Weg mit dem Müll – bloss wie?

Endlich einen Erfolg im Kampf gegen das Littering: Das erwarten alle. Die Hoffnungen auf Bussen erfüllen sich aber schon mal nicht. Nun braucht es eine Alternative.

Neue Mittel sind gefragt im Kampf gegen das Littering. Doch welches ist das richtige? (Bild: Hans-Jörg Walter)

Endlich einen Erfolg im Kampf gegen das Littering: Das erwarten alle. Die Hoffnungen auf Bussen erfüllen sich aber schon mal nicht. Nun braucht es eine Alternative.

Es sei «traurig», einfach nur «traurig», wie viel Müll in den Wäldern und auf den Wiesen herumliege. Bierdosen, PET-Flaschen, Reste von Einweggrills, Plastik. Besonders schlimm sei es an den Wochenenden.

Nicht besser in der Stadt, am Rhein zum Beispiel – «hässlich», der Müll, auch dort.

Der Abfall überall sei heute schon eines der grössten Probleme der Schweizer Gemeinden und Städte. Und werde das grosse Thema der nächsten Jahre sein.
Das schreiben unsere Leserinnen und Leser in den zahlreichen Kommentaren, die wir nach einem eher kurzen Online-Text zum Thema Littering erhalten haben. Ähnlich äussern sich auch Politiker von links bis rechts: Das Problem mit dem Abfall werde immer grösser. Und teurer, wie es bei den Kommunen und Verkehrsbetrieben heisst. Nicht weniger als 200 Mil­lionen Franken müssten sie für die Reinigung bereits ausgeben – pro Jahr.

Ab in die Kiste mit den Litterern?

Dann gibt es noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Behörden, den Politikern und den ganz normalen Menschen: Sie alle erwarten Massnahmen. Eine verursachergerechtere Verteilung der Kosten die einen. Harte Strafen bis hin zu Arbeitseinsätzen und Gefängnis für Litterer die anderen. «800 Stutz oder einen Monat Kiste. Alles andere ist Blabla», schreibt unser Leser Dave Muscheidt.

«Ich ärgere mich manchmal auch über den Abfall, der in den Rabatten liegt», sagt der Basler Wirtschafts- und Umweltdirektor Christoph Brutschin (SP) dazu. «Dennoch kommt es für mich nicht infrage, irgendetwas zu unternehmen, das den Prinzipien unseres Rechtsstaates widerspricht und unverhältnismässig wäre.»
Das heisst, dass in Basel auch in Zukunft niemand mehrere Hundert Franken Busse zahlen oder sogar ins Gefängnis gehen muss, nur weil er ein Papierchen achtlos auf die Strasse geworfen hat.

Das Resultat ist eher ernüchternd

Das heisst aber nicht, dass Brutschins Departement untätig bleibt. Im vergangenen Herbst hat das Amt für Umwelt zwei Kontrolleure angestellt, die Abfallsünder überführen und büssen sollen. Ihr Ansatz: 80 Franken für Littering und 200 Franken für wildes Deponieren. Die Erwartung an die beiden Kontrolleure ist hoch und entsprechend gross das öffentliche Interesse. «Für keinen anderen Bereich erhalten wir so viele Medienanfragen», sagt Brutschin – und seine Verwunderung ist nicht zu überhören. Immerhin hat er auch sonst einige nicht ganz unwichtige Geschäfte: die Energiewende, die Kontakte zur Wirtschaft, die potenziell gefährlichen Chemiemülldeponien direkt neben der Wasserversorung der Stadt und ihrer Umgebung.

Darüber würde Brutschin wahrscheinlich auch gerne reden. Aber nein – alle interessieren sich immer nur für den Müll am Rheinbord, auf den Stras­sen, in den Parks. Ein leidiges Thema. Und ein schwieriges auch.

Zum einen, weil die beiden Abfallkontrolleure noch kaum Möglichkeit hatten, sich auszuzeichnen. In diesem miesen Frühling bleiben die Menschen lieber daheim, genau gleich wie im Winter. Und so landet auch weniger Abfall auf den Strassen. Entsprechend mager ist die Ausbeute der beiden Kontrolleure in den ersten acht Monaten im Dienst: 16 Litteringbussen à 80 Franken und 46 Bussen für wildes Deponieren à 200 Franken, macht insgesamt 10 480 Franken. Wesentlich höher sind die Ausgaben für das Duo – 230 000 Franken pro Jahr.

Mit Müll punkten Politiker fast immer

Natürlich geht es bei ihrem Einsatz auch um schwer messbare Effekte wie Abschreckung und Präven­tion, und doch wirkt das Verhältnis der nackten Zahlen eher ernüchternd. Dennoch gilt das Basler Modell als Vorbild, das in der übrigen Schweiz aufmerksam verfolgt wird. Im Nachbarkanton Baselland ist die CVP bereits aktiv geworden. Mit der Ini­tiative «Vo Schönebuech bis suber» will die Partei dafür sorgen, dass Abfallsünder direkt gebüsst werden können, nicht von Detektiven allerdings, sondern von Polizisten. Diese Forderung hat die CVP im Wahlkampf lanciert, wohlkalkuliert, im Wissen, dass man in der Politik mit Müll meistens punkten kann.

