Wasserkraft profitiert vom Mangel an Atomstrom

Die Preise auf dem Strommarkt sind seit September 2016 markant gestiegen, weil viele Atomkraftwerke in der Schweiz und Frankreich still stehen. Davon profitieren zurzeit Gas- und vor allem Wasserkraftwerke.

HANDOUT - Blick von einer Drohne auf die Staumauer und den Stausee Muttsee waehrend der Segnungszeremonie anlaesslich der Einsegnung der Staumauer Muttsee des Pumpspeicherwerks Limmern der Axpo Holding AG, am Freitag, 9. September 2016, in Linthal. Die Bauarbeiten fuer die laengste Staumauer der Schweiz und die hoechstgelegene Europas dauerten fuenf Jahre. Die Axpo beziffert die Investitionskosten mit 2,1 Milliarden Franken. Das unterirdisch angelegte Pumpspeicherwerk pumpt Wasser aus dem Limmernsee in den gut 600 m hoeher gelegenen Muttsee hoch, das bei Bedarf wieder zur Stromproduktion genutzt wird. Das neue Werk soll eine Pumpleistung und eine Turbinenleistung von je 1000 MW aufweisen. (HANDOUT AXPO) *** NO SALES, DARF NUR MIT VOLLSTAENDIGER QUELLENANGABE VERWENDET WERDEN ***

(Bild: Axpo)

Die Preise auf dem Strommarkt sind seit September 2016 markant gestiegen, weil viele Atomkraftwerke in der Schweiz und Frankreich still stehen. Davon profitieren zurzeit Gas- und vor allem Wasserkraftwerke.

In den letzten fünf Jahren gingen die Preise auf dem europäischen Strommarkt wegen Überkapazitäten bergab. Die für die Schweiz massgebenden Börsenpreise (Swissix-Index) sanken seit 2011 um mehr als 30 Prozent: Im Jahresmittel 2016 kostete Bandstrom rund um die Uhr auf dem Schweizer Spotmarkt 38 Euro pro Megawattstunde (MWh) oder gut vier Rappen pro Kilowattstunde (kWh). Spitzenstrom, der nur tagsüber an Werktagen gebraucht wird und für Wasser-Speicherkraftwerke massgebend ist, kostete im Schnitt noch einen Rappen mehr.

Diese langfristige Entwicklung und die noch tieferen Börsenpreise in Deutschland führen Schweizer Stromproduzenten ins Feld, um über die angeblich unrentable Wasserkraft zu klagen. Diese Klage ist nicht falsch, aber übertrieben, weil sich immer noch die Hälfte des Stroms in der Schweiz zu kostendeckenden Monopolpreisen an Haushalte und kleine Firmen absetzen lässt.

Atom-Ausfall erhöht Marktpreis  

Die aktuelle Entwicklung weicht vom langfristigen Trend auf dem Strommarkt jedoch stark ab. Denn der mittlere Marktpreis für Strom in der Schweiz hat sich seit Sommer 2016 mehr als verdoppelt. Nach einem starken Anstieg schon im Oktober kletterte der Schweizer Marktpreis für Bandstrom im Durchschnitt der Monate November und Dezember auf knapp sieben und für Spitzenstrom auf acht Rappen pro kWh. In der ersten Hälfte des Januars 2017 kletterte der für die Wasser-Speicherkraftwerke massgebende Spitzenstrompreis sogar auf neun Rappen/kWh.

Die Übersicht dazu:

Die Ursache dafür: In Frankreich und in der Schweiz stehen viele Atomkraftwerke still. «Im November betrug die Verfügbarkeit der französischen KKW rund 66 Prozent», präzisiert auf Anfrage die Axpo. In der Schweiz ruht seit Monaten annähernd die Hälfte der AKW-Kapazität. Denn das KKW Beznau I ist seit März 2015 aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Und das KKW Leibstadt steht seit August 2016 still, weil unverhoffte Schäden die Revision bis mindestens Februar 2017 verlängern.

Um Atomstrom zu ersetzen, lassen die Stromkonzerne jetzt ihre Gaskraftwerke, die wegen der Stromschwemme in den letzten Jahren die meiste Zeit brachlagen, öfter und länger laufen. Weil Gaskraftwerke höhere variable Kosten haben, steigen mit diesen Grenzkosten die Preise auf dem Strommarkt. Auch die Preise für Kohle und damit für Kohlestrom, so ergänzt die Alpiq, seien gestiegen.

