Weihnachten auf der Strasse: Tom und sein «Meitschi» schlagen sich durch

Hauslieferdienste und Betteln bilden den Lebensunterhalt des Obdachlosen Tom Ricklin. Sein Handwagen wurde letzte Woche gestohlen – ein herber Rückschlag für ihn und seine Hündin Meitschi.

Vor drei Wochen hatte er seinen Wagen noch: Wie Tom Ricklin erzählt, wurde der rollende Unterschlupf für seine Hündin Meitschi kürzlich gestohlen.

(Bild: Michel Schultheiss)

Der Obdachlose Tom Ricklin lebt seit drei Jahren von Hauslieferdiensten und vom Betteln. Letzte Woche wurde jedoch sein Handwagen gestohlen, was ihm erschwert, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Vom Basler Strassenbild ist er nicht mehr wegzudenken: Manch einer kennt den Hageren mit rotem Bart und Baseballmütze wohl vom Drachen-Center. Stets freundlich und diskret wartet Tom Ricklin dort am Eingang auf Spenden. «Mischle» – so pflegt er seine Tätigkeit gemäss Szenejargon zu nennen.

Ganz allein muss er aber nicht die hohle Hand machen: Sein «Meitschi» ist immer dabei. Die schwarze Hündin – ein Labradormischling – ist seit neun Jahren seine Begleiterin. Nicht selten nimmt sie in seinem Handwagen Platz, wenn er mit ihr durch die Stadt zieht. «So habe ich sie im Blick», erklärt Ricklin.

Die hyperaktive Hündin, die sich schnell mal von Artgenossen und Passanten ablenken lässt und wild um sich bellt, kommt im Karren zur Ruhe. Der Vierbeiner ist gleichzeitig der «Bodyguard» – so steht es auf seinem «Gstältli» geschrieben. Seit neun Jahren begleitet Meitschi Tom Ricklin. Als Welpe gehörte sie einer Kollegin, dann hat sie sich aber auf einmal ihm angeschlossen. «Ich hab sie nicht gefunden, sondern sie mich», sagt er.

«Meitschis Lieferservice»

Wer den 48-Jährigen nach seinem Wohnort fragt, bekommt stets diese Antwort zu hören: «Ich lebe eigentlich überall in Basel.» Ob Parkhäuser, ruhigere öffentliche Toiletten oder gar Friedhöfe, im Winter haben ihm schon einige windgeschützte Orte Unterschlupf geboten. Nicht nur der bisher milde Winter kommt Tom Ricklin, der seit drei Jahren in Basel auf der Strasse lebt, entgegen; zurzeit kann er bei einem alten Bekannten im Kleinbasel übernachten.



Ein zuverlässiger «Bodyguard»: Meitschi begleitet Tom Ricklin tagtäglich.

Ein zuverlässiger «Bodyguard»: Meitschi begleitet Tom Ricklin tagtäglich. (Bild: Michel Schultheiss)

Auch wenn man ihn oft vor dem Drachen-Center antrifft, sieht sich Tom Ricklin nicht in erster Linie als Bettler. Eigentlich bietet er Hauslieferdienste an für Leute, die nicht mehr gut zu Fuss sind. «Daher habe ich auch keine Probleme mit der Polizei», sagt der Betreiber von «Meitschis Lieferservice», wie er seine Dienstleistung benannt hat.

Generell hat er ein gutes Bild von Basel, was seine Situation anbelangt: «Die Leute sind hier grosszügig – ich habe viel Stammkundschaft», sagt er. Bisweilen bekommt er nicht nur Bargeld, sondern auch Lebensmittel, Kleider und Hundefutter. «Dieses Jahr wurde ich sogar von jemandem ans Kiss-Konzert im Zürcher Hallenstadion eingeladen», erzählt er begeistert.

Opfer von Vandalismus und Diebstahl

Vergangene Woche erhielt Tom Ricklin jedoch eine alles andere als erfreuliche «Weihnachtsbescherung»: Wie er sagt, wurde ihm zu nächtlicher Stunde bei der Rheingasse der Handwagen gestohlen. Er hatte einige persönliche Sachen drin – Decken und Felle für den Hund, Bücher und Flaschen, die er für seine künstlerische Tätigkeit als Glasritzer brauchte. Glücklicherweise war nicht sein gesamtes Hab und Gut im Wagen, da er einige Sachen bei einem Kollegen verstaut hatte.

Es war nicht das erste Mal, dass er Pech hatte: Vor zwei Jahren wurde ihm sein Velo samt Anhänger kaputt gemacht – an einer unbewilligten Demo in Bern, zusammen mit anderen Fahrrädern, die gerade an der Umzugsroute standen. «Ausgerechnet diejenigen, die eigentlich auf meiner Seite stehen müssten, haben das fertiggebracht», meint er kopfschüttelnd.

