Als Direktor des Basler Theaters schrieb Werner Düggelin Geschichte. Seine Inszenierungen provozieren und bewegen die Öffentlichkeit bis heute.
Juni 1967: Werner Düggelin steckte als bereits gewählter neuer Direktor des Basler Theaters mitten in den Vorbereitungsarbeiten und sollte schon bald für sieben Jahre die Gesamtverantwortung für ein Theater übernehmen. Dies als grosse Ausnahme im Curriculum des ansonsten freischaffenden Regisseurs.
Wahrscheinlich war es eine 1967 präsentierte Inszenierung von Jean Genets «Balcon», einem Stück aus dem Jahr 1956 (von Peter Brook 1960 uraufgeführt), mit einer Handlung, die in einem Bordell spielt, mit Bekenntnissen eines Bischofs, eines Richters und eines Obersten über ihre perversen Vorlieben, was einen Teil Basels in Rage brachte und «Dügg» zur Zielscheibe der Kritik machte.
Darum hat ihn der Fotograf vor dieses Kunstwerk gestellt. Vor eine Gemeinschaftsarbeit von Dorothee und Armin Hoffmann, die sich am Aeschenplatz an der Mauer der Genossenschaftlichen Zentralbank/Bank Coop befand und inzwischen wieder entfernt wurde. Das Kunstwerk assoziiert die drehende Scheibe, auf denen sich Opfer exponieren, damit Artisten ihre Messer nach ihnen werfen.
Düggelin mimt nicht das ergebene Opferlamm. Er nimmt ganz im Gegenteil eine – beinahe – lässig drohende Pose ein, fixiert das Gegenüber und zündet sich, um vor dem Zuschlagen etwas Zeit zu gewinnen, eine Zigarette an, was – ebenfalls beinahe – so wirkt, wie wenn er eine Zündschnur in Betrieb setzen würde. Wie Jean-Paul Belmondo in Godards «Pierrot le fou» von 1965.
Düggelin mimt nicht das ergebene Opferlamm – im Gegenteil.
Der halb offene Kragen mit der dünnen Krawatte – eine Mischung von Konvention und Konventionsbruch. Düggelin ist da 38-jährig, hat noch viel vor sich. Vor dem geistigen Auge kann man mit einem Zeitsprung Bilder des heute über 80-jährigen, noch immer aktiven Düggelin vor sich aufscheinen lassen, mit dem Ausdruck eines Menschen, der ein volles Leben gehabt hat. 1995 verlieh ihm Basel, wo er trotz seiner weitläufigen Engagements immer noch eine feste Adresse hat, den Kulturpreis. Noch 2011 hat er die Stadt mit einer hervorragenden Inszenierung von Eugen Ionescos «Die Unterrichtsstunde/La Leçon» beschenkt.
Sein Wirken in Basel war derart prägnant, dass man von einer Ära spricht. Der Eintrag im Historischen Lexikon der Schweiz hält für jene, die diese Ära miterlebt haben, wie für die diesbezüglich zu spät Geborenen zutreffend fest, dass er in den Jahren 1968 bis 1975 mit einem hervorragenden Ensemble engagierte Inszenierungen realisiert habe, die den Zeitgeist aufgriffen und die Öffentlichkeit bewegten.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.04.13