Grössere Schwankungen tagsüber

Noch deutlicher veränderten sich die Schweizer Marktpreise im Tagesverlauf, respektive die Differenzen zwischen Nacht- und Spitzenstrom. Als typisches Beispiel für die beiden letzten Monate lässt sich das an der Preiskurve vom 19. Dezember illustrieren:

  • In den Nachtstunden von 0 bis 6 Uhr betrug der Marktpreis (off-peak) etwas mehr als fünf Rappen/kWh; in dieser Zeit importiert die Schweiz viel Bandstrom und nutzt einen Teil davon, um Wasser in die Stauseen ihrer Speicherkraftwerke hochzupumpen. 
  • Tagsüber erhöhte sich der Preis (peak) im Schnitt auf über acht Rappen/kWh und erreichte den Gipfel von zehn Rappen/kWh in den Abendstunden zwischen 17 und 19 Uhr. In diesen Spitzenstunden lassen die Schweizer Speicherwerke viel Wasser auf die Turbinen rauschen. Das zeigten in den letzten Wochen etwa die Produktionskurven der Grimsel-Kraftwerke: Nachts fiel die Produktion unter Null, weil das Kraftwerk Wasser hochpumpte. Tagsüber und vor allem in den Abendstunden stieg die Produktion, weil die Betreiber dieses Wasser wieder turbinierten und so teuren Spitzenstrom produzierten.

 Strom fliesst dem Preis nach

Die sich wandelnden Preise wenden auch den Stromfluss im Aussenhandel: An einem normalen Werktag im Winterhalbjahr, so zeigen Statistiken der Vorjahre, importierte die Schweiz Strom aus Frankreich, Deutschland sowie Österreich und exportierte nach Italien. In den letzten Monaten aber importierte die Schweiz in Spitzenstunden zuweilen auch Strom aus Italien und exportierte gleichzeitig grosse Mengen nach Frankreich.

Grund: Der Strom fliesst dem Preis nach. Weil in der Schweiz die Preise für Spitzenstrom stark stiegen, lohnte es sich für Italien, mehr Strom in Gaskraftwerken zu produzieren und in Spitzenzeiten einen Teil davon nach Norden zu exportieren. Und weil in Frankreich – als Folge von AKW-Ausfällen – die Marktpreise in Spitzenstunden noch höher waren als in der Schweiz, lohnte es sich für die Schweiz, Kohlestrom aus Deutschland zu importieren und Spitzenstrom aus Wasserkraft nach Frankreich zu verkaufen.

In den letzten Wochen haben die Schweizer Stromproduzenten ihre Stauseen überdurchschnittlich genutzt; sie senkten den mittleren Füllungsgrad bis am 16. Januar 2017 auf 40,2 Prozent und damit auf den tiefsten Wert seit 20 Jahren an diesem Datum.

Verlierer hier, Gewinner dort

Die aktuelle Preishausse verbunden mit hoher Volatilität gebiert Verlierer und Profiteure. Grosse Verlierer sind die Besitzer der stillstehenden Atomkraftwerke, in der Schweiz die Beznau-Eigentümerin Axpo und die Leibstadt-Aktionäre, allen voran Axpo und Alpiq, mit einem kleineren Anteil auch die Berner BKW. Ihnen entgeht nicht nur der Ertrag, sie müssen auch den Atomstrom, den sie auf Termin schon verkauft haben, kurzfristig ersetzen durch teure Einkäufe auf dem aktuellen Hochpreis-Markt. Jeder Tag, an dem das KKW Leibstadt stillsteht, koste die Betreiber eine Millionen Franken, die Axpo allein die Hälfte davon, antwortet Axpo-Chef Andrew Walo auf Anfrage.

Zu den Gewinnern gehören Betreiber von flexiblen Gas- und vor allem von Wasserspeicherkraftwerken, die bei den aktuellen Marktpreisen wieder rentabel produzieren, allen voran die Berner BKW sowie die Stadtwerke von Basel (IWB) und Zürich (EWZ). Weil Axpo und Alpiq ebenfalls Wasserkraft-Beteiligungen in der Schweiz und Gaskraftwerke in Italien und Frankreich besitzen, können sie damit einen Teil der Verluste aus ihren AKW-Verlusten kompensieren.

Die grossen Profiteure sind momentan die Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken. Dazu gehören die Berner BKW und die Stadtwerke IWB und EWZ mit ihren Beteiligungen an den Grimselwerken. Dazu zählen auch die Eigentümer der ebenfalls mit Pumpen bestückten Kraftwerke Sarganserland (vorab Axpo) oder Veytaux-Hongrin (u.a. Alpiq). «Nachdem die Entwicklung kürzlich umgeschlagen hat», so bestätigt auf Anfrage die BKW, «verbessert sich die Rentabilität von Pumpspeicherkraftwerken wieder.»

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