Wenn der Hai das Netz frisst

Seekabel sind die Arterien der globalen Kommunikation. Durch Naturkatastrophen und Sabotageakte können die Verbindungen allerdings empfindlich gestört werden.

(Bild: submarinecablemap.com)

Seekabel sind die Arterien der globalen Kommunikation. Durch Naturkatastrophen und Sabotageakte können die Verbindungen allerdings empfindlich gestört werden.

Ob eine simple Google-Suche, ein Skype-Telefonat oder eine Online-Überweisung – ohne das Internet geht heute nichts mehr. Doch woher kommen die Daten, wenn eine Webseite aufgerufen wird, wo sausen sie hin, wenn eine E-Mail verschickt wird? Der Grossteil des weltweiten Internet-Traffics läuft über optische Unterseekabel – etwa zehn Zentimeter dicke Kabel, die aus drei Kupfersträngen für den Strom und einem Bündel Glasfasern für die Datenübertragung bestehen. Es sind die Lebensadern der globalen Kommunikation.

Als marine Datenautobahnen verbinden sie Kontinente und sorgen mit ihren gigantischen Kapazitäten dafür, dass Mails, Suchanfragen und das Streamen von Fernsehserien reibungslos funktionieren. Rund 300 Seekabel (darunter noch viele konventionelle Kupferkabel) liegen heute auf dem Grund der Meere, und es werden immer mehr. Denn durch das Internet der Dinge, wo vom Auto bis zur Zahnbürste Milliarden Objekte vernetzt sind, müssen noch mehr Daten rund um den Globus gejagt werden. Zur Verlegung der bis zu 9000 Kilometer langen Kabel pflügen Schiffe mit «Spülschwertern» einen Graben in den Meeresboden.

Vom internationalen Handel abgeschnitten

Es gibt diese Erzählung über das Internet, wonach das weltumspannende Netzwerk selbstreparierend sei und sich wie der Markt selbst heilen könnte. Fällt ein Datenweg weg, suchen sich die Bits und Bytes einen anderen Weg und gelangen doch ans Ziel. Das mag in der Theorie so sein. In der Praxis sieht es aber anders aus. Die Seekabel sind hochfragil. 2006 kam es in Taiwan zu einem starken Seebeben. Acht Unterwasserkabel wurden zerstört. Die Folgen für die Kommunikation waren verheerend: 120 Millionen Telefonanschlüsse in Ostasien fielen aus, das Internet kroch im Schneckentempo, Banken und Börsen waren vom internationalen Handel abgeschnitten. Zeitweise musste sogar der Devisenhandel ausgesetzt werden. Von einem «digitalen Tsunami» war die Rede. Fünf Kabelreparaturschiffe aus mehreren Ländern machten sich auf den Weg in das Unglücksgebiet, um die Kabel zu reparieren. Die Arbeiten dauerten mehrere Wochen an.

Virtuelle Welten funktionieren nur dann, wenn eine physikalische Verbindung zwischen A und B besteht.

Der Vorfall zeigt, wie Naturkatastrophen die Arterien der globalen Kommunikation beeinträchtigen können. Die virtuellen Welten funktionieren nur dann, wenn eine physikalische Verbindung zwischen A und B besteht. 2008 führten Schäden an Unterseekabeln zu Beeinträchtigungen von Internetverbindungen im Mittleren Osten und Südasien. In Ägypten wurde die Internetkapazität um rund 80 Prozent reduziert. Techniker mussten den Datentransfer über Alternativrouten im Roten Meer umleiten. Immer wieder gibt es zudem Berichte über Haie, welche die Glasfaserkabel anknabbern. 2012 wurde bekannt, dass ein Schiff vor Ostafrika falsch ankerte und dabei wichtige Seekabel kappte. Der Internetverkehr in Kenia, Ruanda, Tansania und Äthiopien war zeitweilig um 20 Prozent verlangsamt.

