Darüber, ob es wirklich die besten Verse der vergangenen sieben Jahrzehnten sind, kann man gewiss streiten. Aber die Doppel-CD mit Schnitzelbängg von 1945 bis heute bietet einen aufschlussreichen und zuweilen höchst amüsanten Rückblick auf die Geschichte dieses Basler Fasnachts-Brauchs.
Sie führen immer wieder zu den «Schwoobe», packen oftmals einen «Zircher» in die Pointe. Manchmal kommen sie der Gürtellinie oder der Grenze des politisch Korrekten recht nahe. Einige bezaubern durch ihren Wohlklang und/oder verblüffen durch originelle Binnenreime und überraschende Pointen: Die Schnitzelbängg gehören zur Basler Fasnacht wie das Trommeln oder die Waggis-Nase oder …
Und natürlich waren sie früher viel besser, als sie es heute sind. Die grandiosen Vierzeiler der «Standpauke» und des «Stachelbeeri» aus den 1970er-Jahren, die spitzen Pointen des «Zytigs-Anni» und die wunderbaren Binnenreime der «Schellede» aus dem selben Jahrzehnt sind unerreicht. Meint man zumindest, wenn man sie damals bereits intensiv verfolgt hat.
Die Siebziger als Höhepunkt?
Auch Michael Luisier, Literaturredaktor und Fasnachtsexperte von Radio SRF, bezeichnet die Siebziger als «Höhepunkt des Basler Schnitzelbankwesens». Und er nennt im Booklet-Text zur Doppel-CD «Basler Schnitzelbängg – s Bescht us 70 Joor» dieselben Namen, die immer wieder auftauchen, wenn man in der Schnitzelbangg-Geschichte gräbt.
Wenn man sie nun aber wieder einmal anhört, dann tauchen doch Zweifel auf, ob sie wirklich so zeitlos gut sind, wie man sie in Erinnerung hat. Zum Beispiel wenn das legendäre «Stachelbeeri» den ersten dunkelhäutigen Fussballer in einer Schweizer A-Mannschaft, den Peruaner Teófilo Cubilias, der 1973 das FCB-Leibchen trug, als «Negerli» bezeichnet:
Das wäre heute in Zeiten von Breel Embolo und Geoffroy Serey Die am Ball undenkbar. Die Frage ist, ob man heute durch den Nostalgiefilter leise oder etwas lauter über diesen Vers lachen darf, ohne sich dafür schämen zu müssen.
Unbestritten ist, dass das «Stachelbeeri» mit seinen kurzen Vierzeilern Schnitzelbangg-Geschichte geschrieben hat. Und dies vor allem mit seiner Fähigkeit, mit wenigen Worten auf eine überraschende und oftmals auch wirklich originelle Pointe zuzusteuern.
Dasselbe gilt auch für die «Standpauke», die das Publikum ebenfalls durch eine hohe Originalität im Versaufbau und durch überraschende Pointen zu begeistern wusste und zum Teil heute noch weiss. So etwa mit diesem Vers, der auch zum Lachen anregt, wenn der damals aktuelle Hintergrund, auf den er einst Bezug nahm, heute nicht mehr präsent ist:
Und bereits sind auch wir in der TagesWoche in die Siebzigerjahre-Falle getappt, die Michael Luisier mit seiner Doppel-CD aufgestellt hat. Nein, das «Angge-Bliemli» mit seinem legendären «Drämmli»-Vers lassen wir weg. Erstens, weil ihn sowieso jeder und jede nachsingen kann. Und zweitens, weil der Christoph Merian Verlag und Radio SRF die Hörproben, welche die TagesWoche hier einbetten kann, auf maximal fünf eingeschränkt haben.
Also sei hier auch auf alle Schwoobe- und Zircher-Värs, von denen es früher noch mehr gab als heute, verzichtet. Denn obschon Luisier auf diesem Gebiet bereits eine relativ rigorose Auswahl getroffen hat, sind auf den beiden CDs doch noch einige Bängg zu hören, die mit den nördlichen Nachbarn und der grossen Schweizer Stadt im Osten nicht zimperlich umspringen.
Aber das «Zytigs-Anni» muss hier rein. Dies vor allem, weil sie mit ihren politisch-kritischen Versen in der verbreitet von einem gutbürgerlichen bis leicht reaktionärem Humor geprägten Schnitzelbanggszene der 1970er-Jahre so etwas wie eine Sonderstellung einnahm. Etwa mit ihrem Bangg zum Jahr der Frau:
Und noch ein Schnitzelbangg aus den 1970er-Jahren, der ganz einfach hier rein muss: erstens, weil er ausgesprochen originell und hintersinnig aufgebaut ist. Zweitens, weil er auf eine gut sitztende Pointe hinführt. Und drittens, weil er wunderbar mehrstimmig gesungen ist. Hier nun also die «Schellede» mit ihrem Bangg zur Fusion der «National-Zeitung» mit den «Basler Nachrichten»:
Hochstehende Schnitzelbangg-Gegenwart
Wegen den vielen Must-Bängg aus den Siebzigern kommt die Gegenwart in der Fünferauswahl hier (aber nicht auf der CD) etwas zu kurz. Zu kurz, was die Qualität des Gebotenen angeht. Denn wer die Verse von einst und jetzt auf der Doppel-CD direkt miteinander vergleicht, kommt zum Schluss, dass früher eben doch nicht alles so viel besser war als heute. Oder positiv ausgedrückt: dass einige Bängg von heute in Sachen Originalität, Witz und Vortrag durchaus mit den Legenden von einst mithalten können.
Streamenswert unter den von Luisier ausgewählten Bängg des 21. Jahrhunderts und der Gegenwart wären unter anderem der «Doggter FMH», der «Spitzbueb» oder die «Strossewischer». (Andere sind hier ausgeschlossen, weil sie von den Herausgebern der Doppel-CD nicht für die Hörproben freigegeben wurden.)
Stellvertretend für viele gute zeitgenössische Bängg sei hier nun also der wunderbare Marathonvärs des «Singvogel» aus dem Jahr 2013 zu hören:
Die Schnitzelbangg-Restrospektive ist ein Hörgenuss vor allem für jene, die sich der Fasnacht oder dem speziellen Medium Schnitzelbangg gegenüber verbunden fühlen. Dass die Doppel-CD «gleichermassen einen Streifzug durch siebzig Jahre Stadt- und Weltgeschichte bietet», wie es im Medientext heisst, ist allerdings eine etwas hochgestochene Behauptung. Viele der bevorzugten Themen, der FCB, der Papst, der Umgang mit der Basler Regierung und dem Bundesrat, offenbaren über die vielen Jahre hinweg eine überraschende Übereinstimmung. Aber auch das hat durchaus seinen Reiz.
«Basler Schnitzelbängg – s Bescht us 70 Joor». Zusammengstellt vom Michael Luisier. 2014 Christoph Merian Verlag, Basel
(ISBN 978-3-85616-698-4). CHF 39.00
Streams: Mit freundlicher Genehmigung des Christoph Merian Verlags, © SRF, alle Rechte vorbehalten
Rockin‘ rollin‘ Schnitzelbank
Nichts mit der besprochenen Doppel-CD zu tun hat dieser Schnitzelbank: Zu hören sind Bill Haley und seine Comets mit den Song «Rockin‘ rollin‘ Schnitzelbank» aus dem Jahr 1957. Mit dem Basler Schnitzelbangg hat dieser Song allerdings nur am Rande zu tun. Er bezieht sich auf den «Schnitzelbank Song», der offenbar als Hochzeitslied bei deutschstämmigen Amerikanern beliebt war und zum Teil noch immer ist.