Warum wir Giacobbo/Müller vermissen werden

Viktor Giacobbo und Mike Müller führen am Sonntag letztmals durch ihre Satiresendung. Jahrelang haben sie der deutschen Schweiz und auch dem SRF selber den Spiegel vorgehalten. Am stärksten waren sie in den Rollenspielen. Und am mutigsten oft, wenn sie jungen Talenten einen Auftritt ermöglichten.

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Viktor Giacobbo und Mike Müller führen am Sonntag letztmals durch ihre Satiresendung. Jahrelang haben sie der deutschen Schweiz und auch dem SRF selber den Spiegel vorgehalten. Am stärksten waren sie in den Rollenspielen. Und am mutigsten oft, wenn sie jungen Talenten einen Auftritt ermöglichten.

Es ist sehr einfach, über das Humorverständnis des Schweizer Fernsehens zu lästern. Gerade wenn man sich vor Augen führt, worüber die Unterhaltungsabteilung am Leutschenbach offenbar selber lacht. Remember Benissimo-Sketche? Remember Blackfacing?

Bald heisst es auch: Remember Giacobbo/Müller? Diese Erinnerung wird ebenfalls schmerzen. Aber aus einem ganz anderen Grund: Weil wir sie vermissen werden. Weil sie einen guten Job gemacht haben. Weil sie einen schwierigen Job gut gemacht haben.

Weil sie mit ihren Beiträgen, mit ihren Parodien, mit ihren klugen, witzigen und auch mal plumpen Sprüchen sehr gut unterhalten haben. Und weil sie so die urbane und ländliche Schweiz humorvoll vereint haben.

Natürlich: Giacobbo/Müller hatten ihre Durchhänger, und ja, auch sie haben mal in die untere Schublade gegriffen, um mit Ostschweizer Fasnachtshumor ein paar Lacher zu ernten (remember Rajiv?).

Meist aber waren ihre Figuren überaus raffiniert und lustig. Erinnern Sie sich an Werner Sommerhalder, den Fruktarier aus dem Thurgau? 

Grossartig doch auch das kürzliche Aufeinandertreffen des bekanntesten Zürcher Junkies mit dem Berner Burri Hanspeter:

 

Und nicht zu vergessen natürlich Harry Hasler aus Schwamendingen. Souverän gelang es Viktor Giacobbo vor den US-Wahlen, die globalen Gemeinsamkeiten des Populismus zusammenzuführen. Was heute als «postfaktisch» bezeichnet wird, führte er mit Haslers Halbwissen satirisch vor: Da wird behauptet, verdreht und gepoltert. Warum Gölä zeigen, wenn man Harry Hasler hat?

 

Dass Viktor Giacobbo und Mike Müller in diesen Rollen aufgegangen sind, hat man bis zuletzt spüren können: Liebevoll, wie sie die verschiedensten Dialekte und Typen imitierten: vom subventionierten Bauern über den grauen Buchhalter bis zur fülligen Feministin. Die Vielfalt der deutschen Schweiz, sie war durch die Parodien in dieser Sendung oft besser abgebildet als im klassischen Unterhaltungsprogramm, das sich dann doch eher an den Interessen des ländlichen Jass-Publikums orientiert. 

Die Rollenspiele, sie waren die grösste Stärke von Giacobbo/Müller. Wenn eine Pointe in ihrem Wochenrückblick nicht verfing, wenn ihre Medienschau nicht ganz so komisch daherkam: Mit den Einspielern machten sie die Durchhänger wieder wett, liefen darin zur Höchstform auf. Und trösteten auch darüber hinweg, dass die Interviews zahmer geworden waren: Altersmilde schien sich bei den Gesprächen mit prominenten Politikern einzuschleichen, waren die Fragen doch zu Zeiten von Viktor’s Spätprogramm schärfer, die Interviews konfrontativer.

Frech waren dafür oft die Jungen, die hier eine Plattform erhielten: Zum grossen Verdienst von Giacobbo/Müller gehörte gerade auch die Förderung. Man muss den Appenzeller Bassvirtuosen Dani Ziegler nicht lustig finden, man kann Fräulein DaCapo oder Phil Hayes nachtrauern, aber unabhängig von Geschmack muss man festhalten: Schön, dass solche Musiker eine wichtige (karrierefördernde) Plattform erhalten haben, zumal das Fernsehen Schweizer Musik fernab des Massengeschmacks ansonsten kaum noch Platz einräumt.

Noch bedeutender war aber die Förderung von Nachwuchs-Komikern und Poetry Slammern. Nico Semsrott etwa, dessen depressive Pointen man ohne Giacobbo/Müller hierzulande wohl kaum kennen und schätzen gelernt hätte.

Während Fernsehbeiträge Slam Poetry noch immer gerne als Jugendphänomen abhandeln, hat Viktor Giacobbo längst erkannt, welche Talente sich in dieser Szene finden und ihnen mit einem Auftritt den Weg zur grösseren Bühne geebnet. Lara Stoll, Gabriel Vetter oder Hazel Brugger: Sie konnten ihren grossartigen Humor in dieser Sendung einem breiteren Publikum präsentieren – und das, ohne von SRF-internen Spassbremsen zensiert zu werden. Wer ausser Giacobbo/Müller hätte im Leutschenbach schon den Mut und die Macht, am Sonntagabend Texte zuzulassen wie jene von Hazel Brugger, in denen Babys beleidigt, Penisse beschrieben und Eierstöcke verdichtet werden?

Auch dafür müssen wir ihnen danken. Und verzeihen ihnen im Gegenzug die Schleichwerbungen für Auftritte im Casino Theater in Winterthur – jenem Haus, in dem Giacobbo als VR-Präsident waltet. Wer so fördert, darf auch mal zurückfordern.

Und wenn sie die selbstreferenziellen Anspielungen mal überstrapazierten, haben sie das gleich wiedergutgemacht: Indem sie ihren Arbeitgeber und dessen Leistungen wohltuend kritisch spiegelten. Über einen übernächtigten und überforderten Stephan Klapproth machten sie sich ebenso lustig wie über die intellektuellen Reflexionen in der «Sternstunde Philosophie» oder das nervöse Geschwafel von Schawinski. 

Sie haben damit zur prominenten Sendezeit auch das eigene Medienhaus kritisiert. Wer hält uns, vor allem aber auch: Wer hält dem Leutschenbach nun den Spiegel vor?

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