Warum der Aufstand? Das ist eine Chance!

In der Politik war die grosse Schulreform ein grosser Erfolg. Bei der Umsetzung stossen die Basler Behörden nun aber auf ganz normale Menschen – und auf viel Unverständnis.

Haben bald einen neuen Schulweg: Die Kinder im Erlenmatt-Quartier. (Bild: Hansjörg Walter)

In der Politik war die grosse Schulreform ein grosser Erfolg. Bei der Umsetzung stossen die Basler Behörden nun aber auf ganz normale Menschen – und auf viel Unverständnis.

Klar: Die Planer setzen sich schon seit Jahren damit auseinander.

Auch klar: Die Politiker und Behörden haben schon ganz viele, ganz wichtige Entscheide dazu gefällt. Und wir Journalisten haben pflichtschuldigst Bericht erstattet.

Nur: Wirklich interessiert dafür hat sich bis vor Kurzem noch niemand, weil alles viel zu kompliziert war. Und vor allem: zu theoretisch.

Das ist nun plötzlich anders. Kompliziert ist die Schulreform zwar immer noch. Dafür zeigen sich jetzt die prak­tischen Auswirkungen: Wo werden Schulen aus- oder gar neu gebaut? Wo müssen Kinder in ein anderes Schulhaus verlegt werden?

Drastisch sind die Folgen ausgerechnet im Kleinbasel, wo man sagt, was Sache ist und nicht auch noch den grössten Schyssdrägg zur «interessanten Herausforderung» hochstilisiert.

Die Schulbehörden wussten also, was auf sie zukommt bei ihrer Infor­mationsveranstaltung über Sanierung und Ausbau des Bläsischulhauses. Das war wohl auch der Grund, warum sie alle möglichen Expertinnen und Experten aufboten für den Gang ins Volks­haus, wo der Anlass am Montagabend stattfand. Stattfinden musste, weil das Bläsischulhaus für die vielen interessierten Eltern zu klein gewesen wäre.

Gaanz langsaam und d-eu-t-l-i-ch

Im grossen Volkhaus-Festsaal wurden die mehreren Hundert Anwesenden von der Schulleiterin betont freundlich begrüsst. Dann übernahm Anita Crain das Wort. Die Leiterin Schulkreis IV im Erziehungsdepartement sprach gaanz langsaam und d-eu-t-l-i-ch, wohl damit die ebenfalls aufgebotenen Dolmetsche­rinnnen die wichtigsten Begriffe mitschreiben konnten. Und sie möglichst auch noch Zeit fanden, um sich die Übersetzung auf Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Türkisch, Serbokroatisch und Albanisch zurechtzulegen. Auf Behördendeutsch lauteten sie so:
– «Harmos»: die Schulreform, die eine Verlängerung der Primarschulzeit von vier auf sechs Jahre und eine entsprechende Verkürzung der Sekundarschulzeit mit sich bringt.
– «Wechselplanung»: einige Schulhäuser werden zum Teil umfunktioniert, ausgebaut oder auch verkleinert. Danach werden die Schüler neu auf sie verteilt.

Oder einfach ausgedrückt: Die Primarschule erhält mehr Platz und die Sekundarschule weniger, wie Crain bilanzierte. Was schon rein logistisch eine sehr komplexe Herausforderung sei. So komplex offenbar, dass auch die Behörden die Zuteilung zu den einzelnen Schulen nicht mehr richtig darstellen können. Auf einer Folie, die Crain präsentierte, waren ganze Gebiete im Kleinbasel gar keiner Schule mehr zugewiesen. «Was natürlich nicht heisst, dass die Kinder dort in Zukunft nicht mehr zur Schule gehen müssen», versicherte die Leiterin des Schulkreises IV.

Als das geklärt war, lag es am nächsten ED-Vertreter, Stephan Hug, auf die Komplexität der gesamten Bauplanung infolge der Wechselplanung hinzuweisen. In dieses Geschäft seien nicht ­weniger als drei Departemente involviert, erläuterte der Leiter der Fachstelle Schulraumplanung. Das Erziehungsdepartement als Besteller, das Finanzdepartement als Investor und das Baudepartement als Ersteller. Dass diese Aufgabenteilung alles noch komplizierter macht, als es ohnehin schon ist, sagte Hug nicht, sonst hätte er wohl ein Problem mit dem Chef bekommen.

