Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore streicht im Geschäft mit kolumbianischer Kohle Millionengewinne ein. Den Preis bezahlen Bauern und die Umwelt.
Es ist heiss und trocken, nur die Brise vom Meer sorgt für ein wenig Kühle. Doch das ist nicht das Einzige, was sie hier in der kolumbianischen Provinz Magdalena von der Karibikküste mitbringt. Ciro Ortiz streicht mit seiner Handfläche über ein Bananenblatt. Sie wird schwarz. «Das ist Kohle», sagt er resigniert.
Kohle findet er auch andernorts auf seiner Obstplantage am Rand der Küstenstadt Cienaga – in den Schalen der Mangos, auf den Limonen und sogar in seinem einfachen Holzhaus, in dem der 66-Jährige mit Frau und Tochter lebt. Die Innenwand des kleinen Badezimmers bedecken schwarze Schlieren, die vom Regenwasser übrig geblieben sind, das durch kleine Spalten im Holz eingedrungen ist.
Einen Steinwurf entfernt donnert einer der Verursacher vorbei. Waggons der Eisenbahngesellschaft Fenoco bringen Steinkohle aus den 300 Kilometer landeinwärts liegenden Tagebauminen. Dort brechen internationale Kohlekonzerne schwarzes Gold aus dem Boden und lassen es in schier endlosen Waggonreihen offen bis ans Meer transportieren – rund 160’000 Tonnen pro Tag. Zwei der Hinterland-Minen gehören dem Schweizer Rohstoffkonzern Glencore Xstrata. Dessen Tochtergesellschaft Prodeco ist auch zu 40 Prozent am Schienenunternehmen beteiligt.
Im Schienendonner verstummen die Vögel
Das Geschäft brummt: Kolumbien baut heute mehr als doppelt so viel Kohle ab wie noch vor 15 Jahren. Mit 85 Millionen Tonnen (2013) ist das südamerikanische Land die siebtgrösste Kohlefördernation der Welt. Rund die Hälfte davon geht nach Europa, vor allem nach Dänemark, Deutschland und Grossbritannien. Glencore ist in diesem Business die Nummer eins. Neben der Beteiligung an Cerrejon, der grössten Tagebaumine der Welt, etwa eine halbe Tagesreise südöstlich von Cienaga, die dem Konzern rund elf Millionen Tonnen bringt, will Glencore 2014 aus den eigenen Minen weitere 20 Millionen Tonnen herausholen – so viel wie noch nie. Die Transporte an Ortiz’ Plantage vorbei werden weiter zunehmen.
Alle 15 bis 30 Minuten geht es wieder los: Jagen die mehr als 100 Waggons zwischen den Plantagen hindurch, wird jedes Gespräch unmöglich, geht das Geschrei exotischer Vögel im Schienendonnern unter. «Der Kohlenstaub bedeckt die Blüten, die entweder absterben oder viel kleinere Früchte austreiben als normal», ruft Ortiz, als es allmählich stiller wird. Wie zum Beweis zeigt er auf seine Limonen, die obwohl ausgereift nicht viel grösser sind als Murmeln. «Früher konnte ich 18 Säcke im Jahr ernten, heute sind es noch sieben.» Das sind 700 Kilo Zitrusfrüchte oder umgerechnet 400 Dollar weniger – herbe Einschnitte für den Bauern, dem seine Tropenplantage zwischen 2500 und 3000 Dollar im Jahr einbringt.
Eine Lunge wie ein Kettenraucher
Glencore geht es besser. Der Konzern weist im Geschäftsbericht 2013 für das kolumbianische Kohlegeschäft einen Gewinn vor Abschreibungen, Zinsen und Steuern von 343 Millionen Dollar aus – mehr als doppelt so viel als im Vorjahr.
Die landwirtschaftliche Lebensweise der lokalen Bevölkerung wird vom Kohlenbau beeinträchtigt
Ciro Ortiz leidet nicht nur unter sinkenden Ernten. Er holt einen grossen Papierumschlag und zieht eine Röntgenaufnahme mit dem Abbild seiner Lunge hervor. Er deutet auf die vielen verwischten Stellen auf dem Foto. «Die Ärzte haben mir gesagt, dass dort meine Lunge so geschädigt sei, dass ich kein langes Leben mehr haben werde. Sie meinten, ich müsse Kettenraucher sein, dabei rühre ich keine Zigaretten an.» Seine Augen werden feucht, als er Gott dafür dankt, dass er immer noch lebt. Ob die Ärzte auch den Kohlenstaub als eine Erklärung für die Atemwegsverstopfungen genannt hätten? Ja, sagt er stockend, das hätten sie.
«Die Kohle beeinflusst unser Leben, ohne dass wir etwas von dem Reichtum abbekommen.»
