Die Narbe an ihrem Hals zeugt von der Nacht, in der ihr Leben fast zu Ende gegangen wäre. Die Narben in ihrer Seele, welche die 18 Jahre hinterlassen haben, in denen sie von ihrem Mann gedemütigt wurde, sind unsichtbar. Es ist die Geschichte einer Frau, die – wenn auch nicht immer in dieser Zuspitzung – beispielhaft für die vieler Frauen ist.
Häusliche Gewalt ist laut Europarat «die Hauptursache für den Tod oder die Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren». Wie dem Basler Monitoringbericht über die Gewalt in Partnerschaft und Familie kürzlich zu entnehmen war, musste die Polizei im vergangenen Jahr 306 Mal einschreiten, in über 80 Prozent der Fälle waren es Männer, die Gewalt ausübten.
Der Name der Frau, um die es in dieser Geschichte geht, spielt deshalb keine Rolle, ebenso wenig ihre Nationalität. Denn häusliche Gewalt ist weder ein Problem bestimmter Schichten noch gewisser Nationen. Auch das zeigt der Monitoringbericht. Nennen wir die Frau also Maria, sie stammt aus einem südeuropäischen, christlichen Land.
Maria heiratete jung, sie war noch keine zwanzig, ihr Mann nur wenig älter. Ihre Eltern, sagt Maria, seien darob nicht erfreut gewesen, haben dem Willen ihrer Tochter aber wohl oder übel nachgegeben. Kinder kamen zur Welt, drei insgesamt. Doch die Ehe lief nicht gut. Es gab viel Streit zwischen dem Paar, immer wieder mal «rutschte» dem Mann dabei die Hand aus. Maria erfand immer wieder Ausreden für blaue Flecken im Gesicht.
Betteln um Verzeihung
Sich von ihrem Mann zu trennen, schaffte sie nicht – da waren doch die Kinder. Und die Angst, die Familie allein nicht ernähren zu können, war zu gross. Zumal in Marias Heimat die Jobs dünn gesät sind. Auch deshalb entschied sich ihr Mann vor sechs Jahren, in der Schweiz sein Glück zu suchen. Auf dem Bau waren Leute wie er gefragt.
Ein Jahr später, als er eine Wohnung für seine Familie gefunden hatte, zogen Maria und ihre Kinder nach. Basel war nun die neue Heimat, auch Maria fand Arbeit. Doch die Streitereien gingen weiter, noch heftiger als zuvor. «Ich weiss nicht, weshalb», sagt Maria. Ihr Mann habe viel getrunken, sei wahnsinnig eifersüchtig gewesen. Auch wenn es nie irgendwelche Hinweise darauf gab, er unterstellte ihr ständig irgendwelche Liebhaber. Und schlug zu, wenn sie sich gegen diese Unterstellungen wehrte.
«Die Kinder haben alles erlebt», sagt Maria, und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Immer öfter dachte sie daran, ihren Mann zu verlassen, sie sah keine Zukunft mehr mit ihm. Wenn sie versuchte, mit Landsleuten darüber zu reden, rieten ihr die meisten, zu bleiben und auszuhalten. Manchmal drohte Maria ihrem Mann mit der Polizei, dann bettelte er um Verzeihung und versprach, sich zu bessern. Ein paar Tage hielt er sein Versprechen. Dann gings wieder los.
Drohen, bereuen, versprechen
Wenn Maria von Scheidung redete, drohte er, sie umzubringen. Wenn sie ihm nicht gehöre, dann solle sie auch niemandem sonst gehören. Einmal übernachtete Maria nach einem Gewaltausbruch mit ihren Kindern bei einer Freundin. «Er rief die ganze Nacht an.» Sie solle doch bitte wieder nach Hause kommen, er liebe sie, er werde ihr künftig im Haushalt helfen, mit dem Trinken aufhören, und er wolle sie nie mehr schlagen.
Sie kehrte am anderen Morgen zu ihm zurück. Aber: «Das war alles Lüge», sagt Maria. Zwar habe er tatsächlich eine Weile nicht zugeschlagen, sogar ein paar Mal das Abendessen gekocht; getrunken habe er weiterhin. So hielt auch dieser Friede nicht lange an. «Wir kamen an den Punkt, wo er mich ständig unter Kontrolle haben wollte.» Maria musste ihm, wenn sie jeweils von der Arbeit nach Hause kam, ihr Handy abgeben, damit er nachschauen konnte, mit wem sie telefoniert hatte.
Sie kämpfte um ihr Leben
Eines Abends im Oktober 2011 eskalierte die Situation. Beschimpfungen, Streitereien den ganzen Abend, ein Wort gab das andere, die Kinder hatten sich vor den Fernseher geflüchtet. Maria weiss nicht mehr, wie spät es war, als sie es geschafft hatte, sie ins Bett zu schicken, und sie selber auch endlich im Bett lag. Es müsse gegen Mitternacht gewesen sein, sagt sie.
