Die Sterbebegleiterin- und forscherin Monika Renz äussert sich kritisch über die Entscheidung des Theologen Hans Küng, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Sie plädiert für eine neue Sicht des Sterbeprozesses.
Der Schweizer Theologe Hans Küng leidet an Parkinson. Der 85-jährige hatte kürzlich seine Bereitschaft öffentlich gemacht, die Dienste einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch zu nehmen. Die St. Galler Sterbebegleiterin und -forscherin Monika Renz kritisiert, dass sich bei Küng in das «Gottesbild absoluter Barmherzigkeit unbemerkt eine Respektlosigkeit im Gegenüber letzter Geheimnisse mischt». Sie plädiert für eine neue Sicht des Sterbeprozesses.
Hans Küng, der an Parkinson leidet, sagt in seinem jüngsten und letzten Buch «Erlebte Menschlichkeit», dass er persönlich bereit sei, die Dienste einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch zu nehmen, gerade weil er an ein ewiges Leben glaube. Monika Renz, wie kommt das bei Ihnen an?
Ich stimme Hans Küng zwar zu, dass Suizidbeihilfe nicht nur agnostischen Personen zusteht und dass es umgekehrt auch nicht nur religiöse Menschen sind, die der Suizidbeihilfe kritisch begegnen. Doch er vermischt verschiedene Sachverhalte. Er geht in seiner eindrücklichen Schöpfungstheologie davon aus, dass der «gute Schöpfergott eine Reduktion des menschlichen Lebens auf ein rein biologisch-vegetatives Leben» nicht wolle. Kein gläubiger Mensch diesseits der Aufklärung möchte ihm da widersprechen. In das Gottesbild absoluter Barmherzigkeit mischt sich aber bei Küng unbemerkt eine Respektlosigkeit im Gegenüber letzter Geheimnisse ein: Wir wissen weder, was nach dem Tod kommt, noch ob, beziehungsweise wie Gott sei.
Sie meinen, wenn einer wie Hans Küng quasi alles auf die Karte eines barmherzigen Gottes setzt, bleibt kein Raum mehr für die Möglichkeit, dass diese Karte am Ende nicht sticht, sprich, Gott auch ganz anders sein könnte?
Ja. Das Gottesbild der Barmherzigkeit ist auch für mich eminent wichtig. Und doch darf es nicht dazu führen, Gott zu verharmlosen. Wir haben es hier zuallererst mit einer Dimension zu tun, die den Menschen übersteigt. Zweitens bedürfen wir dringend einer neuen Deutung vom letzten Gericht in der Theologie und Kulturgeschichte: Wenn ich die Erfahrung vieler Sterbender bedenke, so geht es durchaus um Barmherzigkeit, aber auch um Wahrheit und Würdigung. Etliche Sterbende, darunter auch solche, die zuvor keine Angst vor dem Sterben äusserten, signalisieren mitten im Prozess zwischendurch Unruhe und Angst. Viele signalisieren ein grosses Staunen oder einen Durchgang auf etwas hin. Der Mensch scheint nicht zu begreifen, sondern ergriffen zu sein und dies erst, nachdem er Kategorien irdischen Denkens und Handelns irgendwie hinter sich gelassen hat.
Sich diesem Prozess durch das Pochen auf selbstbestimmtes Sterben zu entziehen, halten Sie für fragwürdig, obwohl Selbstbestimmung ein Grundwert des Menschseins ist?
Der Begriff Menschenrechte kam als wichtige Errungenschaft der Aufklärung in den letzten Jahrzehnten neu ins Bewusstsein. Trotzdem ist ein Menschenrecht (etwa als Gefangener nicht zum Objekt erniedrigt zu werden) nicht identisch mit einer generellen Ansprüchlichkeit im Gegenüber der Natur. Ein Menschenrecht im Sterben wäre der Schutz Sterbender vor einem Zuviel an Eingriffen, Medikation, Apparatur. Hierzu gibt es Patientenverfügungen. Selbstbestimmung und Autonomie sind zu Lebzeiten wichtige Werte, aber sie kommen im Sterben natürlicherweise an ihr Ende. Der Begriff «selbstbestimmtes Sterben» ist irreführend und besagt vor allem eines: dass hier nicht begriffen wird, was in Todesnähe geschieht.
Hans Küng möchte mit 85 noch weitgehend selbstbestimmt sein. Dazu gehört für ihn auch der selbstbestimmte Tod. Er will sein Leben nicht verenden, sondern vollenden.
Sind Menschen je fähig, ihr Leben aus eigenen Stücken zu vollenden? Bei aller Hochachtung, die diesem hochkarätigen Kirchenkritiker gebührt, frage ich mich doch, ob er sich da nicht etwas übernimmt? Man darf Hans Küng positiv anrechnen, dass er sich gegen falschen Fatalismus wehrt. Er möchte nicht als gottgegeben hinnehmen, wie sein Bruder 1955 qualvoll an Hirntumor starb. Doch seit 1955 hat sich in der Medizin einiges verändert, auch in Richtung humanem Sterben.
Hans Küng kritisiert die Palliativmedizin: «Oft könnten einem Schwerstleidenden die Schmerzen nur genommen werden, wenn man ihn aller Wachheit und seines Willens beraube.» Was würden Sie ihm antworten?
