Von wegen Solaroffensive

Die Wohngenossenschaft Holeestrasse investierte über eine halbe Million Franken in eine Solaranlage und bekam von allen Seiten Lob. Nun muss sie die Anlagen trotzdem abreissen – weil die Anlage der Stadtbildkommission nicht passt. Kein Einzelfall.

(Bild: Solvatec)

Die Wohngenossenschaft Holeestrasse investierte über eine halbe Million Franken in eine Solaranlage und bekam von allen Seiten Lob. Nun muss sie die Anlagen trotzdem abreissen – weil die Anlage der Stadtbildkommission nicht passt. Kein Einzelfall.

SP-Grossrat Jörg Vitelli redete am Dienstagmorgen im Garten der Wohngenossenschaft Holeestrasse nicht lange um den heissen Brei herum, sondern brachte den Grund für die Medienkonferenz sofort auf den Punkt: «Brutschin fördert, Wessels bremst.» Alleine dieser Satz wäre eine Schlagzeile wert, dass es dann ausgerechnet in der Energiestadt Basel um Solaranlagen ging, brachte richtig Zündstoff rein.

Vitelli liess den Satz allerdings nicht lange wirken, sondern legte noch eine Schippe drauf: Aus Sicht des SP-Grossrats sind die Richtlinien des Bau- und Verkehrsdepartements für Solaranlagen in Basel-Stadt «formalistisch», «kleinlich» und vor allem «praxisfremd». Dann tat der 63-Jährige, was nach solcher Kritik am besten ist, er räumte das Feld für ein Beispiel – ein Beispiel, das den «Schildbürgerstreich»(Vitelli) der Verwaltung exemplarisch darlegen soll.

Bauinspektorat verlangte Nachrüstung und lehnte dann ab

Konkret geht es um die Solaranlage der Wohngengenossenschaft Holeestrasse an der Kaltbrunnenstrasse. Die Genossenschaft hat dort für 650’000 Franken eine Solaranlage gebaut, seit September 2012 produzieren die 100 Quadtratmeter Solarpanels rund 100 Kilowatt Strom (Nennleistung). «Die IWB waren voll des Lobes für unsere Anlage bei der Abnahme», sagt Denise Senn. Die Freude der Wohngenossenschaftspräsidentin über die Anlage währte allerdings nicht lange: Im vergangenen Winter löste sich Schnee von der Anlage auf dem Dach. Die Bau- und Gastgewerbeinspektorat kam daraufhin vorbei, man setzte sich zusammen und entschied, zusätzliche Dachlawinen-Stopper zu installieren. Das Inspektorat empfahl zudem eine Baubewilligung einzureichen, weil die «Richtlinie für Solaranlagen im Kanton Basel-Stadt» im Januar 2013 überarbeitet worden sei.

Waren die alten Gestaltungskriterien darin noch «schwammig» formuliert und überliessen Intepretationsraum, sind die neuen Gestaltungskriterien restriktiv. Was ohne Baubewilligung erlaubt ist und was nicht, wird mit Grafiken verdeutlich (nachfolgend ein Beispiel).

Gestaltungskriterien für Solaranlagen: Grün ohne Baugesuch möglich, schraffiert bewilligungspflichtig. (Bild: Solvatec)

Die Solaranlage der Genossenschaft hat Aussparungen für Dachfenster und Ablüfte, weshalb neu ein Baugesuch nötig wäre. Die Genossenschaft nahm nochmals Geld in die Hände, investierte in Dachstopper (2500 Franken) und das Baugesuch (6500 Franken). Baudirektor Hans-Peter Wessels lies in einem Briefwechsel mit Senn durchblicken, dass mit ein paar Anpassungen die Anlage schon in Ordnung gehen würde, sagt Senn.

Gekommen ist dann aber alles anders: Das Bau- und Gastgewerbeinspektorat hat die Baubewilligung der Wohngenossenschaft abgelehnt – mit dem Verweis auf die Stadtbildkommission. Die Photovoltaikanlage habe «keine gute Gesamtwirkung», schreibt diese gemäss Senn in der Begründung. Was auf Deutsch nichts anderes bedeute als: «Sieht nicht gut aus», wie Senn mit etwas anderen Ausdrücken am Dienstagmorgen vor den Medien erklärte. Die Solaranlage muss nun bis Oktober 2013 weg. «Wir verlieren damit insgesamt eine Investitionen zwischen 800’000 und einer Million Franken», sagt Senn.