Dafür erzählte er einiges über das alte Bläsischulhaus, das erstens saniert und zweitens im Bereich der Aula, der Sport- und Schwimmhalle erweitert werden soll. Zwei Projekte, so Hug, die leider nicht gleichzeitig durchgeführt werden könnten, wegen unterschied­lichen Planungsabläufen, unterschiedlichen Bewilligungsverfahren, unterschiedlichen Fristen et cetera, et cetera.

Fakt ist jedenfalls, dass die Kinder während der Bauphase an einen anderen Standort verlegt werden müssen, ein Teil von ihnen auf die Erlenmatt, so Hug. Auf die Grossbaustelle Erlenmatt, in Container, wie die Eltern sagen. Oder auf das Wachstumsgebiet Erlenmatt, in schmucke Pavillons, Minergiestandard notabene, die wunderbar kreisförmig angeordnet werden, so dass eine schöne Hofsituation entsteht, wie Hug es darstellt. Gut, eine Idylle wie in Riehen werde vielleicht nicht gerade entstehen, wie auch er einräumt. «Alles nur Menschenmögliche wird aber getan für Ihre Kinder.»

Das bezweifelten allerdings einige Eltern. Warum ausgerechnet auf die Baustelle Erlenmatt?, wollten sie wissen. Weil es im dicht besiedelten Kleinbasel sonst keinen Platz habe, sagte Hug. Das Gebiet Erlenmatt sei darum ein Glücksfall. Und was ist mit dem Horburgpark?, wollte eine fremdsprachige Mutter wissen. Der wäre doch viel schöner. Leider eine Grünzone, lautete die Antwort.

Ja aber, der Kanton macht doch die Gesetze, dann kann er doch sicher auch … Nein, in der Schweiz ist es so, dass sich auch die Behörden ans Gesetz halten müssen. Gerade sie.

Wachtmeister in Nöten

Nach diesem nächsten Dämpfer für die Eltern war die Reihe am nächsten ED-Vertreter. Man müsse den ganzen Umzug als Chance begreifen, sagte er. Da es im Gebiet Erlenmatt noch keine Turnhalle gebe, könnten die Klassen im Turnunterricht nach draussen, alternative Bewegungsformen praktizieren. Das sei doch toll!

Es war ein nett gemeinter Versuch. Aber auch nicht mehr. Ungleich viel mehr als für alternative Bewegungs­formen interessierten sich die Eltern nämlich für die Verkehrsproblematik – das Fachgebiet der beiden Wacht­meister Zuber und Bombardini, die ebenfalls auf der Bühne des grossen Festsaals Platz genommen hatten. «Wir helfen uns immer gegenseitig, manchmal ich ihm, heute er mir. So läuft das bei uns in der Kantonspolizei», erklärte Zuber gleich zu Beginn stolz. Dann verriet er auch noch, dass er schon ein wenig «erschrocken sei», als er hörte, dass die Kinder im nächsten Schuljahr im Erlenmatt-Quartier in die Schule gehen müssten. Doch dann habe er sich die Strassen in dem Gebiet genau angeschaut und gemerkt: Nein, ganz so schlimm wie befürchtet werde es doch nicht.

Bei seinen Erkundungen im Kleinbasel hat Wachtmeister Zuber nämlich einen sicheren Weg auf die Erlenmatte entdeckt, den er den Eltern nun mit vielen Folien und noch mehr Erläuterungen vorführen wollte. Der Verkehrsinstruktor zeigte «komfortable Trottoirs», er zeigte Fussgängerstreifen mit Sicherheitsinseln, auf die sich die «Kinder im Notfall retten könnten», und schliesslich konnte er sogar noch eine Begegnungszone präsentieren, in der die Kinder als Fussgänger Vortritt haben und die Autos nicht schneller als 20 fahren dürfen.

