Mit einer Einigung in exorbitanter Höhe haben sich Google, Apple, Intel und Adobe einen Gerichtsfall zu einem mutmasslichen Lohnkartell vom Hals geschafft. Aber nicht aus dem kollektiven Gedächtnis. Eine Chronik.
Am 13. Februar 2005, kurz nach der Mittagspause, verschickte Sergey Brin eine hastig verfasste E-Mail: «Zorniger Anruf von Steve Jobs», schrieb Brin, der Mitgründer von Google, an seine Kollegen in der Chefetage. Google habe einen der Entwickler von Jobs’ Safari-Team angesprochen, dem Team, das Apples Internetbrowser baut. Einige Tage später, nochmals Brin: «Also … Jobs hat mich nochmals zornig angerufen», schrieb er und zitierte den Apple-Chef: «Wenn ihr auch nur einen dieser Leute anstellt, bedeutet das Krieg.»
So begann, was im Silicon Valley in den letzten drei Jahren für anhaltenden Aufruhr sorgte und nun in einer gerichtlichen Einigung in letzter Minute endete. Die Details der Einigung werden erst bekannt, wenn sie vom Gericht abgesegnet ist. «Wir sind sehr zufrieden, was wir für die Kläger erreichen konnten», sagte Kelly Dermody, eine der Anwältinnen der Kläger. Die Angeklagten äusserten sich auf Anfrage nicht. Damit ist die Klage von rund 60’000 Entwicklern, die sich von den Tech-Giganten Apple, Intel, Google, Adobe und anderen während Jahren um Löhne betrogen sahen, vom Tisch. Sie dürften eine dicke Entschädigung erhalten. In Medien sprachen anonyme Quellen von rund 325 Millionen Dollar.
Der Krieg um die besten Programmierer der Welt
Doch der Schatten des Falles dürfte über dem Valley stehen bleiben. Da sollen also einige der mächtigsten Menschen der Innovationsmaschine Silicon Valley den freien Markt sabotiert haben, um die Löhne tief und Mitarbeiter bei sich zu halten. In geheimen Abmachungen sollen Google, Apple, Intel, Adobe und andere Hightech-Firmen vereinbart haben, Mitarbeiter daran zu hindern, die Firma zu wechseln und sich gegenseitig über Angebote zu informieren, um Bieterwettstreite um Entwickler zu verhindern. Im vorliegenden Fall aufgedeckte E-Mails geben einen nie dagewesenen Einblick in den Krieg um die besten Programmierer der Welt.
Denn Jobs lag nicht falsch im Februar 2005. Google war hinter dem Entwickler in seinem Safari-Team her. Er gehöre zu «den besten der Welt», schrieb ein Top-Manager von Google, Alan Eustace, und dass man ihn eingeladen hätte für unverbindliche Gespräche. «Steve versucht ihn mit interessantem Projekt bei sich zu behalten», schrieb Eustace. Doch Jobs beschloss wohl, dass es Zeit war, mehr zu tun, als bloss interessante Projekte anzubieten, um nicht noch einen wertvollen Entwickler zu verlieren. «Steve hat mich gerade angerufen, er ist super angepisst, dass wir noch immer seinen Browser-Typen bearbeiten», stand in dieser E-Mail. Sie kam von einem Verwaltungsrat von Apple, der auch Berater bei Google war: Bill Campbell. «Du solltest ihn anrufen», richtete er sich an Brin.
Geheime Absprachen seit 2005
Von da an begann sich auszuweiten, was gemäss den Gerichtsdokumenten 2005 begonnen hatte. Damals entstand offenbar die erste einer Reihe von Absprachen. Involviert war Pixar, Steve Jobs’ Animationsfilmstudio, das er in den Achtzigern von Lucasfilm gekauft hatte. Die Unternehmen vereinbarten, dass man sich gegenseitig informieren würde, wenn sich ein Mitarbeiter bei der anderen Firma bewerben würde. Ausserdem wollte man sich gegenseitig über Angebote informieren, sodass keine Bieterwettstreite ausbrechen. Im selben Jahr ging Apple, auch von Steve Jobs geführt, eine solche Einigungen mit Adobe ein. Ein Jahr später weitete sich das Netz auf Google, dann auf Intel und den in Europa weniger bekannten Macher der Buchhaltungssoftware Intuit aus. Danach veränderte sich das Klima im Silicon Valley – und für einige hatte das sehr konkrete Folgen.
Jean-Marie Hullot war kurz vor seinem nächsten grossen Schritt in seiner ohnehin schon beeindruckenden Karriere in der globalen Tech-Industrie. Hullot war im Gespräch mit Google, das nach Frankreich expandieren, und dort eine neue Programmier-Abteilung eröffnen wollte. Er hatte mit ehemaligen Kollegen von Apple gesprochen, die gekündigt hatten. Alle waren sie bereit sich dieser Aufgabe in Paris zu stellen.
