Was ist eigentlich nicht sexistisch?

Wenn man auf die Feministen hört, dann scheint fast alles sexistisch zu sein. Damit schiessen sie sich ins eigene Bein.

Die feministische Bewegung braucht alle Kraft. Aber es bringt nichts, wenn sie verallgemeinert.

Wenn man auf die Feministen hört, dann scheint fast alles sexistisch zu sein. Damit schiessen sie sich ins eigene Bein.

Es gibt einen Satz, den Feministen besonders ungern hören: «Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!» Er fällt immer dann, wenn Feministen eine Ansicht für unhaltbar erklären, die der Gerügte doch, wie er meint, aus gesundem Menschenverstand geäussert hat. Zum Beispiel wenn es um die Frauenquote geht.

Jemand wendet ein, dass man dann nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung habe. Diese Ansicht kann man sexistisch finden, denn in ihr steckt die Annahme, dass Frauen nicht gleich gut qualifiziert sind. Dabei trifft der Einwand vielleicht sogar zu (und das wollen die Quotengegner doch auch mal sagen dürfen), aber eben nur, weil sich im patriarchalen System zu wenig Frauen entsprechend qualizieren können.

Verständlich, dass die Feministen diesen Satz nicht mehr hören können. Unsere Gewohnheiten sind so satt getränkt von sexistischen Annahmen, dass wir es in vielen Fällen gar nicht merken. Umso mühsamer und wichtiger ist die Arbeit, sie ans Licht zu bringen.

Aber. Wenn man in feministischen Artikeln oder Büchern liest, bleibt häufig die Frage, was eigentlich nicht sexistisch ist. So lang sind die Listen mit Beispielen von Sexismus, dass man – auch wenn alle Feministen jetzt die Augen verdrehen – nicht weiss, was man überhaupt noch sagen darf.

Als Theorie gut

Zwar lässt sich die Grenze theoretisch leicht ziehen. Sexistisch ist, wenn jemand aufgrund seines Geschlechts beurteilt wird. Wenn zum Beispiel von einer Person verlangt wird, dass sie eine Familie gründet, weil sie eine Frau ist. Sexistisch ist ausserdem, wenn eine Person nicht als eigenständiges Subjekt sexuell begehrt wird, sondern als Objekt. Wenn also mit einem Flirt oder einem körperlichen Kontakt nicht alle Beteiligten einverstanden sind, sondern nur ein Teil davon.

Das ist als Theorie gut. Aber das Wort Sexismus wird auf so viele Fälle angewendet, dass der Begriff unscharf wird. Feministen würden im Kampf gegen Sexismus gerade dadurch stärker werden, dass sie das Wort sparsamer verwenden. Wer es inflationär gebraucht, macht sich angreifbar.

Man kann es nur am Beispiel diskutieren. Deswegen hier ein paar Vorschläge, wie man bestimmte Fälle auch anders als sexistisch verstehen kann.

Frauen zu sagen, die biologische Uhr tickt, ist sexistisch – stimmt nicht!

Ein Artikel, den Leena Schmitter für die TagesWoche zum Thema geschrieben hat, enthält eine lange Liste mit Beispielen für Sexismus. Es sind Mails, die sie auf Anfrage bei Bekannten bekommen hat, in welchen Fällen sie Sexismus am eigenen Leib erfahren haben. Da heisst es:

«Es ist sexistisch, wenn ein Mann seine Familie umbringt und dies als ‹Familiendrama› euphemisiert wird.»

Stimmt! Wenn es bei der Bezeichnung Familiendrama bleibt, ist das schlimm. Von wegen: Zu einem Streit gehören doch immer zwei! Der Mann hat gemordet, Punkt. Aber das ändert nichts daran, dass sich ein Familiendrama ereignet hat (auch wenn das Wort an sich ein abgedroscher Medienbegriff ist, aber das ist ein anderes Thema).

«Es ist sexistisch, wenn von Frauen erwartet wird, dass sie Kinder kriegen.»

Stimmt.

«Es ist ebenso sexistisch, wenn mir andere Frauen sagen: ‹Du weisst gar nicht, was du verpasst, aber die biologische Uhr wird dann schon noch ticken.›»

Das stimmt nicht, dieser Punkt ist nicht sexistisch. Er ist es nur, wenn man diesen Satz sagt, um Druck auszuüben. Aber dass es nicht das Gleiche ist, ein Kind mit 42 Jahren zu kriegen wie mit 32, da sind sich alle einig. Es geht nicht um den Satz, es geht um den Grund, aus dem er verwendet wird.

«Es ist sexistisch, wenn ich höre, ich sähe nicht aus wie eine Lesbe.»