«Absolute Profis»

Umso gefährlicher sind die anderen Wege in die Erlenmatt, die – je nach Wohnort – einiges kürzer sind. Auch das wollte der wackere Wachtmeister an diesem Abend keinesfalls verschweigen, nachdem er auch schon bei den «entscheidenden Instanzen wegen baulicher Massnahmen inter­veniert» hatte, wie er sagte. Das war der Moment, in dem ein Anwesender nach vorne schrie, der Herr Wachtmeister hätte auch gleich auf die wirklichen Probleme zu sprechen kommen können, anstatt so «lange um den ­heissen Brei herum» zu reden. Und eine Mutter beklagte sich darüber, dass nicht einmal die Tempo-30- und Tempo-20-­Zonen sicher seien: «Weil sich dort eh kein Schwein an die ­Tempolimiten hält.»

Spätestens jetzt hätte Zuber die ­Hilfe seines Kollegen wohl tatsächlich ­nötig gehabt. Aber der half nicht, der sass nur da, in Denkerpose.

Also sprach Zuber weiter. Die in­volvierten Fachstellen würden ihre ­Abklärungen nun treffen und die nötigen Massnahmen vornehmen, da könne man vollstes Vertrauen haben. Und er selbst werde bei seinen regelmäs­sigen Schulbesuchen selbstverständlich auch die Kinder nochmals auf die Proble­matik hinweisen. Und natürlich werde er auch die Tram- und Busfahrer sensibilisieren.

Der Wachtmeister meinte es offensichtlich gut, aber das nutzte nichts. Zuber musste an diesem Abend jedenfalls noch häufig versichern, dass man den Fachstellen schon vertrauen könne, vertrauen müsse («das sind ­absolute Profis»). So häufig, dass sich in den hinteren Reihen die ersten auf den Heimweg machten, weil sie sich dieses «Gschnur» nicht weiter anhören wollten.

Wenigstens sagte Bombardini irgendwann doch noch etwas: «Es ist ja auch so, dass wir regelmässig in die Schule gehen, um die Kinder zu instruieren, wie sie sich bei der Überquerung ­einer Strasse verhalten müssen: Warte, luege, lose, laufe.»

Eine wirkliche Hilfe war allerdings auch das nicht. Die Fragen gingen ­weiter. Warum die gefährlichen Stellen nicht auch im Kleinbasel besser überwacht werden könnten, während im Grossbasel bei jeder Baustelle ein paar Sicherheitsleute stehen? Warum an der Bläsischule so lange herumgebaut ­werde, während die Messeneubauten in Rekordzeit hochgezogen würden? Sind die Kinder denn tatsächlich so viel weniger wichtig als die Wirtschaft?

Interessante Fragen, auf die es allerdings keine wirkliche Antwort gab. ­Dafür erfuhren die Eltern von zwei wei­teren Expertinnen noch, dass der Betrieb des Mittagstisches auf der ­Erlenmatte gewährleistet sei und das Fixerstübli nicht so nah am Schulweg liege, dass irgendwelche Probleme befürchtet werden müssten. Das habe eine eingehende Analyse ergeben (auch wenn es ein kurzer Blick auf die Karte wohl auch getan hätte).

Botschaft kommt nicht an

Die Botschaft der Behörden war klar: Sie nehmen die Bedenken der Eltern ernst und sie werden die nötigen Massnahmen ergreifen. So sprachen sie auch schon von der Möglichkeit ­eines Schulbusses (und Wachtmeister Zuber versprach so ganz nebenbei noch, sich auch noch um die eine ­kaputte Signalanlage im Kleinbasel zu kümmern).

Nur: Die Botschaft kam bis zum Schluss der Veranstaltung nicht an, den einige Eltern gar nicht mehr mit­bekamen, weil sie sich erst einmal das Wichtigste von den Übersetzerinnen nochmals erklären lassen mussten oder aus Ärger oder Langeweile schon früher heimgingen.

Irgendwie ist halt immer noch alles etwas kompliziert. Und unpraktisch auch.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12

Nächster Artikel