Wie das Trillengässlein und der Schnurrenweg zu ihren Namen kamen

Die Recherchen aus dem Basler Ortsnamen-Projekt sind nun in Buchform erhältlich. Hier gibts erste Kostproben zu den merkwürdigsten, umstrittensten und ältesten Namen der Stadt – und die Autoren erklären, wie die Benennung von Orten überhaupt aufkam.

Häuser, Flurnamen, Strassen, Hügel und Gewässer: Der zweite Band des Basler Ortsnamen-Projekts nimmt alles auf, was in den Archiven zu finden war. Dabei wird die Geschichte ihrer Benennung aufgerollt.

(Bild: Christoph Merian Verlag)

Die Recherchen aus dem Basler Ortsnamen-Projekt sind nun in Buchform erhältlich. Hier gibts erste Kostproben zu den merkwürdigsten, umstrittensten und ältesten Namen der Stadt – und die Autoren erklären, wie die Benennung von Orten überhaupt aufkam.

Ob Tanzgässlein, Wolfsschlucht, Wagdenhals oder Buremichelskopf: Hinter jedem vertraut oder auch bizarr klingenden Ortsnamen stecken so manche Geschichten. Interessierte können diese nun auf rund 1700 Seiten nachschlagen und entdecken: Das Team vom Ortsnamen-Forschungsprojekt der Uni Basel legt nach rund acht Jahren Archivforschung die Ergebnisse in drei Bänden vor.

Der erste davon über Riehen und Bettingen erschien bereits vor drei Jahren. Nun folgen ein Lexikon der Basler Ortsnamen sowie als dritter Band eine Aufsatzsammlung über die Ergebnisse der Forschung. Die Herausgeber und Hauptautoren Inga Siegfried und Jürgen Mischke haben zusammen mit mehreren wissenschaftlichen Mitarbeitern unzählige Meter Archivbestände durchforstet, um so manchem rätselhaftem Namen auf die Schliche zu kommen.

Die beiden Sprachwissenschaftler vom Deutschen Seminar wollen aber mehr als das bieten: Im Gegensatz zu vorherigen Publikationen handelt es sich nicht um ein Strassennamenbuch, sondern es geht allgemein um auf Orte bezogene Namen. Dabei wird nicht einfach nur eine Quelle zitiert, sondern sämtliche historischen Nennungen des Ortsnamens sind aufgelistet, um weitere Forschungen zu ermöglichen. Strassen nehmen zwar einen grossen Bereich ein, aber es geht auch um Flurnamen und die Namen von Siedlungen, Gebäuden, Gewässern sowie Hügeln.

Mehr als ein Lexikon

Zudem ist die Publikation nicht nur ein Nachschlagewerk. «Es geht nicht nur darum, was der Name bedeutet, sondern auch um die Geschichte der Namensvergabe», erklärt Jürgen Mischke. Diese müsse man sich in historischen Schichten vorstellen, die mit der Politik und Modeerscheinungen zu tun hatten. So lagen während der freisinnig geprägten Zeit im Gundeli patriotische Namen wie Tell- oder Winkelriedplatz im Trend, später waren dort literarische Referenzen wie Uhland und Schiller en vogue, wie Inga Siegfried feststellt.

Die beiden Bände zur Stadt feiern am Donnerstag, 29. September, um 19 Uhr im Museum Kleines Klingental Vernissage. Hier schon mal ein paar Kostproben:

  • Die erste namentlich benannte Strasse: Eisengasse

Die Strasse beim Marktplatz gehört buchstäblich zum alten Eisen. Sie wurde bereits um 1193 erwähnt. Dabei wird ein Gewerbename vermutet: Wahrscheinlich wurden dort Eisenwaren gehandelt. Gleich bei der Eisengasse stand einst auch das älteste erwähnte Haus: «Zum Löwen» wurde 1202 erstmals schriftlich genannt.

  • Der rätselhafteste Name: Trillengässlein

Die schmale Gasse zwischen Heuberg und dem Restaurant Schnabel ist die grosse Knacknuss für die Namenforscher. Bis heute ist ungeklärt, was es mit dieser «Trille» auf sich hat. Bezieht es sich auf einen Strafkäfig oder auf ein Drehkreuz? Beides würde an diesem Standort wenig Sinn ergeben. Das Team von Mischke und Siegfried sah gerade in diesem Rätsel eine Chance und ist allen Spuren nachgegangen. Dabei stiessen die Forscher auf Quellen, die ein zweites Trillengässlein im Kleinbasel erwähnen. Dieses verdankte seinen Namen aber eindeutig einem Drehbaum für den Verkehr.

