Wer Stil hat, muss weniger shoppen: Kleiderschrank-Ausmisten mit Greta Aguilar

Kleider kaufen kann mühsam sein – und belastet die Umwelt. Ein neuer Trend verspricht Rettung: Minimalismus im Kleiderschrank. Ein Selbstversuch mit Style Coach Greta Aguilar. 

Über Mode habe ich mir nie viele Gedanken gemacht. Das Thema wirkte auf mich allzu oberflächlich, weil es so auf das Äussere fokussiert. Hat natürlich, wie so vieles, mit meiner familiären Prägung zu tun. Geld für mich selbst ausgeben, womöglich noch viel für qualitativ Hochwertiges? Damit bin ich nicht gross geworden. Geld wurde lieber für Bedürftige eingesetzt als für Ego-Kram.

Und so ist das Verhältnis zu meinem Kleiderschrank ambivalent. Klar möchte auch ich Schönes zum Anziehen haben. Doch zu viel Zeit oder Geld will ich nicht investieren.

Wenn ich shoppen gehe, springen mir die bunten Teile ins Auge und einige davon landeten auch in meinem Schrank. Und doch geht es mir wie vielen anderen Frauen: Nur zu gut kenne ich das allmorgendliche Gefühl, nichts anzuziehen zu haben.

Und dann, eines Tages im heissen Sommer, lernte ich zufällig Greta Aguilar kennen. Es war eine Zufallsbegegnung am Brunnen. Sie sass am Rand, wir kamen ins Gespräch. Ihr Ansatz als Stilberaterin Mode, Nachhaltigkeit und Minimalismus zu kombinieren, sprach mich an.

Das Ziel ist, mit wenigen ausgesuchten Kleidungsstücken, die sich gut kombinieren lassen, auszukommen und glücklich zu werden.

Weg vom regelmässigen Kleiderkauf, weg vom Frust-Shopping, weg von überfüllten Kleiderschränken. Hin zu Lieblingsteilen und hochwertigen Basics, die aus natürlichen Materialien bestehen und möglichst fair produziert und/oder Secondhand sind.

Ich wollte den Selbstversuch starten.

Ein paar Wochen nach unserer ersten Begegnung und einem gemeinsamen Podcast steigt Greta aus ihrem Auto vor meinem Zuhause. High Heels, rotes Kleid, Rollköfferchen, wallendes Haar. Ein bisschen wie im Film. Nicht meine Welt. Doch sie ist so herzlich, dass ich sie gerne nicht nur ins Haus, sondern auch an meinen Kleiderschrank lasse.

Come on, ich bin 40 geworden, Zeit für Neues!

Erster Schritt: Bestandesaufnahme

Der Weg zu mehr Stilbewusstsein (ich bin wirklich kein Fashion Victim) führt über die Inventur des Schrankes. Was hängt dort alles? Was gefällt mir? Was passt zu mir, worin fühle ich mich wohl? Was möchte ich mit meiner Kleidung ausdrücken, wie möchte ich wirken?

Das habe ich mir vorher noch nie bewusst überlegt. Kleidungskäufe waren in der Regel Gefühlsentscheidungen. Bunte Blumen auf pinkem Hintergrund: Will ich haben! «Ich möchte Lebensfreude und Kreativität ausdrücken», schreibe ich auf den Fragebogen, den Greta Aguilar mir vorab mailt.

Dann geht es ans Sortieren. Lieblingsteile werden identifiziert, sie bleiben im Schrank. Kleidungsstücke, die nie getragen werden, aber noch Bedeutung haben, wandern in eine Kiste. Kleider der anderen Saison werden so lange verwahrt, bis sie wieder zum Einsatz kommen. Alles, wovon ich mich problemlos lösen kann, wird verschenkt, gespendet, verkauft. Denn beim Blick in den Schrank sollte das Aussuchen und Kombinieren leicht fallen und nicht überfordern.