Bitte um den Segen von Steve Jobs
Hullot genoss gerade eine Auszeit. Ein Jahrzehnt lang hatte der Informatiker bei Apple einige der wichtigsten Teile der Betriebssysteme gebaut und sich dann entschieden zu kündigen. In einer E-Mail schrieb er, dass er nun endlich Dinge tun könne, die ihm seine harte Arbeit so lange verboten hatte. Ein Highlight stand kurz bevor: Hullot hatte für seine Frau und seine zwei Kinder einen Wanderurlaub in den Himalaya organisiert. Am Abend bevor er losfuhr, schickte er noch eine E-Mail nach Amerika in die Google-Büros. Denn die Gespräche waren ins Stocken geraten. Er schrieb seinem Kontakt, dass die Zeit eng werde. Für einige der Programmierer ziehe sich die Zeit ohne Einkommen in die Länge. Er sorge sich, dass er sie verlieren könnte. Wenn während der Zeit, in der er keinen Zugriff auf das Internet hätte, eine Antwort käme, solle man den vier Programmierern sofort Angebote machen, schrieb er. Er sei in zwei Wochen zurück, am 22. April.
In Kalifornien versuchten Google-Manager verzweifelt Steve Jobs zu kontaktieren. Er wolle ihn bloss kurz um seinen Segen bitten wegen eines «kleinen Entwickler-Büros in Paris», schrieb Top-Manager Eustace an Steve Jobs. Keine Antwort. «Ich sorge mich ein wenig», schrieb eine Google-Managerin: «Wir könnten den Rest des Teams verlieren», wenn die Ungewissheit weitergehe. Eustace versuchte einen anderen Weg und ging noch weiter nach oben: «Bill Campbell hat versprochen, ihn anzurufen», schrieb Eustace in einer E-Mail. «Er sitzt im Verwaltungsrat von Apple und Google, darum wird Steve auf seinen Anruf wohl antworten ;)»
Hullot kam aus seinen Ferien zurück. «Gibts Neuigkeiten?» Es gab keine.
«Alan. Uns wäre es lieber, wenn du diese Jungs nicht einstellen würdest. Steve.»
Doch Campbell schien sich inzwischen bei Jobs gemeldet zu haben und auf eine Antwort gedrängt zu haben. Am 25. April schrieb Google-Manager Eustace eine weitere E-Mail. «Steve, Jean-Marie [Hullot] würde gerne vier Programmierer einstellen, die für ihn bei Apple in Paris gearbeitet hatten.» Er erklärte noch einmal, dass sie alle bereits bei Apple gekündigt hätten. Er versprach ausserdem Massnahmen, um zu verhindern, dass weitere Apple-Programmierer aus Paris angegangen würden und damit keine Interessenkonflikte entstünden. «Ist das okay für dich?», fragte er. «Wenn nicht, bin ich bereit, das ganze Ding abzusagen.»
«Seid ihr verrückt geworden?»
Jobs liess noch einen Tag verstreichen, bis er – wie immer äusserst kurz – antwortete: «Alan. Uns wäre es lieber, wenn du diese Jungs nicht einstellen würdest. Steve.»
Damit wars das für Hullot. «Wenn du dieses tolle Team zusammenhalten willst, musst du das wohl in einer anderen Firma machen», schrieb Eustace. Und an Jobs: «Ich habe mich entschieden, kein Entwickler-Büro in Paris zu eröffnen. Ich schätze deinen Input für diese Entscheidung.» Hullot will sich heute über diese Geschichte nicht mehr äussern. Apple und Google auch nicht.
Die E-Mails zeigen die Macht von Steve Jobs genauso wie Googles Willen zur Kooperation. Hullots Fall war nur einer von vielen, die in den E-Mails nachzulesen sind. In einem anderen wird eine Google-Personalmitarbeiterin «noch in dieser Stunde gefeuert», nachdem sie einen Apple-Mitarbeiter kontaktiert hatte, worauf sich Jobs beschwerte («Ich wäre froh, wenn das aufhören würde»). «Gute Reaktion», lobte Google-Managerin Shona Brown. In einer anderen E-Mail fragte der Apple-Verwaltungsrat «Seid ihr verrückt geworden?», nachdem eine externe Headhunterin auch in Apple-Gewässern nach einem neuen Manager für Google suchte, worauf dem Treiben fix ein Ende gesetzt wurde.
Ein Dolch ins Herz der Innovation
All dies ist in E-Mails nachzulesen, die in einer Ermittlung der US-Justiz ausgegraben wurden. «Es ist sehr ungewöhnlich, dass es in einem wettbewerbsrechtlichen Fall derart starke Beweise gibt», sagte Alan Hyde, ein Rechtsprofessor an der amerikanischen Rutgers-Universität und Kenner des Arbeitsmarktes im Silicon Valley. Diese E-Mails waren ein «Segen für die Kläger», findet Cynthia Estlund, eine Rechtsprofessorin der New York University.