«90 Prozent müssen neu Baugesuche einreichen»

Der Fall der Wohngenossenschaft ist nicht der einzige, sagt Jörg Vitelli: «Seit der Einführung der neuen Richtlinien müssen 90 Prozent der geplanten Solaranlagen ein Baugesuch einreichen, viele werden dabei abgelehnt, weil sie nicht die Solar-Richtlinie entsprechen», sagt der Grossrat: «Die Katze beisst sich damit in den eigenen Schwanz.» Die Idee und der politische Wille des 2009 verabschiedeten Energiegesetzes sei eine Solar-Offensive gewesen, sagt Vitelli, Mitglied Umwelt, Verkehrs- und Energiekommission (UVEK): «Solaranlagen sollten bewilligungsfrei erstellt werden dürfen.» Tatsächlich wirkt es irrwitzig, wenn man die Richtlinie, mit der «das Bau- und Verkehrsdepartement sowie das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt des Kantons Basel-Stadt Solaranlagen fördern» wollen (Zitat aus der Richtlinie), indem sie festlegen, wie man ohne Baugesuche eine Anlage bauen kann, als Massstab nimmt für Solaranlagen, die eben baubewilligungspflichtig wären.

Dominik Müller kann jedenfalls nur noch darüber lachen. Der Solarunternehmer hat seit Anfang Jahr zwölf Baugesuche eingereicht. Nur eines kam ohne Anpassung durch. «Eine kleine Anpassung bedeutet bei einer Photovoltaikanlage allerdings immer eine Leistungsreduktion und damit stellt sich für den Bauherren die Frage: Lohnt sich eine Anlage noch angesichts der Fixkosten?» Rückendeckung erhält Müller mit seiner Kritik von der Konkurrenz: Guido Köhler von Altenosolar sagt, dass die Richtlinien zwei entscheidende Punkte nicht berücksichtigen – «die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit». Die Gestaltungkriterien würden sich nicht auf die Realtität in Basel beziehen. «Das Gestaltungsbeispiel (oben im Bild, ganz rechts) mit den Aussparrungen ist nicht eine Ausnahme in Basel, sondern die Regel.» Die Richtlinie lasse sich deshalb in der Praxis gar nicht umsetzen, sagen beide Solarunternehmer unisono.

Wirtschaftlichkeit steht nicht im Gesetz, argumentiert BVD

Das Bau- und Verkehrsdepartement (BVD) ist sich dessen bewusst. Sprecher Marc Keller schreibt in einer Stellungnahme, dass der Interessengegensatz zwischen Ästhetik und Wirtschaftlichkeit durchaus auftreten könne. «Nur ist dazu zu sagen, dass die ‹Ästhetik› im Baugesetz verankert ist.» Dass allerdings die Gestaltungskriterien so restriktiv sind und praktisch keine Aussparungen ausweisen dürfen, läuft nicht nur gemäss Vitelli der angestrebten Solaroffensive zuwider.

Bereits im März 2013 hat Ruedi Rechsteiner eine Motion eingereicht, in der der SP-Grossrat fordert, dass die Bauherrschaft mehr Freiheiten erhalten soll in der Gestaltung. Konkret sollen die Abstände am Rand der Dächer von 50 Zentimeter auf 20 verkleinert werden. Ob Kamine, Fenster und andere Aussparrungen eingekleidet werden, soll die Besitzer selbst entscheiden. Die beiden Solarunternehmer würden einen solchen Schritt begrüssen. «Solarpanels haben eine Standardgrösse. Wie viel Abstand am Rand des Daches entsteht, ist somit weitgehend gegeben, wenn man nicht auf eine ganze Reihe Panels verzichten will», sagt Müller.