Nur Basel-Stadt ist bereits an einem anderen Punkt. Beim Amt für Umwelt und Energie (AUE) würde man sich zum Einsatz der beiden Kontrolleure am liebsten gar nicht äussern. Mündlich schon gar nicht. Auskunft gibt es höchstens schriftlich – und auch das nur ausweichend.

«Für ein Fazit ist es zu früh, insbesondere, da erst jetzt die warme Jahreszeit beginnt», schrieb uns Martin Lüchinger, Leiter Abfall beim AUE. Und unseren Wunsch, die beiden Detektive bei der Arbeit begleiten zu dürfen, lehnte er ab, weil der «Erfahrungszeitraum» fehle.

Möglich allerdings, dass man auch nach den warmen Monaten noch immer vergeblich auf Erfolgsmeldungen aus dem AUE wartet. Denn die Kontrolleure arbeiten vorzugsweise tagsüber. Abends und nachts, wenn draussen mit steigendem Alkoholpegel mehr gelittert wird, sind sie daheim. Aus Sicherheitsgründen – und mit gutem Grund, wie es scheint. In Luzern musste laut Städteverband für die Putzequipen schon Polizeischutz angefordert werden, damit diese den Dreck der anderen wegputzen konnten, ohne angepöbelt zu werden. Mit ähnlich unerfreulichen Reaktionen müssten wohl auch die Abfallkontrolleure rechnen. Sie von Polizisten begleiten zu lassen, kommt für Brutschin nicht infrage, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Auch das ist für ihn eine Frage der Verhältnismäs­sigkeit. Dennoch will er sich für die Zukunft «alle Optionen offen» halten, wie er sagt, je nach der weiteren Entwicklung an der Abfallfront.

Die ewige Forderung nach dem Pfand

Diese Entwicklung hängt auch vom Erfolg der anderen Massnahmen ab, die auf den unterschiedlichen Ebenen eingeleitet worden sind. Auf Bundesebene gibt es seit Jahren immer wieder neue Versuche, ein Pfand auf Flaschen und Dosen einzuführen, damit künftig mehr Material in den Sammelstellen und weniger im Abfall und auf den Strassen landet (mehr dazu in unserer Wochendebatte). Bis jetzt sind die Vorstösse immer gescheitert, und doch arbeiten die Grünen bereits an einem viel grösseren Projekt: Eine grüne Gesellschaft und Wirtschaft, die ihre Ressourcen möglichst schont. Eine entsprechende Volksinitiative haben sie vor ein paar Monaten eingereicht. Der Bundesrat hat bereits reagiert und eine Revision des Umweltschutzgesetzes angekündigt. Vorgesehen ist unter anderem, dass neben PET, Glas und Alu künftig auch Plastik getrennt gesammelt wird. Zurückgegeben werden müsste es beim Händler. Mit dieser Vorgabe will das Bundesamt für Umwelt (Bafu) einerseits dafür sorgen, dass mehr Plastik wiederverwendet wird. Und andererseits die Wirtschaft dazu bringen, sparsamer mit den Ressourcen umzugehen. «Viele Produkte sind immer noch überverpackt», sagte Michel Monteil, der zuständige Abteilungsleiter im Bundesamt für Umwelt, der «NZZ am Sonntag» (online nicht verfügbar).

Neue Littering-Gebühr für Take-aways

Aus ähnlichen Überlegungen fordert der Städteverband eine Litteringgebühr, zumindest für Take-aways. Am liebsten würden die Schweizer Städte «die vorgezogene Entsorgungsgebühr», wie sie es nennen, auch auf Zigaretten, Flaschen und Aludosen ausdehnen. «Allein das Wegputzen der Zigarettenstummel kostet Jahr für Jahr 50 Millionen Franken. Insgesamt müssen die Schweizer Kommunen 150 Millionen Franken nur wegen des Litterings ausgeben», rechnet Alex Bukowiecki vom Städteverband vor: «Diese Ausgaben müssten verursachergerecht verteilt werden.» Eine Forderung, die der Städteverband in Zusammenarbeit mit dem Bund und den Kantonen in den nächsten Monaten umsetzen möchte – auch wenn das rechtlich gar nicht so einfach ist, weil sich der Verursacher nicht ganz einfach bestimmen lässt. Der Schuldige – ist es nun der Hersteller, der Verkäufer oder der Konsument?

Eine Frage, die auch in der Politik heftig diskutiert wird. Rechtsbürgerliche Politiker tendieren eher dazu, die Schuld dem einzelnen Verbraucher beziehungsweise dem allgemeinen Sittenzerfall zu geben. Der Anstand sei verloren gegangen, sagen sie. Früher sei einem noch bewusst gewesen, dass man das einfach nicht mache, den Abfall überall liegen zu lassen. Heute nicht mehr.