Das ist nicht sexistisch, sondern je nachdem sehr ungeschickt. Denn wer sitzt nicht gern in einer Bar und rätselt darüber, ob der Typ am Nachbartisch Männer mag oder Frauen. Und warum auch nicht? Wäre es nicht seltsam, wenn sich die sexuelle Orientierung in keiner Weise im Äusseren spiegelt? Warum sollte sie nicht? (Es wäre unpraktisch.) Klar, dass man die Beobachtung, dass eine lesbische Frau nicht lesbisch aussieht, ihr nicht bei jedem Smalltalk auf die Nase bindet. Das ist eine Frage des Anstands.

Die Brüste einer Frau schön finden: Nicht sexistisch!

Soviel zum Artikel von Leena Schmitter. Ein anderer Sexismusklassiker ist es, wenn jemand nicht als ganze Person dargestellt wird, sondern nur einzelne Körperteile von ihr oder ihm. Wenn zum Beispiel im Film eine Frau auf ihr aufreizendes Hinterteil reduziert wird. Oder wenn einer Frau hinterhergerufen wird: «Geile Titten.» Gerade im letzten Beispiel ist klar, wie unangenehm, demütigend oder sogar beänstigend es ist, derart auf die eigenen Brüste angesprochen zu werden: Die Frau wird damit zum Fickgegenstand und ist nicht länger Mensch.

Aber auch wenn es spitzfindig erscheint: Sexistisch sind die Art und die Wortwahl, wie das Begehren geäussert wird («geile Titten»). Aber es soll niemand behaupten, er hätte nicht schon mal einen Menschen auf der Strasse gesehen und genau das gedacht: geile Titten, oder vielleicht auch: schöner Rücken, tolle Haare, was für Hände. All the same!

Es soll niemand behaupten, er hätte nicht schon mal einen Menschen auf der Strasse gesehen und gedacht: geile Titten, oder vielleicht auch: schöner Rücken, tolle Haare, was für Hände.

Das heisst im Übrigen noch lange nicht, dass man nicht auch den Menschen als Ganzen sehen würde. Und genau in dieser kleinen Differenz liegt der Frust. Wenn man daran glaubt, alle «Vergegenständlichung» eines Menschen sei sexistisch, egal ob gedacht oder hinterhergerufen, gesteht man sich sehr schöne und vielleicht sogar wichtige Regungen nicht zu.

Wer sich sexy anzieht, macht eine Ansage

Im Buch «Weil ein #Aufschrei nicht reicht» von Anne Wizorek steht, dass der Spitzname der deutschen Bundeskanzlerin sexistisch sei. Angela Merkel wird «Mutti» genannt, während es undenkbar sei, dass Gerhard Schröder «Pappi» genannt worden wäre. Wo ist das Problem?

Sollte sie als Kanzlerin etwas Elterliches haben, um es korrekt zu sagen, warum sie nicht so nennen? Denn um diese Eigenschaft geht es bei dem Spitznamen, nicht darum, dass sie eigentlich an den Herd gehört und sich in den falschen Beruf verlaufen hat. Und wenn nicht Mutti, sollte man nicht auch Theodore Roosevelt von seinem Spitznamen Teddy befreien, weil es ihn allzuwenig in seiner Männlichkeit belässt?

Wochenthema Feminismus

Lesen Sie mehr über Geschlechteridentität und Gleichberechtigung in unserem Dossier.

Ein weiterer Sexismus-Klassiker: Antifeministen sagen, Frauen seien selber schuld, wenn sie sich sexy anziehen und dann Sprüche zu hören kriegen oder begrabscht werden. Das ist natürlich Unsinn. Wenn ein Mann seine Hände nicht im Griff hat und die Klappe nicht halten kann, ist das allein sein Problem. Aber umgekehrt ist doch klar, dass eine Frau mit kurzem Rock und Ausschnitt, solange sie nicht blind der Mode folgt, damit eine Aussage macht: Hier bin ich! Schaut mich an! Wenn man sich nicht so fühlt, zieht man sich anders an. Und wenn man diese Frau ausführlich anschaut, ohne sie damit blosszustellen, tut man, was alle Beteiligten wollen.

Gegenbeispiel. Wen würde nicht wundern, wenn man sich wie folgt in einen Park setzt und kein Interesse bei allen Menschen auslöst, die irgendwie sexuell empfinden?

So lässt sich Sexsymbol sein: Der Schauspieler James Dean

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All diese Beispiele sollen nicht herunterspielen, wie sexistisch unsere Gesellschaft funktioniert. Und gerade deswegen würden sich Feministen viele Einwände ersparen, wenn sie die Grenze zum Sexismus deutlicher machen würden. Und vor allem würde man ihnen viel mehr zuhören.

Sie sind anderer Meinung? Heute Abend wird diskutiert: Ab 19 Uhr in der Kaserne. Mehr Infos sind nur einen Klick aufs Bild entfernt.

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