Sowohl dieses Kapitel wie auch den jüngsten Diebstahl nimmt er jedoch erstaunlich gelassen hin – auch wenn der Verlust einen herben Rückschlag bedeutet: Momentan spart er nämlich auf ein Lastenvelo für den Hauslieferdienst. Dann könnte Meitschi im Anhänger mitfahren und er würde die bestellten Sachen in der Kiste des Cargobikes verstauen. Der Hund sollte sich nämlich nicht am gleichen Ort wie die Ware befinden.

Das Geld für das Velo aufzutreiben ist jedoch schwierig: Ricklin hat kein Bankkonto. Lieber nimmt er Spenden von Bekannten persönlich entgegen. Damit sein Erspartes nicht auf der Strasse gestohlen wird, bewahrt es eine Vertrauensperson für ihn auf.



Mit diesem Plakat ist er auf der Suche nach Gönnern: Wer Tom Ricklin dabei unterstützen möchte, sein Wägeli wieder zu finden oder von einem günstigen Cargobike für seine Arbeit weiss, kann sich bei ihm melden - via Geschäftsnummer 076 646 70 17 oder direkt beim Drachen-Center.

Mit diesem Plakat ist er auf der Suche nach Gönnern: Wer Tom Ricklin dabei unterstützen möchte, sein Wägeli wieder zu finden, oder von einem günstigen Cargobike für seine Arbeit weiss, kann sich bei ihm melden – via Geschäftsnummer 076 646 70 17 oder direkt beim Drachen-Center. (Bild: Michel Schultheiss)

Senn, Velokurier und Handwerker

Aufgewachsen ist Tom Ricklin in Wettingen. «In guten Verhältnissen», wie er sagt. Sein Vater war Heizungsmonteur, seine Mutter arbeitete in einer Verpackungsfirma. Das handwerkliche Geschick hat er geerbt: Als Sanitärinstallateur und Deckenbauer verdiente er während längerer Zeit seinen Lebensunterhalt. Zudem trat er in Bern, Thun, Luzern und Zürich als Velokurier in die Pedale. Vor seiner Zeit in Basel arbeitete als Senn in Lenk im Simmental. Im Sommer half er auf der Alp beim Melken der Kühe, im Winter arbeitete er im Stall oder legte auch mal in einem Skirestaurant Hand an.

So hangelte er sich von einem Gelegenheitsjob zum anderen. Dann aber kam die grosse Durststrecke. In Lenk fand er keine Arbeit mehr und so verschlug es ihn nach Basel. «Damals hab ich über 400 Bewerbungen geschrieben – vergeblich», erinnert er sich.

Trotz Erwerbslosigkeit wählte er nicht den Weg über die Behörden, sondern versuchte, tagtäglich aufs Neue zu improvisieren und von der Hand in den Mund zu leben. Dabei ist es ihm wichtig, nicht von der Sozialhilfe abhängig zu sein. «Ich fühle mich so freier», sagt Tom Ricklin.

Unter der Kontrolle von Ämtern zu sein, bei denen er für alles Rechenschaft ablegen muss, ist überhaupt nicht sein Ding. Sein Leben auf der Strasse erfolgt somit sowohl aufgrund von Schicksalsschlägen wie auch aus eigener Entscheidung. «Es war wohl eine Mischung aus beidem», sagt Ricklin.

Weihnachtskoller ist für den Einzelgänger kein Thema

Wie er betont, ist er stets an einem reibungslosen Zusammenleben auf der Strasse interessiert. Auch mit den rumänischen Gästen in seiner «Branche» kommt er – trotz aller Panikmache in den Medien – gut zurecht. Als ruhiger Pol versuche er manchmal, Konflikte zu schlichten. Wenn etwa Hitzköpfe sich gegenüber Passanten oder anderen Bettlern aggressiv benähmen, spreche er jeweils ein paar beschwichtigende Worte.

Während längerer Zeit leistete ihm beim Drachen-Center ein anderes bekanntes Gesicht Gesellschaft – ein Tscheche mit einem Akkordeon, der ebenfalls gerne mit den Leuten plauderte und Sprüche klopfte. Er verschwand aber eines Tages aus Basel. «Seit einem halben Jahr habe ich ihn nicht mehr gesehen», sagt Ricklin. Dass er dort nun ganz auf eigene Faust am «Mischeln» ist, macht ihm aber nicht viel aus: «Ich bin gerne allein unterwegs.»

Dementsprechend schaut er auch dem Feiertagstrubel gelassen entgegen: «Weihnachten hat mir seit der Jugend noch nie viel bedeutet», sagt er trocken. Was er genau während der Feiertage unternehmen wird, weiss er noch nicht so genau. Er macht keine Pläne – vielleicht kommt aber noch die eine oder andere Einladung zustande. Im Hinblick auf seinen Lebensunterhalt bedeuten die Festtage eher einen Unterbruch: «Auf jeden Fall bin ich froh, wenn die Läden wieder offen sind.»

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