«Wer will schon deprimierte Tiere sehen? Pinguine werden mit Antidepressiva aufgemuntert»

Das geplante Ozeanium sei nicht zeitgemäss, sagt der Basler Tierphilosoph Markus Wild. Man könne die Unterwasserwelt genauso gut virtuell darstellen. Ein Gespräch über moderne Zootierhaltung, Tierrechte und weshalb es okay ist, Schafe zu nutzen, aber nicht Milchkühe.

«Tiere haben das Recht, nicht getötet, nicht gefangen genommen und nicht gequält zu werden»: Tierphilosoph Markus Wild. (Bild: Hans-Joerg Walter)

Das geplante Ozeanium sei nicht zeitgemäss, sagt der Basler Tierphilosoph Markus Wild. Man könne die Unterwasserwelt genauso gut virtuell darstellen. Ein Gespräch über moderne Zootierhaltung, Tierrechte und weshalb es okay ist, Schafe zu nutzen, aber nicht Milchkühe.

In Basel ist ein grosses Ozeanium geplant. Besucher erhalten Einblick in einen verborgenen und bedrohten Lebensraum. Warum können Sie dem nichts abgewinnen?

Markus Wild: Die Frage ist, ob das Aquarium das richtige Mittel dazu ist. Eine Meereswelt kann man heute virtuell darstellen, ohne dass das Erlebnis beeinträchtigt wird. In Barcelona wollte man die Präsenz von grossen Säugetieren simulieren, doch dann hiess es, es würden der Geruch und die Geräusche fehlen, man stehe ja nur vor einer Scheibe. Im Aquarium ist es aber genauso: Man steht vor einer Scheibe. Ob ein Rochen wirklich dahinter kreist oder via Direktübertragung aus dem Ozean auf dem Schirm erscheint, spielt kaum eine Rolle. In einem virtuellen Aquarium hätten wir wirklich ein Fenster zum Meer und nicht nur eine Imitation davon. 

Was stört Sie an Aquarien mit echten Fischen?

Zoos behaupten seit 20, 30 Jahren, sie würden Umweltschutz betreiben und seien die Botschafter der Tiere. Das stimmt aber nur zum Teil. Weshalb soll man irgendwo aus dem Meer Tiere fischen, sie nach Basel verfrachten und im Aquarium versenken? Die meisten Meerestiere reproduzieren sich nicht in Gefangenschaft, also braucht es einen steten Nachschub an neuen Tieren. Es ist doch paradox zu sagen, wir sorgen uns um eine Lebenswelt, indem wir aus dieser Lebenswelt Tiere entführen, statt uns von der Lebenswelt selbst verzaubern zu lassen.

Simulation einer Meereswelt: Computervisualisierung des Basler Ozeaniums, das 2020 seine Pforten öffnen soll.

Simulation einer Meereswelt: Computervisualisierung des Basler Ozeaniums, das 2020 seine Pforten öffnen soll. (Bild: Keystone)

Die Zoos geben sich grosse Mühe, das Tierwohl stärker zu berücksichtigen. Auch in Basel werden Gehege vergrössert und Rückzugsmöglichkeiten geschaffen. Das tönt nach einer positiven Entwicklung.

Betrachtet man die Zoogeschichte, ist das tatsächlich eine gute Entwicklung. Die Zürcher Elefantenhalle zählt zur Spitze der weltweiten Zootierhaltung. Doch die grundsätzlichen Konflikte sind nicht verschwunden. Man entnimmt Tiere ihrer natürlichen Umwelt und unterwirft sie vollständig der menschlichen Kontrolle. Die Verhaltensweisen der Tiere werden verändert. Die Reproduktion wird kontrolliert, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, überzählige Tiere müssen getötet werden, wie das Bärenjunge in Bern oder die Giraffe Marius in Kopenhagen. Der Zoo bleibt eine Einrichtung, die dazu dient, die Tiere zum Vergnügen der Leute sichtbar zu halten.