Plötzlich kam ihr Mann ins Schlafzimmer, schloss die Türe ab. Er hatte ein Messer in der Hand. «Er hatte mir mehrmals gedroht, mich umzubringen, aber ich hatte ihm nicht geglaubt.» Nun war sie sicher, dass er sie töten würde. Er stürzte sich auf sie und stiess ihr das Messer in den Hals. Maria kämpfte um ihr Leben. Sie schaffte es, das Messer herauszuziehen, versuchte aufzustehen, zu fliehen. Doch ihr Mann setzte sich auf sie, würgte sie. Maria rief nach ihren Kindern.
«Ich dachte, ich hätte laut geschrien», doch die Ärzte sagten ihr später, sie habe zu diesem Zeitpunkt schon so viel Blut verloren, dass sie gar nicht die Kraft dazu gehabt habe. Die Kinder hörten die Schreie ihrer Mutter nicht. Erst als Maria ihren Mann bat, sie in Gottes Namen sterben zu lassen, schien diesem bewusst geworden zu sein, was er angerichtet hatte. Er schloss die Tür auf und rief nach der ältesten Tochter. Als diese das Blutbad sah, sei sie total in Panik geraten, erzählt Maria. Die Jugendliche schrie, weinte, wusste nicht, was tun. Die anderen Kinder erwachten ebenfalls. Maria bat, jemand von ihnen möge die Polizei anrufen.
Ein Netzwerk, das hilft
Sie erinnert sich nur noch schemenhaft, wie Polizei und Krankenwagen kamen und sie weggetragen wurde. Als sie aus der Narkose erwachte, erfuhr sie, dass das Amt für Kinder- und Jugendschutz (AKJS) ihre Kinder vorübergehend an einem Pflegeplatz untergebracht hatte und ihr Mann im Gefängnis sass. Eine Woche war sie im Spital, danach kam sie ins Frauenhaus. «Dort traf ich meinen Engel», sagt Maria und meint damit ihre Betreuerin im Frauenhaus. Dort erfuhr Maria endlich die Unterstützung, die ihr so lange gefehlt hatte.
Mit psychologischer Behandlung wurde ihre verletzte Seele gepflegt, aber auch in ganz alltäglichen Dingen half man ihr wieder auf die Beine – wie etwa bei der Suche nach einer neuen Wohnung oder beim Bewältigen des bürokratischen Papierbergs, mit dem sich Maria konfrontiert sah. Dazu konnte sie auf die Hilfe weiterer Stellen zählen: Die Opferhilfe nahm sich der strafrechtlichen Angelegenheiten sowie der weiteren Begleitung nach dem Austritt aus dem Frauenhaus an, das AKJS kümmerte sich um die Betreuung der traumatisierten Kinder.
«Damit Menschen, die so etwas wie Maria und ihre Kinder erlebt haben, wieder auf die Beine kommen können, müssen sie entlastet werden, und dafür braucht es ein Zusammenspiel von vielen Stellen», sagt Margit Becker, Beraterin bei der Opferhilfe beider Basel. «Niemand schafft es in einer solchen Situation, sich noch um Versicherungen und dergleichen zu kümmern.» Die Bilanz gibt Becker recht: Gemäss Monitoringbericht schaffte es die Mehrheit der Frauen, die im Frauenhaus Zuflucht suchten, sich aus der gewalttätigen Beziehung zu befreien.
Keine Reue
Nach etwas über zwei Monaten Aufenthalt im Frauenhaus fühlte sich Maria so weit gestärkt, dass sie wieder an ein eigenständiges Leben denken konnte. Mit ihren Kindern zog sie in eine neue Wohnung – zurück in die Ehe, die für sie die Hölle war, ist für Maria kein Thema mehr. Ihren Mann hat sie erst diesen September bei der Gerichtsverhandlung wieder gesehen, er sass seit seiner Tat in Untersuchungshaft. Sie hätte bei der Verhandlung nicht dabei sein müssen, aber sie wollte. «Er sollte sehen, dass ich lebe.»
Er wurde wegen versuchter Tötung zu gut elf Jahren Gefängnis verurteilt, bei guter Führung wird ihm ein Drittel der Strafe erlassen. Man habe ihr zwar versichert, sagt Maria, dass er in der Schweiz keinen Moment auf freiem Fuss sei, weil er sofort in Ausschaffungshaft komme und in seine Heimat ausgewiesen werde. «Aber ich mag trotzdem nicht daran denken, dass er wieder frei ist.» Denn er habe seine Tat nie bereut.
Opfer von häuslicher Gewalt finden hier Hilfe:
– Notfallnummer Frauenhaus Basel: 061 681 66 33.
– Opferhilfe beider Basel, limit – Frauenberatung gegen Gewalt: 061 205 09 10.