Die Wissenschaftlerin Nicole Starosielski beschreibt in ihrem Buch «The Undersea Network», wie wenig geschützt die Kabel sind. Auf der US-Ferieninsel Guam im Pazifik landet direkt an einem Strandabschnitt ein Seekabel. «Touristen tappen auf ihrem Weg zweimal darauf ohne zweimal zu schauen, bedacht, zu einer Flakgeschützruine auf der anderen Seite des Strands zu gelangen (…)» Das mit dickem Metall ummantelte Kabel, das am Gun Beach verläuft, könnte man zunächst für ein Abwasserrohr halten. Was die meisten nicht wissen: Hierbei handelt es sich um einen Knotenpunkt der internationalen Kommunikation. 60 Millionen Telefongespräche werden durch das Kabel kanalisiert, das ungeschützt an einem Strandabschnitt liegt.

Erhöhte Aktivität russischer U-Boote

Die grösste Gefahr besteht jedoch nicht in der Unachtsamkeit von Touristen, sondern in gezielter Sabotage. Im März 2013 nahm die ägyptische Küstenwache drei Taucher fest, die sich daranmachten, ein Internet-Seekabel zu durchtrennen. Im Oktober berichtete die «New York Times» unter Berufung auf Sicherheitskreise, russische U-Boote und Spionageschiffe würden in internationalen Gewässern gefährlich nah an Seekabeln manövrieren. Experten berichteten über erhöhte russische Aktivitäten von der Nordsee bis Nordostasien sowie vor der amerikanischen Küste entlang bekannter Kabelrouten. Das Pentagon warnte, Russland könnte im Konfliktfall Seekabel kappen und damit die «zivile und militärische Infrastruktur» lahmlegen. Was ist dran an diesen Vorwürfen?

Keith Schofield, General Manager des International Cable Protection Committee, sagt im Gespräch mit der TagesWoche: «Unterwasserkabel machen 98 Prozent der interkontinentalen Internetkommunikation aus, stellen mithin kritische Infrastruktur dar. Die Betreiber müssen zahlreiche Bedrohungen berücksichtigen, wenn sie die Kabel verlegen.» Im Fall der USA, wo ein gutes Dutzend Kabel landen, müsste ein Angriff mit mehreren U-Booten gleichzeitig erfolgen, um die Internetverbindungen zu kappen. Das bedeutet einen immensen logistischen Aufwand – das Radarsystem zu unterlaufen, ist praktisch unmöglich. Die Internetnetznutzer würden ohnehin keinen Unterschied merken, weil der Traffic automatisch umgeleitet werde.

Geopolitisch sensible Länder gefährdet

Auch Jonathan Hjembo, Analyst bei der Beratungsfirma TeleGeography, hält ein Angriffsszenario durch russische U-Boote für unwahrscheinlich. Auf Anfrage teilt er mit: «Die Gefahr, dass die Russen versuchen, das Internet zu sabotieren, ist gering.» Zwar seien Kabel verwundbar, doch durch die Netzwerkredundanz – Ziele werden mindestens zweifach oder manchmal mehrfach eingespeist – könnten Betreiberfirmen auf Reservekapazitäten zurückgreifen, wenn ein System zusammenbricht.

Für einen Sabotageakt müsste man mehrere Systeme gleichzeitig attackieren, sagt Hjembo: «Man muss bedenken, dass die Schädigung von Unterwasserkabeln, die mit den USA verbunden sind, die Internetdienstleistungen in den USA deutlich weniger beeinträchtigen würden als andernorts.» Als globaler Knotenpunkt des Internets seien viele Netzwerkausrüstungen lokal gespeichert. Andere Nationen wie Russland dagegen hängen in ihrem Internetzugang stärker von den USA und Europa ab. «Alles, was sie zur Schädigung der Verbindung tun, würde ihnen mehr schaden als das beabsichtigte Ziel», sagt Hjembo. Die Russen würden sich mit einem Sabotageakt ins eigene Fleisch schneiden.

Gleichwohl ist auch die Redundanz kein Garant für eine reibungslose Internetkommunikation. Länder, in denen wenige Kabel anlanden und die in geopolitisch sensiblen Regionen liegen – etwa die Türkei, Saudi-Arabien und Indien – sind deutlich verwundbarer als die USA. Die Verbindungen könnten in einer konzertierten Aktion sabotiert werden. Es wäre eine völlig neue Form hybrider Kriegsführung – ein physischer Angriff mit der Wirkung einer Cyberattacke. Der Sicherheitsexperte Keith Schofield schliesst derlei Sabotageakte nicht aus. So bleibt die beunruhigende Erkenntnis, dass das World Wide Web nur bedingt seetüchtig ist.

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