620 geprellte Kunden, 100 Millionen Schadenssumme, drei Kündigungen, ein vorzeitig in Pension gehender CEO. Was die Basler Kantonalbank diese Woche bekannt geben musste, dürfte den guten Ruf des Instituts weiter beschädigen.
Die Zahlen tönen spektakulär: 620 geprellte BKB-Kunden, Schadenssumme: 100 Millionen. Trotzdem sollte man die Kirche im Dorf lassen: Diese Leute haben der ASE Investment AG ihr Vermögen per Vollmacht zur Verwaltung überlassen, weil ihnen bis zu 18 Prozent Rendite in Aussicht gestellt wurden. Wer sich bei gängigen Sparzinsen nahe der Nullgrenze auf solche Geschäfte einlässt, weiss, dass er ein extremes Risiko eingeht – bis hin zum Totalverlust seines Vermögens. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit gibt es zuhauf. Wer es trotzdem tut, ist selber schuld, wenn es schiefgeht. Schliesslich war es nicht die BKB, die ihren Kunden die Geldanlage bei der ASE empfohlen hat; das haben diese aus eigenem Antrieb gemacht, meist sogar, bevor die ASE für sie ein Konto bei der BKB eröffnete.
Fragwürdig ist hingegen, dass die Basler Kantonalbank überhaupt mit einer externen Vermögensverwaltungsfirma in Geschäftsbeziehungen trat, deren Ruf nicht der beste war. Was hat die BKB dazu veranlasst – und auch dazu, aus den Beständen der UBS Konten von steuerflüchtigen US-Bürgern zu übernehmen?
Vom Ehrgeiz geblendet
Die BKB, und nicht nur sie, hat den Pfad der Kantonalbank-Tugend schon vor etlichen Jahren verlassen – zum Teil gezwungen durch das Marktumfeld, zum Teil aus dem Ehrgeiz, auch bei den Grossen mitspielen zu wollen. Mit dem ursprünglichen Zweck der Kantonalbanken haben die aktuellen Skandale nämlich gar nichts zu tun.
Die Kantonalbanken entstanden bereits im 19. Jahrhundert – als erste die Genfer, 1899 die Basler. Sie wurden von den Kantonen meist als staatliche Institute gegründet, um sicherzustellen, dass die Gewerbler, die Handwerker, die Bauern mit Geld versorgt werden konnten. Dieses Feld vernachlässigten die damaligen Grossbanken sträflich; sie waren mit dem Aufbau der Grossindustrie und des Eisenbahnnetzes beschäftigt.
Hypotheken und Kredite
Die Kantonalbanken hingegen pflegten das lokale Geschäft mit den kleinen Kunden, sie popularisierten die Idee des Sparens, pflegten das Hypothekargeschäft und vergaben Kredite an das, was man heute KMU nennt. Bis 1907, als die Nationalbank gegründet wurde, fungierten etliche Kantonalbanken auch im Auftrag des Bundes als Notenbanken.
Die Kantonalbanken waren also sozusagen staatliche Organe – und die meisten sind es heute noch. Von den 24 Kantonalbanken des Landes, die insgesamt über eine Bilanzsumme von 420 Milliarden Franken verfügen, sind 15 öffentlich-rechtliche Anstalten. Neun sind Aktiengesellschaften, wobei aber stets der jeweilige Kanton die Aktienmehrheit besitzt. 22 Kantonalbanken besitzen eine unbeschränkte Staatsgarantie, zwei (Bern und Genf) eine beschränkte, einzig die Waadtländer Kantonalbank kommt ohne Staatsgarantie aus.
Die Kantonalbanken haben sich im Laufe der Zeit als ziemlich krisenresistent erwiesen; selbst die grosse Depression der Dreissigerjahre überlebten die meisten von ihnen besser als andere Institute. Und in der Nachkriegszeit mit ihren diversen Baubooms blühte das Kerngeschäft der Kantonalbanken – kein Grund also, grundsätzlich umzudenken.
Das änderte sich erst mit der Immobilienkrise Ende der 1980er-Jahre. Damals gerieten reihenweise auf das Hypothekargeschäft spezialisierte Banken in Bedrängnis, als die Nationalbank zur Inflationsbekämpfung die Zinsen steigen liess und in der Folge zahlreiche bis unters Dach verschuldete Hausbesitzer zahlungsunfähig wurden.
Etliche Regionalbanken gerieten in Schwierigkeiten, die Spar- und Leihkasse Thun ging sogar in Konkurs. Bei manchen Kantonalbanken klafften Riesenlöcher, das grösste bei der Berner mit rund drei Milliarden Franken. Auch die Basler Kantonalbank sah sich damals gezwungen, reihenweise Wohnimmobilien von Hypothekarschuldnern zu übernehmen.
Die Schlussfolgerung aus dieser Krise: Die Kantonalbanken begannen zu expandieren und verstärkt zu diversifizieren, auch ins Handelsgeschäft und ins Investmentbanking. Dabei musste man zwangsläufig oft über die Kantonsgrenzen hinausgehen. So gründete die Basler Kantonalbank Niederlassungen vor allem für das Private Banking in Zürich (1997) und Olten (1998), 1999 übernahm sie die überregional tätige Bank Coop. Wegen der Diversifizierung musste auch neues, spezialisiertes Personal angeworben werden, meist aus anderen Banken, oft auf dem Bankenplatz Zürich zu den dort üblichen Konditionen punkto Lohn und Boni.
Da kamen zwei Bankkulturen zusammen, die sich miteinander schwer taten; der Prozess ist wohl bis heute noch nicht abgeschlossen. Dass die derzeitigen Turbulenzen (ASE-Anlageskandal, US-Steuerfluchtgelder) im Wesentlichen über die Zürcher Filiale abgewickelt und in ihrer Tragweite in der Zentrale falsch oder zu spät wahrgenommen wurden, ist kein Zufall.
Rezept gegen die Auswüchse
Hans Rudolf Matter hat für die Folgen der Strategieänderung in den Neunzigern die Verantwortung übernommen und lässt sich vorzeitig pensionieren. Dafür verdient er Anerkennung. Wahrscheinlich muss auch die derzeitige Strategie überdacht werden. Es geht darum, sich seiner Wurzeln zu besinnen und sich als Bank wieder vermehrt in den Dienst der Kleinsparer und Kleinunternehmer zu stellen – als Rezept, um den absonderlichen Auswüchsen der globalen Finanzmärkte auszuweichen. Da ist der Bankrat nun gefordert und so kann er die Verantwortung wahrnehmen, die auch er für das Debakel trägt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.10.12