Von wegen Lehrermangel

Viele junge Lehrkräfte suchen an Basels Gymnasien vergeblich nach einer Anstellung. Grund dafür ist die Schulharmonisierung.

Am Ende der Schulweisheit: Wer sich als angehender Gymnasiallehrer nicht schon während der Ausbildung mit einer befristeten Anstellung in Position bringt, findet in Basel nur schwer eine Arbeit. (Bild: iStock/Nils Fisch)

Viele junge Lehrkräfte suchen an Basels Gymnasien vergeblich nach einer Anstellung. Grund dafür ist die Schulharmonisierung.

Für Silvia* aus Basel ist die Frus­tration gross. Sie hat schon Bewerbungen an Schulen in der gesamten Schweiz verschickt – bisher erfolglos, obschon sie ein Lehrdiplom mit hervorragenden Noten vorweisen kann.

Wer denkt, dass Lehrkräfte eine ­sichere Arbeitsstelle auf dem Silbertablett serviert bekommen, muss sich eines Besseren belehren lassen. Wie in anderen Branchen ist auch im Schulbetrieb der Markt hart und die Konkurrenz gross. Wenn Silvia vom grassierenden Lehrermangel hört, kann sie daher nur den Kopf schütteln. Sie wäre wahrscheinlich froh, gäbe es dieses Problem auf ihrer Stufe.

Silvia hat einen Masterabschluss der Uni sowie die Lehrberechtigung für die Fächer Italienisch und Spanisch für die Sekundarstufe II. Diese umfasst nicht nur die begehrten Gymnasien, sondern auch das KV sowie die Berufs- und Fachmaturitätsschulen. Doch auch dort sieht die Situation für Stellensuchende nicht besser aus.

Befristete Anstellungen sind rar

Die Abgängerin der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) ist mit einem Problem konfrontiert, das in den Medien kaum ein Thema ist: Während regional bei der Volksschule über Lehrermangel geklagt wird, können frisch gebackene Lehrkräfte wie Silvia oft nicht einmal eine befristete Anstellung finden.

Die Stellenknappheit an den Gym­nasien ist keineswegs ein neues Phänomen. Fälschlicherweise gehen manche Uni-Abgänger von der Annahme aus, dass man mit einem Lehr­diplom quasi eine Garantie auf einen Arbeitsplatz habe. Die oft zu hörenden Klagen über den Lehrermangel tragen ihren Teil dazu bei: Sie verschleiern die völlig anderen Realitäten auf dem Arbeitsmarkt.

Wie hoch die Zahlen der stellensuchenden Lehrkräften ist, ist nicht bekannt, da es keine Erhebungen zum Werdegang der PH-Abgänger gibt. Künftig könnte ihre Situation aber noch prekärer werden. Das Problem ist auch Hans ­Georg Signer bekannt. Der Leiter Mittelschulen und Berufs­bildung beim Basler Erziehungsdepartement prognostiziert, dass es mit der Umsetzung des Harmos-Konkordats noch enger werden dürfte. «Im Kanton Basel-Stadt wird die Situation für ­junge Lehrpersonen wegen der Verkürzung des Gymnasiums von fünf auf vier Jahre sicher schwieriger», meint Signer zu den Folgen des Schulreformprojekts, das einheitliche Lehrpläne in den Sprachregionen sowie eine bes­sere Kontrolle der Ergebnisse garantieren soll.

Verlierer der Schulharmonisierung

Leute wie Silvia gehören zu den Verlierern der Harmos-Umsetzung. Dabei ist aber auch nach Fach zu differenzieren. «Schlecht sind die Chancen in den Fächern Geographie, Bildnerisches Gestalten und Sport, gut sind sie in Physik», stellt Signer fest.

Um aber an die spärlich gesäten Stellen heranzukommen, reicht die Ausbildung allein oft nicht aus. «Das Problem ist, dass stets Arbeitserfahrung gewünscht ist, aber niemand dazu bereit ist, auch nur wenige ­Stunden anzubieten», kritisiert Silvia. Somit beisst sich die Katze in den Schwanz: Von jungen Lehrpersonen wird etwas gefordert, was sie in den meisten Fällen gar noch nicht haben können.

Wer bereits Kontakte zur Schule dank einer befristeten Anstellung hat, wird bevorzugt.

Die Weichen für einen erfolgreichen Berufseinstieg können schon während der Ausbildung gelegt werden. «Wer eine befristete Anstellung während des Studiums hat, kann einen Grossteil seiner Praktika in einer eigenen Klasse absolvieren und wird zusätzlich zur PH von der anstellenden Schule betreut», sagt Jürg Marti, Leiter Berufspraktische Studien Sek. II an der PH.

