Billiger Strom lockt. Darum wechseln immer mehr Unternehmen und Verteilwerke in der Schweiz vom Monopol in den Markt. Das Problem ist nur: Dieser Markt ist von Subventionen arg verzerrt und verhindert Investitionen in notwendige Reservekraftwerke. Eine Analyse.
Der Markt elektrisiert: Schon seit 2007 verhandelt die Schweiz mit der EU über ein Abkommen, das ihr den Zugang zum voll liberalisierten europäischen Strommarkt erleichtern soll. Und seit 2009 ist der Schweizer Strommarkt teilweise geöffnet, nämlich für Endverbraucher, die jährlich mehr als 100’000 Kilowattstunden (kWh) Strom verbrauchen, sowie für kommunale Verteilwerke.
Mittlerweile wechseln immer mehr dieser Zutrittsberechtigten vom Monopol in den Markt. Grund: Die Wirtschaftskrise und Überkapazitäten an Kraftwerken drücken die Preise auf dem europäischen und nationalen Strommarkt unter die mittleren Produktions- und Bezugskosten von Schweizer Stromunternehmen, welche die Grundlage für die Tarife im Versorgungsmonopol bilden.
Wachsende Probleme
Während sich die Grossverbraucher über die tiefen Preise freuen, wachsen die Probleme für Produzenten, Netzbetreiber und Regulatoren. Denn der Markt ist verfälscht, funktioniert schlecht und erfordert zusätzliche staatliche Regulierung, um die Stromversorgung zu sichern. Die Stromkonzerne im In- und Ausland machen dafür primär den wachsenden Anteil an subventioniertem Solar- und Windstrom verantwortlich, der die speicherbare Wasserkraft unrentabel mache. Doch damit erklären sie nur den letzten und kleinsten Teil der Misere.
Die Subventionsspirale
Die Hauptursache für die Marktverzerrung begann früher und liegt tiefer: Vier Fünftel des Stroms in Europa stammen heute immer noch aus Kohle-, Öl-, Gas- und Atomkraftwerken. Diese werden nicht nur indirekt subventioniert, weil die Ausbeutung der nicht nachwachsenden Ressourcen sowie die Risiken und Umweltschäden in den Strompreisen nicht enthalten sind, sondern auch direkt. Allein die direkten Subventionen für fossile und nukleare Kraftwerke belaufen sich in Europa pro Jahr auf umgerechnet 66 Milliarden Franken. Das zeigt eine Studie der EU, welche die Süddeutsche Zeitung kürzlich veröffentlichte.
Um die subventionierte nicht erneuerbare Energie zu ersetzen, wird nun auch die Nutzung der erneuerbaren Energie mit jährlich 37 Milliarden Franken subventioniert, zeigt die EU-Studie weiter. Das schmälert die Renditen der nicht subventionierten Wasserkraft, insbesondere der neuen Pumpspeicherwerke in den Alpen. Deren Betreiber fordern nun ebenfalls Subventionen. Zudem macht der billige Kohlestrom die neuen, effizienteren und weniger CO2 ausstossenden Gaskraftwerke unrentabel. Das trifft Schweizer Stromkonzerne ebenfalls; sie mussten ihre Gaskraftwerke im Ausland stark abschreiben oder mit Verlust verkaufen.
Stromversorgung in Gefahr
Die aktuelle Lage auf dem europäischen Strommarkt, so bestätigten die Informationen an einer kürzlich durchgeführten Fachtagung der Schweizerischen Vereinigung für Energiewirtschaft, lässt sich wie folgt zusammen fassen: Bandstrom aus alten ineffizienten Kohlekraftwerken und unregelmässig anfallender Strom aus Wind- und Solarkraftwerken mit tiefen variablen Kosten bestimmen die aktuellen (tiefen) Marktpreise. Investitionen in Wasser- und Gaskraftwerke, die es mittelfristig braucht, um die schwankende Stromproduktion von Wind- und Solarkraftwerken flexibel auszugleichen, rentieren nicht und werden darum unterlassen.
Der viel gelobte Markt wandelt sich im Strombereich immer mehr zu einem hoch subventionierten, ineffizienten und bürokratischen Monster.
Der Grund dafür: Die Überkapazitäten in der subventionierten Stromproduktion bewirken, dass die Laufzeiten von neuen, aber auch von alten Kraftwerken sinken. Dadurch steigen ihre Produktionskosten pro Kilowattstunde weit über das Marktpreisniveau. Darum kann der verzerrte Strommarkt die notwendigen Kraftwerkreserven nicht mehr finanzieren. Deutsche Stromkonzerne erwägen sogar, bestehende fossile Kraftwerke still zu legen. Das erhöht das Risiko von Zusammenbrüchen der Stromversorgung.
Neues «Marktdesign» – mehr Bürokratie
Unter dem Schlagwort «neues Marktdesign» diskutieren nun Ökonomen und andere Experten, wie sich das Versagen des Strommarktes korrigieren lässt. Im Mittelpunkt stehen komplizierte Konzepte zur Schaffung von sogenannten «Kapazitätsmärkten». Dabei geht es darum, neben der produzierten Strommenge auch die Bereitstellung der Kraftwerkkapazität in den Strommarkt zu integrieren und zu fördern. Das erfordert allerdings zusätzliche Regulierung. Der viel gelobte Markt, der den Austausch von Waren und Dienstleistungen erleichtern und den Wettbewerb fördern soll, wandelt sich im Strombereich immer mehr zu einem hoch subventionierten, ineffizienten und bürokratischen Monster.
Bei all diesen Problemen fragt sich: Warum soll die Schweiz ihre Stromversorgung weiter liberalisieren? Die Antwort: Weil die EU im Rahmen der Verhandlungen über ein Stromabkommen eine volle Marktöffnung von der Schweiz verlangt.