Keine Praktiker bei der Erarbeitung der Richtlinie dabei

Dass bei der Erarbeitung der Richtlinie keiner gemerkt hat, dass den Gestaltungskriterien technische Machbarkeit und Realität entgegen stehen und folglich für die Bauherren teuer werden, führt Jörg Vitelli auf einen ziemlich simplen Grund zurück: «An dieser Richtlinie haben keine Praktiker mitgearbeitet.» Das BVD bestätigt das, Sprecher Keller schreibt aber: Es sei bei der Erarbeitung der Richtlinie «um die transparente und objektiv nachvollziehbare Darlegung dessen, was von der Ästhetik gesehen möglich sein soll und was nicht» gegangen. «Die Praktiker kommen zum Zug, wenn es um die Realisierung der Anlagen geht», so Keller in der Stellungnahme.

Das BVD widerspricht auch, dass die Richtlinie als Entscheidungsgrundlage für Baugesuche dienen würde. Keller schreibt: «Wenn eine Anlage der Richtlinie nicht entspricht, heisst das noch nicht, dass sie nicht realisiert werden kann –  es heisst, dass es dann ein Baubewilligungsverfahren braucht, in dessen Verlauf die Anlage im Einzelfall beurteilt wird und gegebenenfalls angepasst werden kann.» Worauf aber dann die Entscheidung basiert, steht allerdings nicht in der Stellungnahme.

Vitelli fordert Moratorium

Für Jörg Vitelli gibt es dennoch nur eine Konsequenz: Die sofortige Aufhebung der Solarrichtlinie, ein Moratorium für abgelehnte Solaranlagen und eine absolute Bewilligungsfreiheit für Anlagen ausserhalb der Schutzzone und mit Ausnahme für denkmalgeschützte Häuser. Vitelli geht damit noch einen Schritt weiter als Rechsteiner in seiner Motion. Ein stechendes Argumente haben beide: Die Richtlinie widerspricht gemäss beiden dem neuen Raumplanungsgesetz (am 3. März 2013 vom Volk angenommen). Nach neuem Recht bedürfen «auf Dächern genügend angepasse Solaranlagen keiner Baubewilligung» und vor allem heisst es im Gesetz weiter: «Gehen die Interessen an der Nutzung der Solarenergie auf bestehenden und neuen Bauten den ästhetischen Anliegen grundsätzlich vor» (Absatz 4).

Das BVD sieht das allerdings nicht ganz so. «Wir lesen dieses Bundesgesetz zurzeit so, dass der grundsätzliche Vorrang des Nutzens einer Anlage vor der Ästhetik NICHT heisst, dass gar keine Ansprüche an die Ästhetik mehr gestellt werden dürfen», schreibt Keller. Aber auch: «Inwieweit das neue Raumplanungsgesetz die Richtlinie beeinflusst, wird zurzeit noch abgeklärt.»

Was für ein Pech

Der Wohngenossenschaft Holeestrasse und den anderen abgelehnten Baugesuchen bringen im Moment weder Motion noch Interpellation wenig. Sie können nur auf eine wohlwollende Prüfung des Rekurses hoffen. «Aber vielleicht klappt es ja», sagt Präsidentin Senn, «mit etwas Aufmerksamkeit der Medien für das Thema.» Jörg Vitelli sieht jedenfalls Parallelen zum «Lonza-Entscheid». Die Stadtbildkommission sagte dort auch erst «nein» zu einer Solaranlage, Baudirektor Hans-Peter Wessels revidierte den Entscheid letztlich aber.

Die Pointe der Geschichte bleibt aber wohl, dass die Stadtbildkommission zurzeit neuorganisiert wird. Die Stadtbildkommission verliert an Einfluss und bearbeitet in Zukunft nur noch Fälle «von grosser Tragweite und von grundsätzlicher Natur», wie es in einer Mitteilung der Verwaltung vom Februar heisst. Alles andere wird neuerdings einem Fachsekretariat übertragen. Die Reorganisation ist allerdings noch nicht abgeschlossen. «Was für ein Pech», werden die Genossenschafter wohl denken.

Die Solaranlage der Genossenschaftwurde von der Firma Solvatec gebaut. Im Interview mit der BZ äussert sich Geschäftsleiter Dominik Müller ausführlich zur Anlage: «Das widerspricht der bisherigen Politik des Kantons»

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