Hier drängt sich aber die Frage auf, wie man möglichst früh auf diesen Zug aufspringen kann. Für Markus*, Lehramtsstudent der Geschichte, ist der Fall klar: «All diejenigen werden bevorzugt, die bereits Kontakte zur Schule haben.» Diesen Eindruck hat auch der Sport- und Geografielehrer Stefan*, der schon seit fast zwei Jahren auf Stellensuche ist und sich von einer Stellvertretung zur andern hangelt, um sich über Wasser zu halten. Sogar in Brig und Chur hat er sich schon beworben. Sein Eindruck ist, dass «vieles über das Beziehungsnetz» laufe.

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Signer widerspricht vehement: «Es gibt keine Vetternwirtschaft an den Schulen», betont er. «Träfen die Vorwürfe zu, dann würde in der Tat gegen die Grundsätze und Vorschriften der Personalrekrutierung verstossen», hält er fest. Christian*, ein ausgebildeter Englisch- und Deutschlehrer, der sich ebenfalls schon lange auf Stellensuche befindet, kann dieser Erklärung nur bedingt zustimmen. «Wir haben ein Lehrerpatent erhalten, also muss man davon ausgehen, dass wir genauso kompetent unterrichten wie unsere Kollegen, die durch eine Stellvertretung oder Vitamin B an eine Stelle gelangt sind», meint er.

So unterrichtet beispielsweise eine Bekannte von ihm, die noch nicht einmal den Bachelor abgeschlossen hat, dank glücklicher Umstände an zwei Gymnasien. «Trotzdem ist ihr Platz praktisch jedes Schuljahr erneut garantiert, sie wurde sogar gegenüber Bewerbern bevorzugt, die bereits ein Lehrdiplom haben», ärgert sich Christian.

Die meisten festangestellten Lehrer an Basler Gymnasien sind «irgendwie hineingerutscht».

Auch Markus hat in seinen Se­minaren herumgefragt und erfahren, dass seine Kollegen bis auf wenige Ausnahmen nicht via Bewerbung zu einer Stelle gekommen, sondern «irgendwie hineingerutscht» seien. Wie manche seiner Kolleginnen und Kollegen beklagt er die mangelnde Transparenz bei den Ausschreibungen. Und Silvia, die an den Stellenbörsen kaum fündig geworden ist, plädiert dafür, dass die Schulen auch die befristeten Pensen ausschreiben müssten, damit Fairness gewährleistet sei.

Jürg Marti von der Pädagogischen Hochschule will diese Vorwürfe nicht stehen lassen. Bei Festanstellungen gebe es aufwendige Auswahlverfahren, bei denen das Beziehungsnetz keine Rolle spiele. Gehe es um kleinere Pensen, komme es in der Regel allerdings nicht zu Ausschreibungen. Dann wähle man Leute, die man kenne, «zum Beispiel durch die Leistungen in den Praktika».

Wege zum Erfolg

Sicher ist: Studentinnen und Studenten, die es schaffen, sich ein kleines Pensum zu ergattern, legen einen wichtigen Grundstein für die Lehrerkarriere.  Sie haben bereits während der Ausbildung einen Fuss im Schulbetrieb und bessere Karten bei der spä­teren Bewerbung um eine Fest­anstellung. Oder wie es Silvia auf den Punkt bringt: «Interne Bewerber, die eine befristete Anstellung haben, werden natürlich bevorzugt. Es macht schliesslich kein gutes Bild, wenn es ein Externer besser macht.»

Womöglich stehen Leuten wie ­Silvia, Markus, Stefan und Christian noch andere Hürden als nur fehlende Kontakte im Weg. Der deutsche Leh­rerforscher Tobias Haas zeigt in seiner Studie «Soziale Herkunftsverhältnisse und Bildungslaufbahnen von Lehrern» aus dem Jahr 2012, dass bei ­vielen erfolgreichen Gymnasiallehr­kräf­ten von Haus aus eine Nähe zu dieser Schulstufe zu finden ist.

Wie in anderen akademischen Bereichen spielt auch hier – in Anlehnung an den französischen Soziologen Pierre Bourdieu – das «kulturelle Kapital» eine Rolle für eine erfolgreiche Laufbahn. Mit anderen Worten: Nicht nur das Fachliche entscheidet, manchmal kann auch die Nähe zu diesem Beruf – sei es via Eltern, Bekannte oder ehemalige Lehrer – Wunder wirken.

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*Namen geändert

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