Wie ich lernte, mit der Digitalisierung zu leben

Der Journalismus geht mit wehenden Videos den Online-Bach runter. Der Musikindustrie ergeht es nicht besser. Und da behauptet dieser Knackeboul doch tatsächlich: Ich liebe diese Zeit!

(Bild: Nils Fisch)

Der Journalismus geht mit wehenden Videos den Online-Bach runter. Der Musikindustrie ergeht es nicht besser. Und da behauptet dieser Knackeboul doch tatsächlich: Ich liebe diese Zeit!

Neulich musste ich eine 23-sekündige McDonald’s-Werbung ertragen, um mir einen Beitrag über Tierquälerei in der Mode-Industrie anschauen zu können. Momentan wird auf Facebook live der Sturm auf Mossul gestreamt.

Bei einem Live-Video auf Facebook werden die erteilten Likes simultan als durchs Bild fliegende Smileys angezeigt. Das heisst, man sitzt in der warmen Stube vor dem Bildschirm, schaut live schrecklichen Kriegsszenen im Irak zu, und im unteren Bildrand schweben empörte Smileys wie die lächerlichen Dämonen unserer Zeit durch die Szene.

Da erscheint es mir schon fast normal, wenn meine Lieblings-Wochenendlektüre, «das Magazin», neuerdings als Luxusuhren-Katalog daherkommt. Immerhin handelt es sich beim Angepriesenen auf dem Cover um Luxusgüter und nicht um Parteipropaganda.

Im gleichen Strudel des Wandels

Die Monetarisierung von Print- und Onlinemedien nimmt zusehends groteskere Züge an. In keiner sterbenden Branche manifestieren sich die Existenzängste der Betroffenen so bildstark. Und diese Medien sind nur das Orchester auf der sinkenden Titanic: Alles liegt im Argen! Online hackt den Print, Uber hackt die Taxis, Airbnb hackt die Hotels, Facebook hackt den Staat und Trump die Demokratie. Und wer ist schuld? Dieses Internet!

Lol! Das Internet gibt es nicht, ihr Narren! Das Internet war so ein Ding, das im vorigen Jahrhundert erfunden wurde, damit sich US-Forscher und Militaristen langsam ladende Nacktbilder von der damals noch jungen (und nicht nur jung aussehenden) Pamela Anderson schicken konnten.

Heute leben wir in zwei sich spiegelnden Paralleluniversen, in denen sich unsere Avatare gegenseitig erzählen, welches paar Schuhe sie Zalando gerade zurückgeschickt haben, während wir die Bett-Skills unserer Tinderdates auf einer Skala von Null bis «potenzieller Lebensabschnittspartner» bewerten.

Ich bin ein Online-Medium! Eigentlich wollte ich Musiker werden.

Wer heute sagt: «Unsere Branche wird vom Internet bedroht», könnte auch sagen: «Ich würde ja gerne leben, aber die Realität vereinnahmt mich gerade total!» Das wäre ähnlich absurd. Wobei mir der Satz verdächtig sinnvoll vorkommt, aber lassen wir das. Keine Zeit zu philosophieren – ich versuche hier gerade einen viralen Text zu verfassen.

Ein Wunder, schaut ihr mir nicht live dabei zu und kommentiert meine unnötig verschachtelten Sätze mit verärgerten Smileys, die mir als Manifestation meiner eigenen Zweifel aus dem Bildschirm zufliegen. Denn ich selbst bin eine Personifizierung dessen, was sich in den Medien zugetragen hat. Ich bin ein Online-Medium! Mache virale Videos für «Watson», freestyle-rappe live zu Inputs auf Social Media, schreibe Kommentare und animierende Kolumnen für die TagesWoche und empöre mich in Posts über das aktuelle Weltgeschehen.

Eigentlich wollte ich Musiker werden. Ein Mikrofon, Freunde, ein Aufnahmegerät, ein Publikum – voilà. Doch das Publikum hat sich eben verflüssigt, ist diffus, ist ins Netz gegangen.

Trotzdem gut

Die Analogie zum digitalen Wandel in den Medien ist frappant. Was dem Medienhaus der Print, waren mir die CDs; was diesem Leserzahlen, mir das Konzert-Publikum. Ich bin ins Musik- und Showbiz eingestiegen, als dieses gerade implodierte.

Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Schutzwall, die anderen zitieren abgedroschene Phrasen. Also bin ich dem Publikum ins Netz nachgeschwommen (vielleicht bin ich auch ein bisschen vorausgeschwommen). Und siehe da: Wir zappelten fröhlich und belohnten uns gegenseitig mit See-Sternchen. Im Ernst: Ich liebe diese Zeit. Wenn alles in Trümmern liegt, kann man etwas Neues aufbauen. Netflix aus der Asche.

Zu sagen, früher sei alles besser gewesen, ist in sich unstimmig. Denn der Kern, der das Gute gut macht, war immer flüssig. Wir können nicht mehr mit dem Internet konkurrieren, weil es und wir längstens ineinander aufgegangen sind. Heute bin ich meine eigene Promoagentur, mein eigener Produzent, mein eigener Regisseur, Schreiberling und Manager. Charlie Chaplin hätte unsere Zeit geliebt.

Muss man in einer Zeit, in der alles für nichts zu haben ist, für alles zu haben sein?

Die Musik, der Film, der Journalismus – sie werden nicht untergehen. Sie werden sich weiterentwickeln, während ein paar alte Strukturen zusammenbrechen. Wir werden uns fangen. Die alte Krake versucht, uns noch mit ihren Seetalern zurückzukaufen. Aber bald wird sie im Abgrund versinken und viele kleine Seepferdchen des Kreativen und Kritischen werden sich munter gegenseitig befruchten.

Die Krake ist die Wirtschaft, die uns Burger-Werbungen vor Beiträge zum Tierrecht hext. Ihre Tentakel sind native adds, die uns die ganze Szenerie verkleben. Die Seepferchen sind neue Start-ups und Konglomerate, die guten Journalismus und gute Kunst dank und nicht trotz des Internets vorantreiben werden.

Tanz mit dem Kraken

Natürlich bin ich zu optimistisch, wenn ich glaube, dass die Krake von oben untergehen wird. Aber vielleicht gelingt es uns ja, sie zu bändigen. Genau das ist die Challenge meines eigenen künstl(er)i(s)chen Daseins. Statt unterzugehen, kann man nicht mit der Krake tanzen? Sie überlisten und dann gestärkt von Seestern zu Seestern hüpfen? Muss man in einer Zeit, in der alles für nichts zu haben ist, für alles zu haben sein?

Wenn ein Inhalt authentisch ist, wenn er Qualität hat, wenn er aus dem Bauch ins Herz durch die Kontrollinstanz Kopf ging, dann wird er ein Publikum finden. Wenn du deine Story oder deine Musik verwendest, um die Geschichte eines Werbekunden zu erzählen, verlierst du sowohl deine Glaubwürdigkeit als auch dein Publikum. Wenn du aber deine Geschichte unangetastet gut erzählst, werden sich alle um dich reissen. Das Publikum und die Geldgeber.

Dann kannst du ab und zu Ja sagen, aber öfters Nein. Zum Beispiel, wenn ein Uhrenhersteller dein schönes Cover mit einem hässlichen Bild seiner Uhr zukleistern will. Weil diese sonst womöglich die Zeit anzeigt, die für dich langsam abläuft.

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