Derzeit kommen Tausende Flüchtlinge über die ungarischen Grenzen. Jetzt organisieren sich Freiwillige, um ihnen zu helfen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Medien.
Eine nie geahnte Anzahl von Migrantinnen und Migranten bewegt sich derzeit durch Osteuropa – vor allem auf Österreich und Deutschland zu. Der Eindruck des «March of Hope», bei dem sich Tausende entlang der ungarischen Autobahn auf den Weg zur österreichischen Grenze machten, ist noch frisch. Ein Aufschrei bleibt aus. Stattdessen stossen die Ankommenden auf eine Welle der Hilfsbereitschaft.
Während in politischen Gremien diskutiert wird, wie damit umzugehen ist, ist anderswo praktische Hilfe nötig, um die Flüchtlinge zu versorgen, die vor allem an den Hauptbahnhöfen Wien und München eintreffen. Dort stossen die offiziellen Stellen an ihre Grenzen. Freiwillige Helferinnen und Helfer springen ein und organisieren sich selbst.
Die sozialen Medien haben nicht nur Hasstiraden zu bieten, sondern auch Hilfe und Unterstützung.
Die meisten Ankommenden sprechen kein Deutsch, kennen das Asylsystem nur vom Hörensagen, müssen teilweise medizinisch versorgt werden und werden oft gleich weiter auf die Reise in ein Aufnahmezentrum geschickt. Man muss ihnen helfen, denken viele. Unbürokratisch und sofort. Eine wichtige Rolle dabei spielen die sozialen Medien.
Das Netz hat nicht nur Hetze und Rassismus zu bieten, sondern auch konkrete Unterstützung, Vernetzung und Koordination. Was wird wo gebraucht? Wo benötigt man am dringendsten Helfer, Dolmetscher, Ärzte, Sachspenden? Wer helfen möchte, kann sich im Netz informieren, wo er sich engagieren kann. Für die Zusammenarbeit zwischen Behörden und freiwilligen Helfern sind die sozialen Medien unverzichtbar.
So bauten Freiwillige am Hauptbahnhof Wien eine Willkommensinfrastruktur auf, verteilten Kleider- und Sachspenden, halfen weiter, organisierten Übernachtungsplätze.
Koordination über Twitter
Einer der aktivsten Twitter-Accounts ist dabei @HBF_Vie. Die selbstorganisierten Helfer am Hauptbahnhof Wien haben in den vergangenen Tagen mehrere Tausend Menschen versorgt, die auf dem Wiener Hauptbahnhof angekommen sind. Von dort wird ständig getwittert, was am nötigsten gebraucht wird. Decken, Schlafsäcke, Medikamente, Kinderwägen oder SIM-Karten zum Beispiel. Oder einfach nur jemand, der bereit ist, die eine oder andere Ladung Wäsche zu waschen.
Was wir gerade brauchen: Apfelsaft + Orangensaft, Guthaben für Vertone/Lycamobile, SIM Karten Nüsse, Bananen, Obst, Trockenfrüchte! Danke!
— trainofhope HBF Wien (@HBF_Vie) 8. September 2015
Haben sehr viel Kleidung zum Waschen. Kann jemand mit Auto vorbeikommen und die Wäsche mitnehmen? Danach einfach wieder herbringen. Danke!
— trainofhope HBF Wien (@HBF_Vie) 8. September 2015
Auch offizielle Stellen nutzen soziale Medien zur Kommunikation. Am Hauptbahnhof München twittert auch die Polizei, die mit den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zusammenarbeitet.
Es werden für die ankommenden #Flüchtlinge dringend noch Helfer direkt am Hbf #München benötigt.
— Polizei München (@PolizeiMuenchen) 7. September 2015
Leider gibt es auch Trittbrettfahrer, die die Hilfsbereitschaft anderer ausnützen oder bewusst stören. Da wird die Anonymität im Netz zum Problem. Einer dieser Accounts ist @HBF__Vie, der @HBF_Vie täuschend ähnlich sieht:
DRIGEND + kühlflüssigkeit + waschmaschine + superman-anzug + flip-flops #nickelsdorf
— trainofhope HBF Wien (@HBF__Vie) 6. September 2015
Nicht immer sind die Störversuche allerdings so offensichtlich. So wurden Helfer an falsche Adressen geschickt oder dringend benötigte Spenden wie Winterjacken von falschen Accounts abgelehnt.
Wegweiser Internet
Helferinnen und Helfer nutzen die sozialen Netzwerke, um sich über das weitere Vorgehen zu erkundigen. Wie jene Mitarbeiterin von Amnesty, die am vergangenen Samstag mit zehn Flüchtlingen im Zug von München nach Berlin sass und um Hilfe ersuchte. Die Registrierungsbehörden in der deutschen Hauptstadt sind am Wochenende geschlossen. Wohin sollen sich die syrischen Migranten nun wenden?
Bin mit 10 syrischen Flüchtlingen im ICE 1206 von Mü nach Berlin. Ankunft 19.38 Uhr. Wo sollen wir uns hinwenden? Gerne Hilfe #trainofhopeb
— Dr. Andrea Berg (@DrAndreaBerg) 6. September 2015
Bis zur Ankunft des Zuges zweieinhalb Stunden später sind die Bahnhofsmission und die Bundespolizei informiert, ein Treffpunkt ausgemacht und ein arabischsprachiger Dolmetscher organisiert. Auch wie und in welche Notunterkunft die Flüchtlinge gebracht werden sollen, wird kommuniziert.
Auch die Schweiz vernetzt sich
Hilfsbereitschaft im Netz gibt es aber nicht nur in Österreich und Deutschland, die in der vergangenen Woche eine Rekordzahl an Flüchtlingen aufgenommen haben, sondern auch in der Schweiz. Im Vergleich dazu gibt es allerdings hierzulande wenig zu tun.
Für Menschen, die helfen wollen und nicht wissen, wo am besten anpacken, wurde etwa die Zürcher Facebookgruppe «Helfen statt betroffen sein» gegründet. Sie dient als Anlaufstelle für Menschen, die helfen wollen, aber nicht wissen, wie und wo am besten. Dort werden Spenden gesammelt, Hilfsaktionen koordiniert, wird über Benefiz-Konzerte informiert und ähnliches. Zusammengeführt werden dort zum Beispiel Kleiderspenden mit dem konkreten Bedarf einzelner.
Auch für die Region Basel gibt es eine entsprechende Facebookseite: «Basel hilft mit – Welcome to Europe». Diese Gruppe sammelt Sachspenden für Menschen, die in Syrien geblieben sind und dort am Krieg leiden. So etwa mit einer Sammelaktion diesen Mittwoch im Kannenfeldpark. Weitere Möglichkeiten, wie Sie von hier aus helfen können, haben wir hier zusammengestellt: So einfach können Sie sich in der Region für Flüchtlinge engagieren.