Wenn der Vater nicht am Leben seines Kindes teilnehmen will, wie soll dann aus einem Jungen ein Mann werden? Tendai Matare porträtiert in seiner Fotoarbeit «Like Father Like Son» fünf Freunde und gibt den Im-Stich-Gelassenen ein Gesicht. Eine berührende und intime Arbeit über ein Thema, das unter die Haut geht.
Wie wird aus einem Jungen ein Mann, wenn der Vater sich nicht an seinem Leben beteiligt? Im ersten Moment mag man sich fragen: «Was sind das für Kerle, welche ihre Kinder im Stich lassen?»
Der Nachwuchsfotograf und Hyperwerk-Abgänger Tendai Matare (28) tut in seiner Abschlussarbeit «Like Father Like Son» das Gegenteil. Er richtet seinen Blick auf die jungen Männer, die ihre Jugend ohne Väter verbrachten. Entstanden ist eine Bilderserie, die in sehr intimer und berührender Weise, aber ohne auf die Tränendrüse zu drücken, fünf junge Menschen und ihre nächsten Vertrauten zeigt.
Der Abschied von einem Stereotyp
Tendai Matare spricht ruhig, seine Antworten sind mit Bedacht gewählt. Vor uns sitzt ein junger Mann, offen, mit einem gewinnenden Lachen. Das Klischeebild des Erwachsenen, in dem die gequälte Seele eines verlassenen Kindes wohnt, könnte nicht weniger zutreffen. Genau dies ist es, was Matare mit seiner Arbeit am Herzen liegt: das Aufbrechen eines Stereotyps.
Jede seiner erzählten Geschichten ist verschieden, für einige Söhne war die Jugend ohne Vater besonders problematisch, andere fanden es nicht so belastend, den eigenen Vater kaum zu kennen.
Die fünf Modelle, die er fotografierte, stammen alle aus seinem näheren Umfeld und sind zusammen mit ihm aufgewachsen. Auch Tendai Matares Jugend verlief vaterlos. Voneinander wissen, dass sie alle keinen Vater daheim hatten, das taten alle. Darüber gesprochen wurde so gut wie nie. «Man versteht sich ohne Worte, weiss, dass es belastend ist für die anderen. Das ist wohl auch der Hauptgrund, warum so selten darüber gesprochen wird», sagt Matare. «Man möchte den anderen nicht in eine unangenehme Situation bringen.»
Und es gibt einen weiteren Grund: «Viele möchten den Harten spielen. Ein Mann hat keine Schwächen, er weint nicht.» Man hört die Ironie in Tendai Matares Tonfall bei diesem letzten Satz. Dieses Klischee hält eben hartnäckig, was es in seiner Aussage allerdings nicht wahrer macht. Spätestens, wenn man wieder für sich alleine sei, kämen unterdrückte Gefühle an die Oberfläche, so Matare.
Pubertät zwischen Machismo und Orientierungslosigkeit
So steht am Anfang des Projekts vor allem eines: Sich eingestehen, dass die Kindheit ohne Vater für die Männer seelische Schmerzen verursacht hat. «Alle, mit denen ich über ihre Kindheit und Jugend gesprochen habe, sind sich einig: Spurlos ist die Abwesenheit des Vaters an keinem vorbeigegangen.» Mit seiner Arbeit möchte er einen schädlichen Kreislauf durchbrechen. Die Ängste, die durch das im Stich gelassen werden aufkommen, sollen nicht länger verdrängt und unbewusst an eine nächste Generation Kinder weitergegeben werden. Für einige der Teilnehmer ist es das erste Mal, dass sie überhaupt über ihre Väter reden.
Das Thema fordert viel Einfühlungsvermögen und Vertrauen. Charaktereigenschaften, welche man Tendai Matare bereits nach wenigen Minuten Unterhaltung anmerkt. Die Interviews brachten für die Freunde auch die Möglichkeit, die eigene Jugend aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, Muster im eigenen Verhalten zu entdecken: Weshalb habe ich früher auf niemanden mehr gehört? Keinen Rat angenommen, weder von der Mutter noch von nahestehenden Verwandten, welche als Ersatzvaterfiguren fungierten?
Durch sein Fehlen verweigert der Vater dem Kind ein Stück seiner Identität, das es sich anderswo suchen muss.