Die Inventur zeigt:

  1. In meinem Kleiderschrank gibt es viele bunt bedruckte Teile, aber kaum Basics. Darum weiss ich oft nicht recht, was anziehen. Gemusterte Strumpfhose zu gemustertem Schal und knalligem Pulli: schwierig. Da stehen ein paar schlichte einfarbige Neuanschaffungen an.
  2. Es sind einige Kleidungsstücke darunter, die schon sehr, sehr lange im Schrank hängen. Ungetragen. Teilweise über zehn Jahre. Da hilft nur Abschied nehmen und Platz für Neues machen.
  3. Von den ungefähr neun Paar Jeans trage ich zwei oder drei. Entweder sind sie labberig oder allzu enge Hüftjeans (dazu später mehr).
  4. Ich habe viel Baumwolle. Baumwolle ist super, weil natürlich, aber: Die Farbe wäscht sich leicht aus. Darum wirke mein Stil «shabby chic», sagt Greta Aguilar. «Maybe it’s time to move on to the next level, to the chic?», sagt sie freundlich. Ich bin mir noch nicht so sicher.

Zweiter Schritt: Neu Entdecken und Loslassen

«Ich habe ein Auge für das Mix and Match, also Ideen zum neu Kombinieren», sagt die Style-Expertin. Mein pinker Pulli zum Beispiel ist sofort zum Lieblingsteil avanciert. Mit dem grün-blauen Schal sieht er gleich anders aus, weniger knallig. Oder mit den Ansteckern.

«Ich möchte diese Jacke mal an dir sehen», sagt Greta Aguilar. Es ist eine bunte Wolljacke (ja, ich liebe vielfarbige Kleidungsstücke). Greta begutachtet mich kritisch. «Dein Oberkörper wirkt damit viel zu voluminös», sagt sie und setzt zu einem kleinen Exkurs an: «Wir möchten gesehen und gehört werden. Wir wollen nicht, dass unsere Kleidung wahrgenommen wird, sondern wir. Und das Auge liebt Symmetrie. Es sucht unbewusst nach Störfaktoren des Gleichgewichts. Wenn ich dich in diesem Wollmantel anschaue, kann ich dir schon nicht mehr zuhören – meine Aufmerksamkeit ist weg!»

Was tun? Die Wolljacke müsste kürzer sein, oder sie bräuchte ein Gegengewicht weiter unten. «Probier doch mal die hellen Stiefel dazu aus.» Ja, der Unterschied fällt mir auf. Greta macht ein Foto und zeigt es mir.

Die Jacke bleibt, ausgeleierte dünne Strickjacken wandern in die Kleiderspenden-Tasche. «Die brauchst du nicht mehr.» Kommen wir zu den Jeans. «Das Problem mit diesen Jeans ist,» erklärt Greta, «sie schneiden an der falschen Stelle ein.» Das stimmt. Sie sind weder vorteilhaft noch bequem.

Seit bestimmt zwanzig Jahren habe ich Hüftjeans im Repertoire, diese tief sitzenden engen Hosen, die einmal in waren und teilweise immer noch sind. «Gut, dass du jetzt 40 bist und das ändern kannst!», sagt Greta lachend. Überhaupt ist es ein sehr humorvoller Vormittag. Ausmisten kann richtig Spass machen.

Wir finden eine Jeans, die deutlich höher geschnitten ist. «Sie schmeichelt deiner Figur viel mehr, ausserdem ist sie schlicht und dunkel und gut kombinierbar. Ach, ich bin froh, dass wir ein gutes Basic-Teil gefunden haben!»

Dritter Schritt: Wertschätzen und Pflegen

Seit Gretas Besuch habe ich schon eine ganze Ladung Klamotten weggebracht. Ein paar bessere Stücke möchte ich verkaufen. Tatsächlich habe ich mir schon einen Wollkamm zugelegt und die Wollpullover entfusselt.

Greta selbst wäscht vieles von Hand, damit es nicht so stark auswäscht. Mit möglichst wenig Waschmittel. Jeans zum Beispiel hängt sie ab und zu ins Badezimmer, wenn sie duscht, dann werden sie durch die Feuchtigkeit frisch – wirklich waschen müsse man sie nur zwei-, dreimal im Jahr.