Dass Zoos allein der Unterhaltung der Leute dienen, behaupten Sie. Zoodirektoren argumentieren, ein Tierpark bringe den Besuchern einen fremden, schützenswerten Lebensraum näher.

Ein Zoo ist gemäss gesetzlicher Definition eine Wildtierhaltung, in der man Besuchern Tiere zeigt. Auch wer in den besten Zoos der Welt arbeitet, räumt freimütig ein, dass die Leute kommen, weil sie unterhalten werden wollen. Natürlich behaupten Zoos, sie haben einen Bildungs- und Naturschutzauftrag. Es gibt aber keine harten Daten, keine Studien, die einen pädagogischen Effekt nachweisen. Die Leute wollen Fun haben, der Rest ist mehr behauptet als erhärtet.



Publikumsmagnet: Besucher am Unterwasserfenster der neuen Elefantenhalle im Zoo Zürich.

Publikumsmagnet: Besucher am Unterwasserfenster der neuen Elefantenhalle im Zoo Zürich. (Bild: Keystone)

Spielen uns moderne Zoos nur vor, die Haltung sei artgerecht und unproblematisch?

Es gibt durchaus massive Verbesserungen. In der Zürcher Elefantenhalle soll der Nachwuchs mehr oder weniger der Herde überlassen werden. Früher wurden sowohl die Bullen wie auch die schwangeren Kühe isoliert. Diese Kontrolle wird jetzt einen Schritt zurückgenommen. Grundsätzlich kontrolliert ein Zoo aber den Lebenszyklus eines Tieres vollständig, von der Geburt bis zum Tod. Das muss auch so sein, sonst sehen wir nicht, was dort läuft.

Sichtbarkeit bleibt das wichtigste Verkaufsargument?

Man geht nicht gerne in einen Zoo, in dem man keine Tiere sieht. Im St. Galler Wildpark Peter und Paul gibt es einen Luchs, den man nie zu Gesicht bekommt. Ich stand da als Kind stundenlang vor dem Gehege, doch den Luchs habe ich nie gesehen. So sieht die artgerechte Haltung eines Luchses aus: Du schaust ewig vergeblich ins Gehege. Dafür zahlt aber niemand Eintritt. Manche Tiere, wie etwa die Humboldtpinguine im britischen Sea Life in Scarborough, müssen mit Antidepressiva aufgemuntert werden. Wer will schon deprimierte Tiere sehen? Was man vor allem sehen will, sind süsse Jungtiere. Die müssen dann aber bisweilen getötet werden, weil sie «überzählig» sind, wie es im Fachjargon heisst.

Vor hundert Jahren gab es im Basler Zolli Völkerschauen. Werden wir in 50 Jahren zurückschauen und es völlig absurd finden, dass wir Tiere so ausgestellt haben?

Der Vergleich hat etwas, aber er ist unfair. Das Zurschaustellen der Leute in Basel hatte keinerlei positive Rückwirkungen für die Menschen. Es kam nichts zurück – bis auf die Missionare. Der Zoo ist im allerbesten Fall so, dass etwas zurückfliesst, also Geld, das für den Naturschutz eingesetzt wird. Ich vergleiche Zoos mit der Atomenergie. Nur weil viele von uns davon leben, heisst es nicht, dass Atomenergie eine Zukunft hat. Auch Zoos sind Auslaufmodelle: Alles, was der Zoo kann, geht auch auf eine andere, schonendere Weise.

Sie halten einen Hund als Haustier, weshalb sollten wir nicht auch Löwen in Zoos zeigen?

Es gibt einen Unterschied zwischen Zootieren und Hunden, Katzen, auch Schafen und Ziegen. Einen Hund zu haben hat für mich nichts Problematisches. Hunde sind auf uns angewiesen, wir haben eine gemeinsame Evolution durchgemacht, sie können gut mit Menschen zusammenleben, manchmal sogar besser als mit Artgenossen. Wildtieren geht es meistens nicht besser in der Zoohaltung als in der Natur, sie können ihre Fähigkeiten in Gefangenschaft nicht besser ausleben.