Besonders klar wurde bei den Gesprächen: Zeigt der Vater am Leben des Sohnes geringes bis kein Interesse, löst das bei den Kindern vielschichtige Probleme aus. Das Gefühl, alleingelassen worden zu sein wird irgendwann kleiner. Durch sein Fehlen verweigert er dem Kind ein Stück seiner Identität, das es sich anderswo suchen muss, sei es auf kultureller, spiritueller oder familiärer Ebene. In der Pubertät, wenn die Abgrenzung zu den Eltern wichtig wird, beginnt die Suche nach alternativen männlichen Idolen.
«Ich habe meine Vorbilder zu der Zeit besonders in der Musik gesucht», erzählt Matare. Die Welt des Macho-Gangster-Hip-Hop bot Figuren an, mit denen sich der inzwischen 28-Jährige sich identifizieren konnte. «Da sieht jemand aus wie du, der hat es geschafft. Das macht Eindruck. Besonders, weil man in dem Alter dazu neigt, unkritisch zu sein und nicht zwischen Unterhaltung und Realität zu unterscheiden.» Eine Sackgasse, wie sich herausstellte. «Ironischerweise rappen in den Liedern Männer übers Mannsein, die häufig selbst ohne Vater aufgewachsen sind», sagt er und grinst schulterzuckend.
Bild aus der Serie «Like Father Like Son»: An die Stelle eines Platzhalters für den abwesenden Vater rücken Geschwister, Bekannte, Freunde. (Bild: Tendai Matare)
Vermisst, verklärt, verwunschen
Der Vater, der nicht da ist, wird vermisst, verklärt, manchmal verwünscht. «Es ist hart, wenn man merkt, dass die Person, an der man so hängt, selbst eben so gar nicht an einem hängt.» Sei es mangelndes Interesse oder die falsche Annahme – weil bequem –, dass man als Vater ja nicht so wichtig sei, schliesslich habe das Kind ja noch eine Mutter. Die Liste von Ausreden könnte ewig fortgesetzt werden.
Irgendwann ist der Zug allerdings abgefahren. Aus dem im Stich gelassenen Jungen, wie auch Tendai Matare einer war, ist ein Mann geworden. Ohne Vater. Onkel, Paten, Schwestern, Brüder, Nichten, Neffen, Freunde, Freundinnen und Mütter haben aus den Kindern junge Männer geformt. Auf diese konzentriert sich Tendai Matare denn auch in seiner Arbeit. Die Stimme haben nicht die Abwesenden, sondern die Söhne.
«Es ist hart, wenn man merkt, dass die Person, an der man so hängt, selbst eben so gar nicht an einem hängt.»
«Ich habe anfangs versucht, den fehlenden Vater eines Freundes auf einem der Fotos darzustellen. Aber schnell merkte ich, das funktioniert nicht.» Wie kann man jemanden darstellen, den man kaum kennt? Stattdessen konzentrierte sich Matare darauf, was seine Freunde als Menschen besonders macht. Sei es die Leidenschaft fürs Boxen, Trommelspiel oder die innige Beziehung zur Nichte: Dies alles sagt mehr über den Charakter dieser porträtierten Menschen aus als ein Platzhalter an der Stelle, wo ein Vater stehen sollte.
Die Fotos seiner Ausstellung «Like Father Like Son» sollen gleichzeitig den Grundbaustein für sein nächstes Projekt darstellen. Die zahlreichen Reaktionen auf die Interviews mit seinen Freunden kamen für Tendai Matare überrasched. Nun soll die Serie erweitert und als Buch herausgebracht werden. «Das klingt vielleicht etwas gross, aber ich hoffe, es kann einer nächsten Generation von Kindern, die ohne Vater aufwachsen, helfen. Wenn man den verlassenen Söhnen Gesichter und Geschichten gibt, mit denen sie sich identifizieren können.»
Ein schöner Gedanke, aus dem bereits eine faszinierende Serie von Bildern geworden ist. Und bestimmt bessere Vorbilder bietet, als sie in der Mainstreamkultur zu finden sind.
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«Like Father Like Son», Vernissage am Donnerstag, 3. September, 19 Uhr, Raum für Kultur «H95», Horburgstrasse 95, 4057 Basel. Ende der Ausstellung ist am 6. September.