Viel Geld für ein paar Fotos

Eigentlich wollte der Basler Barbetreiber vom «Kuss» einer blutigen Anfängerin im Fotografie-Geschäft einen Gefallen tun. Doch dann zerstritten sich die beiden. Jetzt soll er für die 50 Bilder 200’000 Franken bezahlen.

Die Fotografin verlangt viel Geld. Wenn Sie den Streit verliert, könnte es für sie selbst teuer werden. (Bild: Nils Fisch)

Eigentlich wollte der Basler Barbetreiber vom «Kuss» einer blutigen Anfängerin im Fotografie-Geschäft einen Gefallen tun. Doch dann zerstritten sich die beiden. Jetzt soll er für die 50 Bilder 200’000 Franken bezahlen.

Es war im vergangenen Herbst, als die heute 35-Jährige – nennen wir sie Melanie Siegrist* – entschied, Fotografin zu werden. Ihre Arbeiten im Netz lassen ein gewisses Talent erkennen. Also suchte Melanie Siegrist Auftraggeber, auch in der Basler Bar «Zum Kuss». Der Wirt Markus Engeler bot an, sie könne gegen eine kleine Spesenentschädigung an einem Anlass teilnehmen und fotografieren, ergänzend zur Hausfotografin. «Ich wollte ihr eine Chance geben», sagt Engeler. Melanie Siegrist willigte ein. Die ausgemachte Spesenentschädigung betrug 50 Franken.

Vor zwei Wochen, mitten im Hochbetrieb um Mittag, marschierten Staatsanwaltschaft und
Polizei im «Kuss» auf und verlangten die Herausgabe der Bilddateien von Melanie Siegrist. Diese hatte Strafantrag gestellt mit der Begründung, sie könne die Bilder vom Anlass in der Bar für 4000 Franken verkaufen – pro Stück. Engeler rechnet vor: «Bei 50 Bildern ergibt dies eine Forderung von 200’000 Franken».

Wie hoch die effektive Forderung von Siegrist sei, habe die Staatsanwaltschaft nie kommuniziert. So oder so ist das dicke Post für Markus Engeler. Was ist geschehen? Melanie Siegrist hat die Bilder zwei Wochen nach dem Anlass im Dezember abgeliefert. Engeler war vom Resultat so begeistert, dass er die Entschädigung verdoppelte. Darauf stellte er die Bilder in voller Auflösung auf die Facebook-Seite seiner Bar. Melanie Siegrist ist hingegen der Meinung, dass die kommerzielle Nutzung der Bilder zu Werbezwecken nie ausgemacht war. Einen schriftlichen Vertrag, der diesen Punkt regelt, gibt es zwischen den beiden Parteien nicht.

Bilderstellung nicht gleich Bildnutzung

Markus Engeler sagt, er habe nach Ablieferung der Bilddateien nichts mehr von Siegrist gehört. Ende Dezember schliesst er sein Café und fährt in den Urlaub. Am zehnten Januar fordert die Fotografin ihn per Mail dazu auf, die Bilder zu löschen. Sie schreibt: «Ich betrachte die 100 Franken als Entlöhnung für die 4-stündige Anwesenheit.» Die Übertragung der Nutzungsrechte sei nicht vereinbart gewesen. Engeler ist schockiert. Er antwortet: «Die Fotos werde ich am 24. Januar vom Netz nehmen.» Dann wird Engeler aus dem Urlaub zurück sein. «Das Laden der entsprechenden Seite dauerte mit meiner schlechten Internetverbindung im Urlaub zu lange», erklärt der Wirt heute.

Melanie Siegrist reicht das nicht. Sie schreibt erneut, fordert eine Aussprache. Zudem will sie die Bilddateien bis Anfang Februar in reduzierter Auflösung und mit Erlaubnis zur Publikation liefern. Das sind zwei Monate nach dem Anlass in der Bar. Engeler antwortet nicht mehr. Nach seiner Rückkehr nimmt er die Bilder vom Netz.

«Wende Dich ans Zivilgericht»

Anfang Februar meldet sich Siegrist erneut. Engeler ist an den Bildern nicht mehr interessiert, der Fall für ihn abgeschlossen. Siegrist besteht auf die Aussprache. Da schreibt Engeler, er habe keine Zeit. Zudem seien alle Forderungen erfüllt. «Wenn du weiterhin streiten willst, dann wende Dich ans Zivilgericht.» Siegrist lässt sich anwaltlich beraten und reicht Strafanzeige ein. Sie sieht ihre Urheberrechte verletzt.

Rechtsanwalt Martin Steiger erklärt die rechtliche Situation um den Fotoauftrag so: «Es werden nur jene Rechte an den Bildern abgetreten, die für die Erfüllung des Fotoauftrags unbedingt erforderlich sind.» Das muss nicht zwingend das Recht auf kommerzielle Verwendung sein. «Grundsätzlich kann man aber davon ausgehen, dass die Bilder im vorliegenden Fall auch durch den Wirt genutzt werden dürfen», so Steiger. Ein Wirt, der einen Anlass durch eine bezahlte Fotografin dokumentieren lässt, hat nur Interesse an den Bildern, wenn er diese auch verwenden darf.

Die Fotografin pokert hoch

Janine Teissl von der Gewerkschaft Impressum sagt, der Wirt habe aufgrund der geringen Entschädigung nicht davon ausgehen können, «dass damit alle Nutzungsrechte an den Bildern auf ihn übergegangen sind». In jedem Fall hätte er die Bilder nach der Aufforderung der Fotografin löschen sollen, so Teissl. Zur Höhe der berechneten Entschädigung will sich Impressum nicht äussern.

Eindeutig zu hoch ist diese für Martin Steiger. Die Gerichte seien bei der Zumessung sehr zurückhaltend. Steiger vermutet deshalb hinter der Forderung ein taktisches Vorgehen von Siegrist. «Der Strafantrag könnte wieder zurückgezogen werden, nachdem sich Markus Engeler zu einer nachträglichen Zahlung bereit erklärt hat.»

Melanie Siegrist hat der TagesWoche gegenüber mehrfach Fragen zu dem Vorfall beantwortet. Sie hat diese Antworten später alle wieder zurückgezogen. Sowohl Steiger, als auch die Gewerkschaft Impressum empfehlen Fotografen, niemals ohne schriftlichen Auftrag tätig zu werden. Das schafft Klarheit für beide Parteien. Und Martin Steiger ergänzt: «Wenn Siegrist verliert, muss sie unter Umständen neben den eigenen Anwaltskosten und den Verfahrenskosten auch noch Entschädigung und Genugtuung an Markus Engeler ausrichten.» Die unerfahrene Fotografin pokert also mit hohem Einsatz um ihr Honorar.

Der Name ist frei erfunden.

Artikelgeschichte

*Der richtige Name ist der Redaktion bekannt. Jegliche Ähnlichkeiten des Pseudonyms mit existierenden Personen ist keine Absicht.

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