Wie Basel unter die Räder kam

Zuerst galten sie einfach als Freaks – dann wurden sie immer wieder vertrieben: Die Basler Rollbrettler. Jetzt schreiben sie beinahe 40 Jahre Geschichte und bekommen ihre eigene Ausstellung. Aber nur für kurze Zeit.

Knapp vier Jahrzehnte alt ist die Geschichte der Skateboard-Szene Basel. Die First Love Expo zeigt diese bis am Sonntag 11. August, im «Parterre» Basel. (Bild: zVg)

Im Hafen von Kleinhüningen steht seit Anfang Jahr eine Beton-Landschaft. Port Land. Mit dem rot-weiss gestreiften Leuchttürmchen ist es das neue Wahrzeichen der Basler Skater. Der Verein Betonfreunde beider Basel hat die Anlage selbst geplant, finanziert und gebaut.
Port Land ist ein Meilenstein in der Basler Skateboardgeschichte. Erzählt wird diese Geschichte in der Ausstellung First Love Expo, die am Donnerstag eröffnet wurde und bis am Sonntag, dem 11. August, zu sehen ist (mehr dazu in der Box).

Von den USA nach Binningen

Wann in Basel das erste Brett rollte, ist nicht genau zu bestimmen. Die Suche führt in die 1970er-Jahre nach Binningen zu Chris Brodbeck. Mit seinem Kumpel Marcel Flubacher, der Ende des Jahrzehnts den ersten Skateshop eröffnete, gehörte Brodbeck zu jener Generation, die das Skateboarden aus den USA in die Schweiz holte: «Zu Beginn der 1970er-Jahre sah ich in einer Zeitschrift, wie Jungs solche Bretter bauten und überall damit herumfahren konnten. Da dachte ich mir: Das will ich auch! Monatlich sind sicher zwei bis drei dazugekommen, die ebenfalls eigene Bretter bauten. So wurden es immer mehr.»

Für einige Jahre war Binningen ein Zentrum der ersten Skateboard-Generation. Zum beliebtesten «Skate-Spot» mauserte sich dabei das Bruderholzspital. Frisch eröffnet, verfügte es über eine noch wunderschön glatte Anfahrtsstrasse. Und das nahe gelegene Schwesternhaus sorgte regelmässig für weibliches Publikum. 

Der ideale Pyramidenplatz

Die Bruderholz-Skater gründeten einen Verein und trafen sich täglich hinter dem Spital zum Training von Freestyle, Slalom oder High-Jump. Mit dem Ende des Jahrzehnts kam auch das Ende des Spital-Spots: «Das Kantonsspital hat das wohl erste Verbotsschild für Skateboarder in der Schweiz aufgestellt. Man jagte uns fort. Es wurde Realität, dass man als Skater spezielle Plätze aufsuchen musste», erinnert sich Brodbeck an die ersten Repressionen gegen die Skater-Szene.

Ihren Platz fanden Brodbeck und seine Freunde in der Stadt: der Pyramidenplatz bei der Elisabethenkirche. Er war ebenfalls fein und glatt, und hatte diese unvergleichliche Architektur. Wie fürs Skaten gebaut. Mit der Zeit, so Skateshop-Pionier Flubacher, merkten das die Skater: «Dieselben, die auf dem Bruderholz oben trainierten, trafen sich immer häufiger am Pyramidenplatz, und mit der Zeit wurde er zum geheimen Treffpunkt aller Skateboard-Fanatiker.»

Das erste Skate-Verbotsschild der Schweiz stand auf dem Bruderholz.

Anfänglich wurden die Pyramiden-Skater toleriert. Im städtischen Schaufenster fand die junge Gemeinde immer mehr Anhänger und wurde grösser und grösser. Mehr Leute bedeuteten mehr Lärm, und bald stand auch bei den Pyramiden ein Verbotsschild. «Wohl dasjenige des Kantonsspitals», vermutet Brodbeck.

Anfang der 80er liess der Skateboard-Boom merklich nach. Vielleicht lag es an der Widersprüchlichkeit der internen Strukturen. Das Vereinsleben, glaubt Flubacher, passte nicht zum Skateboarden. Es sei immer schwer gewesen, diesem Sport Richtlinien zu verpassen. Die Leute fühlten sich eingeengt. Mit einem (zu) strengen Reglementarium versuchten die Pioniere, den Anfangsboom zu kontrollieren: «Man musste den Leuten doch etwas an die Hand geben: Den Trick macht man so, und wenn man ihn richtig macht, erhält man entsprechende Punkte.»