Grosser Bedarf an Tieren: Tierversuchstatistik von Novartis.

Sie schliessen die Tötung aus, weil Ihre Tierrechte sich am Menschen orientieren. Wenn wir auch den Menschen als Tier verstehen, hat dann die Tötung nicht ihre Berechtigung?

Dann müssten wir auch sagen, nur gesunde Erwachsene hätten Rechte. Mit Kleinkindern, Alten, Kranken können wir verfahren, wie wir wollen. Dass das nicht geht, ist gesellschaftlicher Konsens. Entweder wir stellen diesen Konsens infrage oder wir übertragen ihn auf Tiere, sonst befinden wir uns im Widerspruch.

Macht es die Tötung eines Rinds akzeptabler, wenn es zuvor gut gehalten wurde und schmerzlos getötet wird?

Ich hatte lange diese Auffassung. Die Kuh auf der Alp hatte ein schönes Leben und am Schluss wird sie schmerzlos geschlachtet. Wo soll das Problem sein? Meine Überlegung war dann diese: Wir sind uns einig, dass es ist falsch ist, einem Lebewesen Leid zuzufügen. Etwa wenn wir es mit einem Messer traktieren oder seine Haut verbrennen. Dann müssen wir aber auch das Töten verbieten, weil Töten einem Lebewesen einen irreparablen Schaden zufügt. Man nimmt dem Tier Optionen weg auf ein Leben, das es haben könnte.

«Das Tier ist der Mensch in unserem Keller.»

Also müsste der Mensch auch eingreifen, um zu verhindern, dass einem Tier Schaden zugefügt wird? Etwa, wenn ein Löwe ein Gnu reisst.

Es gibt tatsächlich Menschen, die behaupten, eine Welt ohne Raubtiere wäre eine bessere Welt. Aber ich glaube, es gibt gewichtige Unterschiede zwischen uns und dem Löwen. Erstens: Für den Löwen gibt es keine Alternative. Wir haben eine Alternative, wir sind Alles-Fresser. Und wir können unser Leben unter gewisse moralische Prinzipien stellen, der Löwe kann das, nach allem, was wir wissen, nicht. Wir halten unsere Versprechen, auch wenn es manchmal schwerfällt. Und es ist nur dann etwas ein moralisches Prinzip, wenn man es auch einhält, wenn es zu unserem Nachteil ist.

Wir sind Wesen, die eine höhere Bürde tragen als der Löwe.

Es gibt in Milan Kunderas «Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins» eine schöne Passage: «Die wahre moralische Prüfung der Menschheit … äussert sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren.» Stellen Sie sich vor, eine hilflose Person ist in meinem Keller eingesperrt, ich kann mit ihr anstellen, was ich will, ohne dass jemand etwas davon erfährt. Das Tier ist der Mensch in unserem Keller. Unsere Menschlichkeit misst sich daran, was ich mit ihm anstelle.

Markus Wild (*1971) ist seit 2013 Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Basel und wohnt gemeinsam mit seiner Partnerin, einem Hund und einem Katzentrio im Oberbaselbieter Dorf Zeglingen. Aufgewachsen ist er in der Ostschweiz. Er besuchte in Wattwil das Lehrerseminar.

Nach dem Studium der Philosophie und Germanistik und erster wissenschaftlicher Tätigkeit in Basel war er von 2003 bis 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2012 hat er eine Förderungsprofessur des SNF (Schweizer Nationalfonds) an der Universität Fribourg erhalten und ist im selben Jahr Mitglied der EKAH (Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich) geworden.

Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehört die Tierphilosophie, die sich mit Fragen des Mensch-Tier-Unterschieds, des Denkens und Bewusstseins bei Tieren und der Tierethik beschäftigt (Tierphilosophie, Hamburg 2008). Zur Zeit arbeitet er neben anderen Forschungsprojekten an einer Einführung in die Tierethik und wundert sich bisweilen darüber, dass in Basel keine öffentlicher Ort nach Friedrich Nietzsche benannt ist.

 

Nächster Artikel