Es geht meines Erachtens darum, immer tiefer zu verstehen, was im Sterbeprozess geschieht, etwa an Familienprozessen, Loslassen und innerer Erfahrung von Würde. Dann ist spezifische Unterstützung möglich. Nicht nur aufgrund von Medikamenten, sondern natürlicherweise ereignet sich oft im Sterbeprozess ein Hinübergleiten über eine Bewusstseinsschwelle.
Sie stehen der Suizidbeihilfe kritisch gegenüber. Warum?
Ich bin in Sorge. Ein Abgestumpftsein in unserer Gesellschaft gegenüber dem Leiden ist mit Händen zu greifen. Immer mehr Menschen wollen auf niemanden angewiesen sein und meinen, bis ins Letzte Macht und Kontrolle über das Leben haben zu können. Wenn aber der Geist des machtvollen Abwürgens überhandnimmt, hat das brutale Folgen zuerst für Hunderttausende von Kranken, die für sich ableiten, wertlos zu sein, ferner auf das Personal in Spitälern und Heimen, das sich dirigiert fühlt und schliesslich auf alle Kreatur und die menschliche Beziehungsfähigkeit. Das verstehen wir vorerst nicht: Beziehung ist nie nur selbstgestaltet, sondern immer auch ein Zulassen. Wo wir aber unsere Kreatürlichkeit nicht zulassen, verengt sich unser gesamtes Erleben, unsere Sinneswahrnehmungen, unsere Empfänglichkeit für Beziehungen, Gefühle, Spiritualität. Etwa kann dann auch echte Nähe in einer Beziehung kaum zugelassen werden.
Nicht nur Hans Küng, auch viele Zeitgenossen können ein schmerzhaftes Sterben ihrer Angehörigen kaum aushalten. Darum befürworten sie eine Verkürzung des Leidens. Wie sehen Sie das?
Man muss wissen, dass schmerzvolle Zustände von aussen betrachtet oft schlimmer erscheinen, als sie von innen, also vom Kranken selbst, erlebt werden. Wer schon einmal auf der Intensivstation war, hat eine Vorstellung von den Entstellungen dort. Das entsetzt. Doch oft zu Unrecht, wenn man bedenkt, was Nahtoderfahrungen über genau solche Situationen berichten.
Was bedeuten diese Nahtoderfahrungen und welche Erkenntnisse haben ihre Forschung über Sterbeprozesse ergeben?
Die menschliche Wahrnehmungsweise verändert sich auf den Tod hin. So kann Ohnmacht als schön erlebt werden. Wir kommen in einen Zustand ausserhalb «des Ichs». Während man im Ich und seiner Befindlichkeit Ängste und Bedürfnisse hat, in Raum, Zeit und mit dem eigenen Körper erlebt und auch im Leiden ganz gegenwärtig ist, sind Sterbende oft wie «ausserhalb» und darin friedlich. Von ihnen geht eine eindrückliche Atmosphäre aus.
Können Sie ein Beispiel erzählen?
Ein Mann, krebsbedingt bis zum Hals gelähmt, beschrieb nach einer Klangreise: «Jetzt bin ich einfach, derweil ich zuvor immer wartete.» Er nannte diesen Zustand «Freiheit».
Sie lehnen also Suizid ab?
Ich unterscheide zwischen Suizid als Verzweiflungstat und der erläuterten Ansprüchlichkeit, dem Bilanztod. Eine Verzweiflungstat kann ehrlicherweise niemand für sich ausschliessen. Ansprüchlichkeit hingegen macht – wie mich Patienten lehren – nicht glücklich, Schmerzen und Spannungen sind darin grösser. Auch wenn es eine zentrale Errungenschaft der Aufklärung ist, dass man die Strafwürdigkeit des Freitodes abgeschafft hat, haben wir es im Falle des um sich greifenden Anspruches auf Suizidbegleitung mit weit mehr zu tun.
Was antworten Sie einem Schwerkranken, der den Wunsch nach Sterbehilfe an Sie heranträgt?
Ich höre vor allem musikalisch hin: Wie sagt mir die betreffende Person das? Hat jemand wirklich Angst vor dem Leiden und dem Sterben, so können wir mit unserem heutigen Wissen um die sich verändernde Wahrnehmung Sterbender und unseren palliativmedizinischen Möglichkeit helfen. Geht es aber um Machtdemonstration, mag ich meist nichts sagen. Nicht der Einzelfall im stillen Kämmerlein, sondern das Phänomen, seine Vermarktung und sein Um-sich-Greifen sind von verheerender gesellschaftlicher Auswirkung. Von Hans Küng als weltbekanntem Theologen möchte ich eine Verantwortlichkeit über sich hinaus erwarten.
Sterben und Tod ist für Monika Renz, Leiterin der Psychoonkologie im St. Galler Kantonsspital, zum Begleiter des Alltags geworden. In ihrem Buch «Hinübergehen. Was beim Sterben geschieht. Annäherungen an letzte Wahrheiten unseres Lebens» beschreibt Monika Renz klar und sensibel wie Schwerkranke ihr Sterben erleben.