Harvard-Historiker Niall Ferguson behauptete, Menschen ohne Kinder würden sich nicht um die Zukunft sorgen. Das Gegenteil trifft zu, sagt Guardian-Autorin Julie Bindel.
Da haben wir also mal wieder einen Fall der Pathologisierung von Kinderlosen: Der Harvard-Historiker Niall Ferguson unterstellte dem Ökonomen John Maynard Keynes, dass er nicht langfristig gedacht habe und sich nicht wirklich um die kommenden Generationen sorgen konnte, weil er keine Kinder hatte und wahrscheinlich schwul gewesen sei.
Ferguson hat sich mittlerweile für seine Bemerkungen in seinem Blog vorbehaltlos entschuldigt, also soll es damit gut sein. Aber es ist doch interessant zu sehen, dass die Aufregung um Fergusons Sätze sich hauptsächlich auf die zugrunde liegende Homophobie bezog – nicht aber auf die Sache mit der Kinderlosigkeit.
Alle reden von der überalterten Gesellschaft, die in nicht so ferner Zukunft unsere Sozialwerke ruinieren wird. Und nun das: Seit acht Jahren kommen Jahr für Jahr wieder merh Kinder zur Welt. Die TagesWoche hat sich in der Ausgabe vom 29. März die Konsequenzen angeschaut: «Leben kommt in die Bude».
Schaut man genauer hin, ist das aber nicht ganz so überraschend: Bei vielen, ansonsten durchaus vernunftbegabten Menschen trifft man auf die Vorstellung, diejenigen von uns, die sich bewusst gegen eigene Kinder entscheiden, seien selbstsüchtig, wurzellos und gleichgültig gegenüber dem Schicksal künftiger Generationen. Dabei ist es doch oft so, dass diejenigen, die Kinder haben, die Welt um sich herum völlig vergessen und sich nur noch um ihren eigenen, immer kleiner werdenden Kosmos scheren.
Nach der Geburt völlig verblödet
Ich habe erlebt, wie einst leidenschaftliche, engagierte Feministinnen nach der Geburt ihres Kindes völlig verblödet sind. All die Versprechen – «Ich werd trotzdem noch zu der Demo kommen, an der Konferenz teilnehmen und diesen oder jenen Sex-Shop abfackeln …» – kann man vergessen, wenn sie erst einmal entbunden haben.
Von allen, die in meinem Bekanntenkreis Kinder bekommen haben, hat die eigene kleine Welt im Laufe der Zeit auf ungesunde Weise Besitz ergriffen. Sie schmeissen ihre alten Überzeugungen über Bord – das klingt dann etwa so: «Ich hasse Privatschulen zwar immer noch, aber meine Kinder sind mir wichtiger als meine politischen Überzeugungen.» Das macht es sehr schwer, weiterhin einen normalen Umgang mit ihnen zu pflegen.
Einige Kinder sind grossartig – sobald sie erwachsen geworden sind.
Es ist mir deshalb ein Rätsel, wie man ausgerechnet Kinderlosen vorwerfen kann, sie seien unfähig, erwachsen zu werden und sich mit den Problemen Erwachsener zu beschäftigen. Haben Sie schon einmal gesehen, wie manche Eltern sich aufführen, die miteinander reden wie Kleinkinder und offensichtlich Spass daran haben?
Ich habe mir gerade den Film The Kids Are All Right noch einmal angesehen und wurde kurz von dem Wunsch befallen, ebenfalls eigene Kinder zu besitzen (es ging aber schnell wieder vorbei). Woher rührte dieser Wunsch, fragte ich mich und es dämmerte mir, dass es daran lag, dass in dem Film das eine Kind von zuhause weg und an die Uni geht und das andere Kind so süss ist und so wenig Ärger macht, dass es wirkt wie ein Plüschtier zum Knuddeln.
Dabei war ich mir über meine Haltung zu Kindern immer im Klaren – einige von ihnen sind grossartig, sobald sie erwachsen geworden sind. An dieser Stelle werde ich für gewöhnlich daran erinnert, dass auch ich einmal ein Kind gewesen sei. Das ist natürlich richtig, aber ich konnte mich selbst auch nicht leiden, bevor ich wählen gehen durfte. Ich bin stolz, zu all den anderen kinderlosen Frauen wie Oprah Winfrey, Dolly Parton, Helen Mirren, Florence Nightingale und Dorothy Parker zu gehören, die richtig viel erreicht haben.
Erwartet bitte keinen Dank!
Es ist egoistisch, ein Kind in die Welt zu setzen, denn die Welt ist überbevölkert und Millionen ungewollter Kinder leben im Heim oder auf der Strasse. Ich habe trotzdem kein Problem mit Leuten, die eigene Kinder haben wollen, solange sie nicht von mir erwarten, ihnen auch noch dazu zu gratulieren und ihnen dafür zu danken, dass sie den Planeten retten.
Mein Erbe wird nicht in meiner DNA bestehen, sondern in meinem Beitrag zur Emanzipation von Mädchen und Frauen. Wenn mir also Leute erzählen – was sie regelmässig tun –, sie hätten sich entschieden, Kinder zu bekommen, damit die sich später um mich und andere Kinderlose kümmern könnten, wenn wir alt sind, bescheide ich ihnen in aller Höflichkeit, dass das nicht nötig ist. Es wäre mir lieber, sie würden mithelfen, die Welt zu verändern, als die Weltbevölkerung noch weiter zu vergrössern.
(Copyright: Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung: Holger Hutt, freitag.de).