Glencore will davon nichts wissen. Eine Studie habe ergeben, dass das Verbrennen von Gummi oder Holz oder das Leben in der Nähe von Müllkippen für die Atemprobleme verantwortlich sei, heisst es in einer Stellungnahme. Ausserdem bekämpfe die Firma die Staubentwicklung mit der Asphaltierung von Strassen. Die Kohlewaggons müssten hingegen ohne Abdeckung durchs Land fahren, um eine etwaige Selbstentzündung in geschlossenen Zügen zu verhindern. Vor der Beladung wird die schwarze Erde befeuchtet und komprimiert, doch auch das kann die Emission von Staub auf der mehrstündigen Fahrt unter der glühenden Sonne kaum verhindern.
Kohleklumpen am Karibikstrand
Rafael Pancheco kennt die Sorgen von Bauern wie Ciro Ortiz. Er ist verantwortlich für die ländliche Entwicklung bei der Diözese von Santa Marta, der Hauptstadt Magdalenas, und verbringt viel Zeit mit ihnen, hat ein offenes Ohr für ihre Sorgen und wirtschaftlichen Nöte. «Die Kohle beeinflusst unser Leben, ohne dass wir etwas von dem Reichtum abbekommen.» Zum einen sei da die Gefahr für Leib und Leben durch den Kohlestaub oder tödliche Unfälle an den Strecken. Zum anderen seien da die massiven Umweltschäden. Kaum eine Meldung Wert etwa war Prodeco Anfang April ein Unfall, bei dem einige Waggons kurz nach Verlassen der Minentore entgleisten und mehrere Hundert Kilo des Energierohstoffs in einen Fluss stürzten.
Noch eklatanter sind aber die Folgen des Kohlerauschs für das Meer. «Immer wieder geht bei der Verladung Kohle verloren», sagt Pancheco. «Sie senkt sich auf die Pflanzen am Meeresboden und erstickt alle Organismen.» Seit Jahren klagen Fischer aus der Bucht von Santa Marta über deutlich reduzierte Fanggründe, berichten Einwohner der Hauptstadt von Hunderten toter Fische und Kohleklumpen an den einst paradiesischen Karibikstränden.
Die Züge und Maschinerien des Kohlenbaus sind allgegenwärtig
Ihre Sorgen blieben ungehört, bis 2012 der kolumbianische Journalist Alejandro Arias eine Havarie der Kohlebarkassen des US-Konzerns Drummond mit der Kamera dokumentierte und ins Internet stellte. Daraufhin verbot die Regierung die Beladung der Schiffe auf offenem Meer über Barkassen – eine Praxis, die Glencore mit dem Bau eines neuen Terminals bereits zuvor beendet hatte. Verschmutzungen hatten die Firmen aber stets abgestritten.
Auf der Todesliste der Paramilitärs
Für Arias hatten die Ereignisse Folgen, erzählt er bei einem Geheimtreffen im baufälligen ersten Stock der Diözese, einem alten Krankhaus mit sakralen Bildern an den Wänden. Tauben fliegen durch die offenen Fenster hinein. Der leere Gang lässt seine Stimme hallen. «Wegen meiner Arbeit erhalte ich schon seit Jahren anonyme Drohungen. Doch seit der Kohlegeschichte ist es ernst geworden.» Seitdem werde er mit dem Tode bedroht, stehe er auf einer Todesliste der Ex-Bürgerkriegspartei der Paramilitärs ganz oben. Arias verlässt das Haus nur noch mit Leibwächtern und kugelsicherer Weste.
Die an der Karibikküste besonders mächtigen Paramilitärs, die für unzählige politisch und wirtschaftlich motivierte Morde in Kolumbien verantwortlich ist, verdienten über Jahre am karibischen Kohlegeschäft kräftig mit. Das legt eine Reihe von Interviews und Verhörprotokollen von einst hochrangigen Vertretern der rechtsgerichteten Organisation nahe, die Arias zeigt. Dabei ging es zwar vor allem um Drummond. Doch auch der Name der Glencore-Tocher Prodeco taucht auf. Kriminelle Machenschaften der Kohlekonzerne? Arias zuckt nüchtern mit den Schultern: «Dafür gibt es viele Anhaltspunkte.»
Glencore spricht lieber über Sozialprojekte
Glencore widerspricht vehement: «Weder Prodeco noch Glencore haben jemals Verbindungen zu paramilitärischen Verbänden unterhalten.» Die Paramilitärs würden vor Gericht jeden und alles beschuldigen, nur um von den eigenen Missetaten abzulenken, ist aus Kreisen der Firma zu hören.
Glencore scheint es leid, immer die gleichen Dementis auszugeben. Dafür redet das Unternehmen lieber über kommunale Dorf- und Sozialprojekte. Die helfen allerdings nur wenigen, sagt Pancheco ungerührt. Bei Ciro Ortiz etwa seien die Einzigen, die von Seiten der Kohlekonzerne jemals vorbeigeschaut hätten, die Wachtrupps der Kohletransporte gewesen. Aber nicht um zu helfen, sondern um die Bauern vor Sabotage zu warnen.