Meine erste Daguerreotypie unter der Lupe verrät es: Der Fotograf hat gepfuscht.
Dieser Fund war anfänglich nur ein vorweihnächtlicher, günstiger Frustkauf beim Antiquitätenhändler: Ein schief gerahmtes Oval beheimatet das Porträt einer strickenden jungen Frau. Es gibt spektakulärere Daguerreotypien aus dem 19. Jahrhundert. Diese ist insofern besonders, als es die erste ist, die ich erworben habe. Konnte ich «Dagos» (so nennen sie die Sammler) bislang nur in Museen und Büchern betrachten, bin ich nun stolzer Besitzer eines Originals.
Die Rückseite, vielfach geklebt.
Die ernste junge Frau verkneift sich ein Lächeln. Der Wollfaden ist um den rechten Zeigefinger gewickelt, was darauf hindeutet, dass es sich um eine linkshändige Dame handelt.
Im Hintergrund stehen eine Blumenvase und ein Korb auf einem Tisch. Die gemusterte Decke und das Blütenkleid geben dem Bild eine biedere Note. Auch die Frisur ist für uns etwas gewöhnungsbedürftig. Der strenge Mittelscheitel steht in einer Linie zur Halskette.
Propere Hausfrau, schludrige Verarbeitung
Nachdem die Erfindung der Fotografie vom französischen Staat 1839 gekauft und der Öffentlichkeit zur freien Nutzung geschenkt worden war, verbreitete sich die Daguerreotypie schlagartig und war bis etwa 1860 das häufigste verwendete Fotografieverfahren. In jeder Stadt gab es Ateliers für Porträtaufnahmen, in denen man sich für teures Geld ablichten lassen konnte. Diese Fotoateliers hatten grosse Fenster, denn elektrisches Licht gab es noch nicht. So ist es eher unwahrscheinlich, dass unser Modell zu Hause porträtiert wurde.
Ob die Frau aus eigener Initiative strickend fotografiert werden wollte oder ob sie vom Fotografen als liebevolle Hausfrau zur Brautschau arrangiert wurde, darüber kann nur spekuliert werden. Fest steht, dass sie zwischen 15 bis 45 Sekunden regungslos in die Kamera starren musste; daher sollte man aus dem fehlenden Lächeln keine voreiligen Schlüsse auf ihr wahres Wesen ziehen.
Über den Fotografen wissen wir nichts. Aber: Er hat gepfuscht, nur das Nötigste gemacht, damit das Oval ausgefüllt wurde, das reichte offenbar. Und so erkennen wir heute nach dem Entfernen des Passepartouts auf dem versilberten Kupferplättchen im rechteckigen Format 72 mm x 81 mm einige Hinweise auf die schludrige Verarbeitung. Das unregelmässig aufgedampfte Silberbromid, das mit giftigen Jod- und Chlordämpfen lichtempfindlich gemacht wurde, musste schnell belichtet werden. Entwickelt wurde ebenfalls mit giftigen Quecksilberdämpfen, was einigen Fotografen erhebliche Gesundheitsschäden verursachte.
Das edle, kratzempfindliche Metallblech wurde danach luftdicht hinter einer Glasscheibe montiert und in hübsch dekorierte Rähmchen oder Etuis eingeschoben. Daguerreotypien sind im Übrigen immer seitenverkehrt, und daher ist die Dame ganz normalhändig.
Das Bild gibt es zum Download in hoher Auflösung (26.5 MB)
Das Schweizer Farbfernsehen präsentiert einen Kulturplatz zum Thema.
Herr Münzberg hat eine zeitgemässe Anleitung verfasst.
Der Passepartout ist das eigentliche Kunstwerk.