  • Der frechste Name: Schnurrenfeld

Der Flurname in Gundeldingen ist bis 1859 belegt. Der Name geht vermutlich auf einen Herrn Schnur oder Schnurr zurück. Als sich das ländliche Vorstadtgebiet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Quartier mauserte, wurde der Name des einstigen Feldwegs als peinlich empfunden und dieses zur Bruderholzstrasse umgetauft. Es gab aber auch Stimmen aus der Bevölkerung, die ihren Schnurrenweg behalten wollten. Bei der heutigen Hochstrasse blieb der Name noch eine Weile bestehen – nach Anwohnerbeschwerden wurde er schliesslich auch dort geändert.

  • Die Insider-Namen: Bermuda-Dreieck, Bronx und Affenfels

Jawohl, auch diese Bezeichnungen sind Gegenstand der Forschung: Nicht nur die offiziellen, sondern auch Parallelnamen wie «Bronx» für das Steinenbachgässlein oder «Flora Beach» oder die «Klagemauer» beim «Barfi» sind im dritten Band des Namenbuchs zu finden. Eine Umfrage brachte oft mehrere Orte zu einem Namen hervor: Als «Affenfelse» wird unter anderem die Treppe am Kleinbasler Rheinufer bezeichnet. Für andere ist’s die Zuschauertribüne im Schwimmbad Eglisee oder auch im Joggeli. Oft ist so manch ein Bebbi überzeugt, seine Version sei die «richtige»: Die einen Fasnächtler sehen im «Bermuda-Dreieck» die Beizenstrecke Hasenburg–Gifthüttli–Grüner Heinrich, andere hingegen den Rümelinsplatz.



Ob Bronx, Affenfels oder Flora-Beach: Auch den inoffiziellen Ortsnamen ist im dritten Band ein Kapitel gewidmet. Dabei werden auch die verschiedenen Nomenklatur-Modeerscheinungen im Laufe der Geschichte aufgezeigt.

Ob Bronx, Affenfels oder Flora-Beach: Auch den inoffiziellen Ortsnamen ist im dritten Band ein Kapitel gewidmet. Dabei werden auch die verschiedenen Nomenklatur-Modeerscheinungen im Laufe der Geschichte aufgezeigt. (Bild: Christoph Merian Verlag)

  • Ein Kosename, der amtlich wurde: Hexenweglein

Eigentlich gehörte der Weg beim Grosspeter zum St. Alban-Ring. Kaum jemand nannte ihn aber so. «Ich habe es immer als Hexenweglein gekannt», sagt Jürgen Mischke, der selbst in der Nähe aufgewachsen ist. Aus dem Parallelnamen wurde 2010 eine amtlich benannte Strasse. Hexenweglein ist übrigens ein gängiger Begriff für solche Trampelpfade.

  • Ein verschwundener Name: Blömleinplatz

Bei der heutigen Theaterstrasse existierte bis 1861 diesen Platz, dessen lustiger Name den Namensforschern Rätsel aufgab. Dort gabs auch eine Blömleinkaserne und ein gleichnamiges Theater. Im Gegensatz zum Trillengässlein konnte hier aber Klarheit geschaffen werden: Der Name geht wohl auf den Familiennamen Blömblin zurück, eine Koseform von Blum.

  • Die privatisierten Namen: Lichtstrasse vs. Forum

Ein Spezialfall ist der Novartis-Campus. Das Pharma-Unternehmen ist nicht der Nomenklaturkommission unterstellt und konnte so die Wege im Areal nach seinem Gusto benennen – etwa mit Descartes, Curie oder Fleming. Namen im Stil von Gas- oder Kohlenstrasse, die im einstigen Industriequartier St. Johann als Zeichen des Fortschritts galten, waren dem internationalen Unternehmen nicht mehr chic genug. Das Endstück der Lichtstrasse im Campus sollte dementsprechend zum «Forum» werden.