Es sind diese E-Mails, die die Hightech-Giganten nicht während eines vielbeachteten Gerichtsfalles vor der Weltöffentlichkeit ausgebreitet haben wollten. Oder noch schlimmer: Wenn Anwälte die Top-Manager von Google und Co. in aller Öffentlichkeit dazu befragt hätten. Doch auch nach der Einigung schüren die E-Mails die Frage nach dem Warum. Denn obwohl die Firmen mit solchen Absprachen möglicherweise Geld gespart haben, stiessen sie doch auch gleichzeitig einen Dolch in das, was viele als das Herz der Innovation ansehen: in einen Job-Markt, so beweglich wie kein anderer.
Mobile Mitarbeiter machten das Valley gross
«Dieser Arbeitsmarkt war der wichtigste Faktor im Aufbau des Silicon Valley als Zentrum der Informationstechnologie», sagt Rechtsprofessor Hyde mit Verweis auf drei Jahrzehnte an entsprechender Forschung, zu der nicht zuletzt er selbst beigetragen hat. Wissen wanderte mit Mitarbeitern von Firma zu Firma. «Der Schlüssel war, so zeigte sich, die Mobilität von Mitarbeitern. Wenn sie von einem Unternehmen zum nächsten gehen, gibt es keine Geheimnisse, jeder weiss, woran der andere arbeitet und niemand verschwendet Geld, das Rad neu zu erfinden.»
Sind die Tech-Giganten also einfach alt und machtbesessen geworden und haben dabei den Willen zu weiteren Innovationen verloren? Der Rechtsprofessor Alan Hyde sieht einen anderen Grund: «Steve Jobs war klar geworden, welche Macht er hatte, und er war auch einfach geizig und wollte den Programmierern nicht mehr bezahlen.»
Exodus zu Facebook
Indizien für diese Theorie gibt der Anfang vom Ende der Abmachungen, ebenfalls in den Gerichtsdokumenten nachzulesen. Denn der Aufstieg des Silicon Valley endete nicht mit Google und Apple. Das Kartell begann zu bröckeln, als ein neuer Stern im Valley aufstieg: Das «Facebook-Phänomen» schaffe ein «echtes Problem», schrieb Google-Boss Sergey Brin in einer E-Mail. Er meinte den Abgang vieler Entwickler zum «neuen, heissen Start-up», wie es Google-Manager Jonathan Rosenberg in einer Vernehmung bezeichnete. Entwickler strömten in Massen zu Facebook.
Eine Google-Studie in den Gerichtsdokumenten zeigt Facebook als jene Firma, an welche die eingesessenen Firmen am meisten Mitarbeiter verloren. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg war der neue Star im Valley. An einer Weihnachtsparty 2007 traf er auf Google-Managerin Sheryl Sandberg und machte sie zum bis dahin grössten Verlust für Google – sie wechselte zu Facebook und wurde dort die Nummer zwei im Social-Media-Giganten. Kurz nachdem sie ihr neues Büro in Menlo Park bezogen hatte, bekam sie aufgeregte E-Mails von ihren ehemaligen Kollegen. In einem passiv-aggressiven E-Mail-Verkehr beklagte sich Jonathan Rosenberg über die überproportional hohe Zahl an Abgängen von Google zu Facebook. Nach einer Weile schrieb er etwas, das sich wie eine Drohung las: «Löse dieses Problem.»
Mehr Lohn statt Konkurrenzverbot
Sandberg schien wenig beeindruckt. Was denn die Google-Strategie sei, fragte sie. Rosenberg sagte, er wolle, dass sich «beide» in Ruhe lassen würden. Sandberg schien mit den Schultern zu zucken, wischte jegliche Möglichkeit einer Abmachung weg: «Google ist mit dem Einstellen von Mitarbeitern anderer Firmen in unserer Industrie gewachsen.» Sie liess keinen Zweifel daran, dass Facebook weiterhin auch Google-Mitarbeiter angehen würde. Auch andere ehemalige Google-Kollegen hätten sie auf das Thema angesprochen, sagte Sandberg in einer Stellungnahme vor den Ermittlern: «Ich habe es abgelehnt, weniger Google-Mitarbeiter zu rekrutieren.»
Das definitive Ende für diese Absprachen kam ein gutes Jahr später: Die Firmen Intuit, Intel, Pixar, Lucasfilm, Apple, Adobe und Google mussten Ermittlern des Justizministeriums die Türen öffnen. Sie beschlagnahmten E-Mails, verhörten Top-Manager, nahmen ihnen das Versprechen ab, jegliche Vereinbarungen zu kündigen. Kurz darauf holte Google zum Rundumschlag aus, erhöhte die Löhne aller Mitarbeiter um zehn Prozent und bezahlte jedem einzelnen einen Cash-Bonus von 1000 Dollar.
Ein Jahr später, 2011, reichte ein Entwickler die Sammelklage ein, die nun in einer Einigung geregelt wurde. Doch diese kann nicht verhindern, dass das ohnehin schon angeschlagene Image der boomenden Hightech-Industrie weiter bröckelt.
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