Neuer Boom Ende der 80er

Der Pyramidenplatz aber wurde immer leerer, und die Szene fiel in sich zusammen. Paul Heuberger, später Gründer der heute weltweit tätigen Rampenfirma Vertical und Anfang der 80er der Shootingstar unter den Skateboard-Sportlern, erinnert sich schmerzlich: «Der erste Boom brach 1983/84 zusammen. Es war ein schlimmes Gefühl für mich. Ich bemerkte, dass ich plötzlich fast keine Skater-Kollegen mehr hatte.»

Etwa fünf Jahre später betrat eine neue Generation von Skatern die Bildfläche. Wohl angeregt durch amerikanische Skateboard-Filme mit klingenden Namen wie «Streets on Fire», «Thrashin’», «Public Domain» oder schlicht «Skateboard Madness». Der Pyramidenplatz stand dabei wieder im Zentrum des Geschehens.

Die übriggebliebenen Pioniere und die neuen Skater vermischten sich aber kaum. Mit der sportlichen Trainingsmentalität der Alten konnten die 80er-Teenies nichts anfangen. «Sie haben sich abseits von uns entwickelt», so Flubacher. «Wir staunten oft, wie zwei Szenen nebeneinander existieren können und keiner etwas vom anderen weiss.»

Selbst ist die Szene

Gegen Ende der 80er-Jahre blühte der Pyramidenplatz als Treffpunkt einer jungen Basler Skateboard-Szene wieder auf. Jugendliche aus allen Quartieren und Schichten kamen hierher. Dabei galt Skaten nicht als besonders cool, sondern war eher ein Aussenseiterding. Auch andere Szenen lungerten hier herum, wie sich Sergio Cassini – damals als Skater mittendrin – entsinnt: «Die Hip-Hopper hörten Rap aus Ghettoblastern und kifften. Ab und zu gabs einen dummen Spruch, aber nie Handgreiflichkeiten. Es war die Anerkennung für die Artistik, die sie bekifft begutachten konnten – darum haben sie uns in Ruhe gelassen.»

Auch die Stadt störte sich anfänglich nicht an den neuen Skatern. Doch das Skaten veränderte sich und beanspruchte die Pyramiden stärker. Wiederholt gingen Scheiben zu Bruch und Scherbensplitter rieselten auf die darunter arbeitenden Leute. Die Folge waren erste Restriktionen: Es hiess, man dürfe abends nicht mehr skaten, nicht während der Proben und so weiter. Die Verbote liessen sich aber nicht durchsetzen, so Cassini: «Wir haben sie nie berücksichtigt. Wir wollten einfach skaten, das war das Wichtigste.» Es kam also, wie es kommen musste: «Man beschloss, den Platz zu kiesen, und wir gingen runter zum Tinguely-Brunnen.»

So wiederholten sich die Geschichten vom Weggeschickt-werden und Anderswo-ankommen wieder und wieder. Unzählige Do-it-yourself-Projekte und -Projektlein haben die Basler Skateboardszene zu dem gemacht, was sie heute ist.

Auch Port Land verdankt sich einer Zwangsumsiedlung. Die gleichen Skater, die heute im Hafen von Kleinhüningen ihren Feierabend verbringen, mussten vor zwei Jahren auf dem nt/Areal ihren geliebten «Blackcrossbowl» den Abrissbaggern übergeben. Unter Tränen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

First Love Expo – die Ausstellung
Fast vierzig Jahre ist es her, seit die ersten Rollbrettfahrer in der Region Basel auftauchten. Fotos, Videos, Konzertmitschnitte, Zeitungsberichte, Skateboards und vieles mehr dokumentieren in der Ausstellung First Love Expo Geschichten aus der Basler Skateboard-Szene von den ersten Versuchen hinter dem Bruderholzspital in den 70ern bis zur Eröffnung des Betonparadieses Port Land im Kleinhüninger Hafen in diesem Jahr. In Interviews und Texten erinnern sich Zeitzeugen an ihre Erlebnisse. Die First Love Expo ist eine Produktion des Sportmuseums Schweiz. Die Ausstellung im «Parterre» Basel ist nur bis Sonntag, 11. August 2013, zu sehen und findet im Rahmen des gleichenorts stattfindenden Open Air Basel statt. Auf dem Festivalgelände bei der Kaserne Basel findet mit dem Miniramp-Battle zudem ein internationaler Skateboard-Contest der Extraklasse statt. Ob an anderer Stätte, als Webseite oder Publikation – wie es mit der First Love Expo anschliessend weitergeht, steht in den Sternen. Die Macher freuen sich über Vorschläge und sammeln Spenden auf wemakeit.ch.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.08.13

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