Grüne planen die Revolution

Linke, Grüne und einzelne Mittepolitiker halten diese Erklärung allerdings für zu einfach. Sie möchten nicht nur den Konsumenten in die Pflicht nehmen, etwa mit dem Pfand, sondern auch die Wirtschaft, mit weitergehenden Auflagen und zusätzlichen Gebühren.

Diese Forderungen kommen bei den Firmen gar nicht gut an. Staatliche Interventionen seien unnötig, sagen Grossverteiler wie Coop. Sie würden allein schon aus Eigeninteresse auf unnötiges Verpackungsmaterial verzichten. Ein weiteres Argument liefert der Branchenverband PET-Recycling Schweiz: Im Recyclieren gehöre die Schweiz heute schon zur Weltspitze. Besser gehe kaum mehr, höchstens aufwendiger und teurer – mit einem Pfand zum Beispiel.

Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Sammelquote in der Schweiz tatsächlich sehr hoch, das streiten auch die Kritiker nicht ab. Entscheidend sind für sie aber die absoluten Zahlen. Und die sehen schon viel weniger gut aus: Ähnlich stark wie der Konsum nimmt die Menge der recyclierbaren Getränkeverpackungen zu, die achtlos weggeworfen werden, sei es in den Müll oder auch auf die Strasse.

«Dumm», «ignorant»

So entsteht ein Streit um Zahlen und Statistiken, der schon mal böse wird, weil es in der ganzen Debatte nicht einfach nur um den Müll geht, sondern auch um Werte. Um die viel zitierte Eigenverantwortung, um die Freiheit der Unternehmen und die Grenzen dieser Freiheit. Im vertraulichen Gespräch bezeichnen Wirtschaftsleute die Vertreter der Pfand-Fraktion schon mal als «ahnungslose Interventionisten», die «wirtschaftsfeindlich» seien und darum «gefährlich». Diese wiederum bleiben ihren Kritikern nichts schuldig. «Undifferenziert», «ignorant» und «dumm» nannte der grüne Nationalrat Bastien Girod kürzlich auf Twitter einen Kommentar in der «NZZ am Sonntag», der gegen staatliche Bevormundung in diesem Bereich gerichtet war. Erstaunlich viel Aufregung, dafür dass die Debatte erst richtig losgeht – was nach Ansicht mehrerer TagesWoche-Leserinnen und -Leser auch dringend nötig ist, wie sich in ihren Kommentaren zeigt. Der Müll auf den Strassen sei zwar hässlich, das eigentliche Problem aber liege tiefer – in unserer Verschwendungssucht, schreibt zum Beispiel Gabriela Imboden: «Natürlich, die Wirtschaft muss wachsen. Die wächst aber nur, wenn die Leute konsumieren, und wenn die Leute schön viel konsumieren, dann gibt es eben auch schön viel Müll.»

Damit wollen nun die Grünen aufräumen. Mit ihrer Initiative für eine grüne Wirtschaft. Weg von der Wegwerfgesellschaft hin zu einer «Kreislaufwirtschaft», wie Girod es nennt. Wo es nur noch Produkte gibt, die entweder abbaubar sind oder recycliert werden können. Und vorher sollen sie auch noch eine wesentlich längere Lebensdauer haben. Mit Billigwaren, die nach kurzem Gebrauch schon kaputt sind, wollen die Grünen Schluss machen.

Das gleiche Ziel verfolgt die Stiftung für Konsumentenschutz, die vermutet, dass einzelne Firmen die Lebensdauer ihrer Produkte absichtlich verkürzen, indem sie gewisse Teile einbauen, die garantiert schon vor Ablauf der Garantie­zeit kaputt­-gehen. Darum fordert die Stiftung gleich wie die Grünen längere Garantiezeiten für Haushalts- und Bürogeräte, Computer, Handys, Fernseher und ­Möbel. Und Ersatzteile, damit auch Reparaturen wieder einfacher möglich sind.

Wie viel Freiheit braucht es?

Verständnis für solche Forderungen hat grundsätzlich auch der Bundesrat, wie er in der Stellungnahme zur Initiative für eine grüne Wirtschaft festhielt. Darum lässt er mit der Revision des Umweltschutzgesetzes auch einen Gegenvorschlag erarbeiten. Gleichzeitig warnt die Landesregierung aber davor, dass die Wahlfreiheit der Menschen und Unternehmen «nicht unnötig» eingeschränkt werden dürfe. Klingt vernünftig. Bloss: Wie viel Freiheit braucht der Mensch, das Unternehmen? Welche Eingriffe sind tatsächlich nötig, welche sind übertrieben und damit schädlich für die Wirtschaft, fürs ganze Land? Darüber wird die Schweiz in den nächsten Monaten diskutieren. Und streiten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13

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