  • Der kontroverseste Name: Peter Ochs-Strasse

Immer wieder kam es zu Reklamationen: Der Mann, der unter dem Einfluss der Aufklärung und Napoleons die Helvetische Republik entwarf, war so manchem Patrioten als Namensgeber ein Dorn im Auge. Noch 1980 erhielt der Regierungsrat einen Brief, in dem sich ein Bürger darüber echauffierte, dass man einen «Landesverräter» mit einer Strasse ehre. Die Regierung gab eine diplomatische Antwort: Man habe damit unabhängig von der Politik das Geschichtswerk von Peter Ochs würdigen wollen.

Weshalb Strassennamen ein relativ neues Phänomen sind

Die Sprachwissenschaftler blieben bei ihrer Arbeit aber nicht etwa beim Anekdotischen: Im Aufsatzband werden generelle Tendenzen bei der Nomenklatur beschrieben. Wichtige Unterschiede gibts etwa zwischen Altstadt und all dem, was sich einst ausserhalb der Stadtmauern befand. In den heutigen Aussenquartieren spielen die Flurnamen eine wichtige Rolle, die oft auf ehemalige Eigentümer zurückgehen.

In der Innenstadt haben hingegen manche Hausnamen auf die Strassen abgefärbt: Das Pfluggässlein ist etwa nach einem «Haus zum Pflug» benannt. «Je nach Perspektive wurde einer Gasse anders benannt», sagt Inga Siegfried. Welches Gebäude man von wo aus sah, war entscheidend – daher hatten manche Strassen gleich mehrere Namen.

«Dass Strassen überhaupt als Objekte fixiert werden, ist ein Kind der Neuzeit», erklärt Inga Siegfried. Was vorher einfach der Raum zwischen den Häusern war, veränderte sich mit der frühneuzeitlichen Entwicklung von Staatlichkeit. Den Durchbruch schaffte die Strassenbenennung dann mit der Französischen Revolution und dem Beginn der staatlichen Verwaltung in der westlichen Welt.

Dies bedeutete einen Perspektivenwechsel: «Die Stadt wurde plötzlich von oben wahrgenommen – die Vermessung und Benennung der Strassen wurde zunehmend zur offiziellen Angelegenheit», sagt Siegfried. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit waren die Strassennamen hingegen noch nicht fix, sondern eher beschreibend – so etwa beim Fischmarkt und der Gerbergasse, die auch als «Gasse der Handwerker» bekannt war.

Wie es zu den ersten Namensgebungen kam

Ein wichtiger Schritt für die Ortsnamen war die «pragmatische Schriftlichkeit», die im 13. Jahrhundert aufkam. Bezeichnungen, auf die man sich beziehen konnte, wurden für Verträge immer wichtiger. Viele der ersten Benennungen tauchten in Basel in dieser Zeit auf – vor allem im Gebiet Freie Strasse, Rümelinsplatz und Fischmarkt.

Erstaunlicherweise sind frühe Namen auf dem vornehmen Münsterhügel kaum in den Schriftquellen fassbar. Dort habe man die Häuser vor allem über ihre Besitzer – meist adlige Familien – identifiziert. Die Häuser der Händler und Handwerker wechselten hingegen öfter ihre Besitzer. Daher war es notwendig, darüber Buch zu führen. «Die Festigung der dortigen Namen kann somit als ein Verwaltungsphänomen der frühen bürgerlichen Stadtgesellschaft gesehen werden», erklärt Jürgen Mischke.

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Die Vernissage zum zweiten und dritten Band des «Namenbuch Basel-Stadt» findet am Donnerstag, 29. September, um 19 Uhr im Museum Kleines Klingental (Unterer Rheinweg 26) statt.

Der zweite und der dritte Band des Namenbuch erscheinen beim Christoph Merian Verlag und sind ab Ende September im Buchhandel erhältlich:

Jürgen Mischke, Inga Siefried (Hg.): «Die Ortsnamen von Basel. Namenbuch Basel-Stadt 2». 886 Seiten, 59 Franken.

Jürgen Mischke, Inga Siefried (Hg.): «Die Ortsnamensgebung im Kanton Basel-Stadt. Namenbuch Basel-Stadt 3». 288 Seiten, 39 Franken. 

Die Gesamtausgabe mit dem ersten Band zu Riehen und Bettingen ist für 98 Franken erhältlich.

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