinden wie einem Erich Hess oder einem Andreas Glarner (als VIPs natürlich) besucht. Das Ganze wurde als mega cooler Mix aus witzigen Showeinlagen und herzigen Ansprachen in die guten Schweizer Stuben getragen, und manch ein Päpu hat sich wohl gedacht: «Ich bin stolz auf unsere Schweiz und unsere aufgestellten Musig-Giele.» (Meitschi waren heillos untervertreten.)
Ich will Musiker sein, nicht Marketing-Planer.
Die Show wird von einem Grossteil der Musik- und Kunstschaffenden als Parodie wahrgenommen. Man wird zum Zaungast, der zuschauen muss, wie etwas, das man selbst als Lebensinhalt sieht, als lächerliches Gefäss ohne wirklichen Inhalt dargestellt wird.
Ich finde nicht, dass Musik zwingend politisch sein muss oder hochstehend, schon gar nicht «so wie früher». Aber für mich soll sie herausfordernd sein, unbequem, schreiend, wütend, verzweifelt, vielleicht sogar verstörend.
Man kann natürlich finden, dass Musik verbinden und ein Lächeln ins Gesicht zaubern soll; dass es auch darum geht, ein Produkt zu verkaufen, und dass es doch schön ist, wenn deine biedere Tante zu deinem neuesten Song mitschunkeln kann. Dann bin ich mir aber nicht sicher, ob wir noch von Musik oder eher von Marketing sprechen. Ich will Musiker sein, nicht Marketing-Planer.
Kantige Künstler im Schatten
Nun kann man mir vorhalten: «Ja, die SMA sind eine langweilige Kommerzkiste. Aber noch langweiliger ist es, sich darüber zu beschweren.» Da bin ich anderer Meinung. Klar sind Award-Shows immer durchzogen von plakativen Show-Elementen und kommerziellen Interessen, aber selbst in den USA schafft man es, in diesem Rahmen Statements abzugeben, rebellisch zu sein oder einen Fick zu geben. Man schaue die Show von A Tribe Called Quest mit Busta Rhymes bei den Grammys an.
In der Schweiz fehlt von diesem Verhalten jede Spur. Die kantigen Künstler, die Aufmüpfigen, die wirklichen Freaks fristen ein Schattendasein. Sie finden im Radio, im Fernsehen oder eben an öffentlichen Events nicht statt. Oder nur am Rande.
Texte, die deine Mutter versteht
Manche Künstler mit Potenzial, das über das Besingen von Schoggi und Bergen hinausgeht, sind irgendwann zermürbt vom ständigen Scheitern, von literweise Herzblut und mühsam zusammengekratztem Geld, das in Alben fliesst, die dann versanden. Von Tausenden Kilometern, um vor einigen Dutzend Leuten eine Show zu spielen, die auch vor Tausenden funktionieren könnte.
Sie entscheiden sich für den Kompromiss. Sie gehen zum Pop-Produzenten, der die Schemata kennt, die funktionieren. Sie brechen ihre Texte runter, damit sie auch deine Mutter versteht, passen die Band-Formation an, schmeissen Songs von Alben, die zu sperrig sind, lassen sich ein Image verpassen, gestalten das Cover ihrer Platten nach Marketing-Kriterien.
Oder sie machen es wie ich und lassen ihre Musik grösstenteils authentisch, begeben sich aber als Künstler in die bünzlige Welt des Schweizer Showbusiness und geraten dann in so viele Situationen, die man allgemein als «Drischiss» (für unsere älteren Leserinnen und Leser: eine beschissene Situation, in die man reingerät) bezeichnen könnte, dass es immer schwerer wird, sich glaubwürdig kritisch zu äussern.
In einer Zeit des global wütenden Populismus sollten deine Werke als Künstler nicht noch mehr Klischees verbreiten.
Lange hatte ich den Plan, als kantiger Musiker in der kommerziellen Welt zu bestehen, indem ich besagten Seiltanz in Kauf nehme. Inzwischen bin ich aber überzeugt, dass der Weg des Künstlers ziemlich radikal sein muss. Ich nehme es keinem Künstler übel, der sporadisch die eher bünzligen Plattformen nutzt, die ihm die kleine Schweizer Show-Welt zur Verfügung stellt, um sein Schaffen zu präsentieren.
Die strategische Simplifizierung der eigenen Kunst zugunsten der biedern Tante und der stumpfen Seelen, die deren Musikgeschmack teilen, halte ich aber für fatal. In einer Zeit global wütenden Populismus sollten deine Werke als Künstler nicht noch mehr Klischees verbreiten. Sie sollen messerscharf wirken und wachrütteln – nicht angepasst und populär sein.