Das Wertschätzen und Pflegen gehört mit zum Konzept – denn es geht ja darum, dass die Dinge lange halten.

Bei einigen Teilen bietet sich ein Upcycling an. Das heisst, dass sie umgenäht werden, noch etwas hinzugefügt wird, oder ihr Material für etwas anderes genutzt wird. Zum Beispiel habe ich einen schwarzen Wollfilz-Mantel, in dem ich mich allzu ernst fühle. «Es sind die grossen dunklen Knöpfe, die den Eindruck entstehen lassen», sagt Greta Aguilar. «Du könntest bunte Knöpfe dran nähen. Oder die Knöpfe mit Faden umwickeln. Dann wirkt er ganz anders und passt besser zu dir.»

Aus alten Lieblingsteilen könnten auch Kissen oder eine Patchwork-Decke genäht werden.

Vierter Schritt: Neues finden

Gretas Besuch dauerte länger als geplant, die Zeit verging wie im Flug. Ich habe eine Idee davon bekommen, worauf ich achten kann, damit das Gesamtbild stimmiger und meine Garderobe ausgedünnt und gleichzeitig vielseitiger wird. Greta empfiehlt mir zum Beispiel einen Trenchcoat als Übergangsjacke (wäre ich nicht drauf gekommen).

Sie schickt mir seither Bilder von Blusen, Kleidern oder Mänteln, die mir stehen könnten per WhatsApp und Pinterest. An einem Abend sehe ich einen knallgelben Mantel im Laden, schicke ihr schnell ein Foto: «Sí o no?» – «Die Farbe ist toll, aber der Schnitt..?» Sie hat recht. Noch ein Schlabber-Teil brauche ich wirklich nicht.

Bei Shirts empfiehlt Greta Aguilar, solche aus einer Baumwoll-Seide-Mischung zu kaufen. Die verwaschen nicht so schnell. Die dänische Firma Rosemunde führt solche und auch der Laden COS an der Freien Strasse. Greta Aguilar empfiehlt für hochwertige Stücke ausserdem die Basler Boutique Royal Blush & Friends in der Gerbergasse und als Secondhand-Adresse beispielsweise Anna K.

Wichtig ist ihr zu betonen, dass es für einen nachhaltigen Lebensstil nicht ausreiche, auf Öko-Konsum umzustellen. «Wir müssen unseren Konsum reduzieren», ist sie überzeugt.

Mein Vorsatz: keine billigen Schnellkäufe mehr.

Für Jacken, Hosen und so weiter habe ich begonnen, die Basler Secondhand-Läden abzuklappern. Wenn es unbedingt Neues braucht: auf möglichst natürliche Materialien wie Wolle, Seide, Bambus oder Hanf achten.

Mein Fazit: Mir gefällt die Idee eines aufgeräumten Kleiderschranks sehr. Ich wünsche mir mehr Möglichkeiten, meine schönen Teile kombinieren zu können. Und die ausbeuterische Mode-Industrie nicht unterstützen zu müssen. «Jeder Tag, an dem wir nicht bei Billigketten einkaufen, ist ein guter Tag», sagt Greta Aguilar. Das Coaching war ein guter Anstoss, das Thema Mode einmal anzugehen.

Allerdings gibt es keine schnellen Erfolge, zumindest nicht äusserlich sichtbare. Bevor ich eines Tages wirklich weniger Zeit in den Kleiderschrank investiere und die erstrebten, zueinander passenden Outfits habe, dauert es noch länger. Secondhand kaufen ist ehrenwert, aber es braucht viel Musse und Glück.

In den letzten zwei Wochen nach dem Coaching habe ich mehr über Outfits nachgedacht als in den letzten zwei Jahren. Aber ich habe beschlossen, dass das auch okay so ist. Ich warte, bis ich die wirklich passenden Kleider finde und will vorher keine billigen Schnellkäufe mehr tätigen.

Greta Aguilar bietet Online-Beratung für 400 Franken an und persönliches Coaching für 600. Weitere Informationen auf ihrer Facebook-Seite.

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