Wie die Sexualisierungsgegner zu ihren Adressen kamen

Wenn Frauen nach der Geburt im Spital einen Baby-Koffer geschenkt erhalten und die Antwortkarte zurückschicken, werden ihre Adressen registriert – und weiterverwendet. Möglicherweise auch für ideologische Zwecke, wie ein Fall in Basel zeigt.

Augenbinde, Ohrenschutz: So möchten konservative Kreise Kinder vor der Sexualisierung schützen. (Bild: Illustration Nils Fisch)

Das Initiativkomitee der Schutzinitiative, die sich gegen die «Sexualisierung» von Kindern in der Schule und im Kindergarten wehrt, schickte Müttern von Primarschülern und Kindergärtlern Mitte August einen Brief. Die Adressen hat das Komitee wohl dank den Baby-Koffern, die Mütter nach der Entbindung im Spital als Geschenke erhalten. Dennoch bleiben offene Fragen.

Die Baslerin Martina Muster*, Mutter eines Sohnes, wunderte sich vor zwei Wochen, als sie den Briefkasten leerte. Darin war ein Brief des überparteilichen, konservativen Komitees «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule» (mit dem Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner im Co-Präsidium). Musters Sohn geht seit den Sommerferien in die Schule. Im Brief wurde sie aufgefordert: «Geben Sie Ihrem Kind Ohrenstöpsel und Augenbinden mit in die Schule!» Dadurch sollte es vor der «Sexualisierung» beschützt werden.

«Woher haben die denn meine Adresse? Ich stehe ja gar nicht im Telefonbuch», fragte sich Mutter Muster. «Und woher wissen sie überhaupt, dass ich ein Kind habe, das jetzt neu zur Schule geht?»

Die Frage nach der Herkunft der Adressen stellte sich auch das Erziehungsdepartement (ED). Pierre Felder, Leiter Volksschulen, sagte auf Anfrage der TagesWoche: «Wir haben intern abgeklärt, ob diese Daten von uns kommen könnten. Dies ist aber nicht der Fall.» Das ED habe die Daten von Schulkindern und deren Eltern in einem anderen Format abgespeichert, als sie dem Komitee der Schutzinitiative zur Verfügung standen. Konkret: Das ED habe die Doppelnamen von Familien erfasst sowie jeweils beide Elternteile der Schulkinder. Die Briefe hingegen waren in der Regel an die Mütter der Kinder adressiert.

«Daher ist für uns klar, dass die Adressen sicher nicht aus dem ED stammen», sagt Felder. Er habe Verständnis dafür, wenn sich die Eltern aufregen und sich fragen, woher die Absender ihre Adressen haben.

Weshalb sich das ED an die Initianten wandte und von diesen den Namen der Adressbeschaffungsfirma erhielt, bei denen die Daten gekauft wurden. Es handle sich dabei um die Schober Group in Bachenbülach (ZH).

Datengewinn durch Eigendeklaration

Verhökert diese Adressen von Müttern, die Kinder haben? Die Schober Group wollte auf Nachfrage keine Auskunft geben. Recherchen der TagesWoche haben jedoch ergeben, dass es solche Daten gibt. Sie stammen wohl aus der Eigendeklaration der Mütter. Bei der Geburt ihres Kindes erhalten sie im Spital einen Koffer mit unterschiedlichen Baby-Produkten geschenkt. Dieser enthält auch eine Bestellkarte, mit der die Mütter die Möglichkeit haben, weitere Geschenkkoffer zu erhalten, wenn sie Angaben zum Kind und, wenn sie wollen, zu dessen Vater machen.

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu dieser Karte steht, dass die auf der Bestellkarte angegebenen Informationen weiterverwendet werden können. Indem sie die Karte ausgefüllt zurückschickt, willigt die Mutter auch in diese AGB ein.

Das grosse Geschäft mit den Adressen

Derartige Baby-Koffer kommen von der Firma Present-Service in Zug. Geschäftsführer André Bühler bestätigt, dass eine solche Bestellkarte in diesen Koffern vorhanden ist. Und: «40 bis 50 Prozent der Frauen retournieren diese Karte.» Davon kreuzten über 90 Prozent der Mütter an, dass sie sie an weiteren Baby-Produkten und Informationen interessiert seien.

«Wir arbeiten vor allem mit den klassischen Firmen aus dem Baby- und Kinderbereich zusammen», sagt Bühler. Die Adressen würden für einen einmaligen Gebrauch «vermietet, nicht verkauft», wie Bühler betont. «Auch die Firma Schober hat schon Daten von Present-Service bezogen, um sie weiterzuvermieten», bestätigt er. «Wir wollen aber wissen, wofür die Daten eingesetzt werden», sagt Bühler. «Die Daten, die die Absender jener Briefe verwendet haben, stammen aber wissentlich nicht von uns», so Bühler. Auf welchem Weg genau die Initianten an die Adressen gekommen sind, lässt sich also nicht ergründen.

Die Erklärung mit den Bestellkarten leuchtet auch der erstaunten Martina Muster ein: «Gut möglich, dass ich damals eine solche Karte zurückgeschickt habe», sagt sie. Auch andere frischgebackene Eltern retournierten die Karte in der Vorfreude auf weitere Geschenke und Informationen rund um ihren Nachwuchs. Jetzt, Jahre später, flattert politische Propaganda ins Haus, mit der sie damals nicht gerechnet haben.

* Name der Redaktion bekannt

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Derartige Baby-Koffer statt diese Baby-Koffer

Die Erklärung mit den Bestellkarten statt Diese Erklärung

ergänzt: Auf welchem Weg genau die Initianten an die Adressen gekommen sind, lässt sich also nicht ergründen.

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