Wenn zwei dasselbe bauen

Was den Deutschen die Nordsee, ist den Schweizern das Mittelmeer. Das führt zu Problemen, wenn ein Zollgebäude halb auf schweizerischem und halb auf deutschem Boden steht. In Weil etwa.

Der Bau des neuen Zollgebäudes am Grenzübergang Weil/Friedlingen verursacht ziemlich Kopfzerbrechen. (Bild: Illustration: Domo Löw)

Was den Deutschen die Nordsee, ist den Schweizern das Mittelmeer. Das führt zu Problemen, wenn ein Zollgebäude halb auf schweizerischem und halb auf deutschem Boden steht. In Weil etwa.

Im Moment ist wenigstens schon mal alles platt. Am Grenzübergang nach Weil/Friedlingen ist das alte Zollgebäude verschwunden, die Fahrzeuge werden seit Mitte Jahr provisorisch in einem Zelt abgefertigt. Es kann losgehen mit dem Neubau.

Selbstverständlich ist das alles nicht. Immerhin steht das künftige Zollgebäude zu 58 Prozent auf Schweizer Boden und zu 42 Prozent in der EU. Was einige Verwicklungen mit sich bringt. Bisher konnte man die vermeiden, weil jeder schön für sich gearbeitet hat. Abgerissen haben die Deutschen. Den Neubau auf der Grenze errichtet Basel-Stadt.

Seit dem Beinahe-Desaster beim Bau der Brücke in Laufenburg vor acht Jahren kennen auch Nicht-Fachleute eine der wichtigsten Hürden im Bauwesen zwischen Deutschland und der Schweiz: Die Schweizer bestimmen ihren Nullpunkt nach dem Mittelmeer, die Deutschen ihren nach der Nordsee. Das führt zu 27,5 cm Höhenunterschied in den Plänen.

Damit am Schluss das Gebäude nicht einen ungeplanten Knick im Dach bekommt, amtet Chefgeometer Frank Schmidt vom Tiefbauamt als zentrale Schaltstelle. Er kontrolliert alle Pläne und koordiniert den Datenaustausch aller Höhen und Koordinaten. Gebaut wird nun nach Schweizer Koordinaten und Höhen.

Schweizer Gastrecht für ein WC

Lucas Rentsch vom Ingenieurbüro Aegerter & Bosshardt AG, der die Gesamtprojektleitung übernommen hat, musste für die Planung gut 30 Institutionen um den Tisch versammeln: «Alles natürlich doppelt besetzt, jeweils von der deutschen und Schweizer Seite.» Jeder Staat hat seine eigenen Vorschriften: Wie hell muss das Ganze beleuchtet sein, damit die Grenzwache auch nachts kontrollieren kann? Wie hoch muss die Durchschusssicherheit des Gebäudes sein? Aber auch: Wie viel Raum brauchen die Schweizer Zöllner, wie viel die deutschen? Die Deutschen schon mal wesentlich weniger. Sie bekommen aber eine Art «Wärmestube» mit Aussicht im neuen Mittelgebäude auf der Grenze. Dessen WC liegt auf Schweizer Seite. Die Schweizer haben Gastrecht versprochen.

Auf deutscher Seite musste zudem vor Baubeginn erst gebohrt werden. Denn bei jedem Neubau müssen in Deutschland zertifizierte Fachleute von der Kampfmittelbeseitigung Sondierbohrungen durchführen. Zwar ist der Zweite Weltkrieg lange vorbei, aber sicher ist sicher. Rentsch erzählt: «Der Herr in Stuttgart hat mir allerdings schon vorher gesagt, dass es in dieser Gegend nur Artilleriebeschuss gegeben habe – und die Franzosen hätten recht gezielt geschossen.» Gefunden wurde bisher nichts.

Weiter ging es mit dem Ausschreibungsverfahren. Das neue Zollgebäude wird zwar durch den Kanton Basel-Stadt erstellt. Die Hauptkonstruktion wird aber auch durch die Stadt Weil am Rhein und Interreg mitfinanziert. Deshalb werden die Arbeiten beidseits der Grenze ausgeschrieben. Das öffentliche Beschaffungsgesetz ist zwar europäisch geregelt, birgt aber im Detail, wie sollte es anders sein, länderspezifische Unterschiede. Pragmatisch hat man sich so geeinigt: Beim Zollgebäude kommen die Formalitäten von Basel-Stadt zur Anwendung, auch für deutsche Anbieter.

Baubeginn für das neue Zollgebäude ist gegen Ende Oktober. Dass der stattfinden kann, verdankt Rentsch dem sehr kooperativen Ringen aller Parteien am Verhandlungstisch, die versuchten, das Ganze auf pragmatische Grundlagen zu stellen. Wie etwa geht man beim Bau mit verschiedenen Mehrwertsteuersätzen um? Was heisst das zolltechnisch, wenn der deutsche Bagger mal eine Schaufel Erde auf die Schweizer Seite schiebt? Und was, wenn Schweizer Beton auch auf deutscher Seite gegossen wird? Theoretisch wird er ja exportiert und es müsste Ein- und Ausfuhrzoll erhoben werden. Es brauchte reichlich konstruktiven Gestaltungswillen, bis sich alle Stellen auf gangbare und praxistaugliche Lösungen geeinigt hatten.

Jetzt wird einfach in Prozent der Baufläche pro Land abgerechnet. Die Unternehmer stellen nach Prozenten aufgeteilt jeweils eine Rechnung für den Schweizer und eine für den deutschen Teil.

Neben dem Neubau des Zollgebäudes sorgen die Tramgleise voraussichtlich im Frühjahr 2013 nochmals für einen spannenden Moment. Die Verlängerung des 8er-Trams nach Weil am Rhein machte den Neubau des Zollgebäudes ja überhaupt erst notwendig. Noch bauen Schweizer und Deutsche die Gleise unabhängig voneinander. An der Grenze müssen diese dann nahtlos zusammenpassen. Rentsch: «Die bisher schon verlegten Gleise wurden gerade erst vermessen – bisher stimmt alles auf den Millimeter …»

«Strahlend Weiss» – die neue Zollanlage

Das neue Zollgebäude besteht aus einer Mittelkabine mit Schutzdach, um das die Fahrspuren herumführen. Mittelkabine und Dach bestehen aus Beton und Glas und sind ganz in weiss gehalten. Das Dach scheint dank Bauteilen aus Glas, indirekter Beleuchtung und kaum sichtbaren Stützen über der Kabine zu schweben. Es wurde, ebenso wie das Mehrwertsteuergebäude, vom Büro zickenheiner architekten gmbh aus Lörrach gemeinsam mit den Nordwestschweizer Ingenieurunternehmen Jauslin + Stebler im Rahmen eines grenzüberschreitenden Wettbewerbs entworfen. 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.10.12

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