Es braucht eine Weltbürgerbewegung, um weg von Kohle und Öl zu kommen und eine gefährliche Erderwärmung noch zu verhindern. Dies fordert der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Auch in der Schweiz setzen Umweltorganisationen auf mehr Dampf von der breiten Bevölkerung.
«Die wissenschaftliche Beweislage, dass unsere Zivilisation dem Feuer immer näher rückt, ist erdrückend», schreibt Hans Joachim Schellnhuber. Das Buch, in dem der renommierte Klimaforscher wissenschaftliche Erkenntnisse mit persönlichen Erinnerungen verbindet, trägt den martialischen Titel «Selbstverbrennung – die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff».
Der Bayer (65) forscht und publiziert seit 25 Jahren zum Klimawandel. Er ist Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und, wie Angela Merkel, theoretischer Physiker: Die Bundeskanzlerin hat er wie zahlreiche andere Regierungen schon in Klimafragen beraten. In seinem Buch, das kurz vor der am Montag in Paris beginnenden UNO-Klimakonferenz erschienen ist, gesteht er freimütig, dass ihn eigentlich Verzweiflung packen müsste. Dies angesichts der Tatsache, dass es bisher nicht gelungen ist, die weltweiten Emissionen an Treibhausgasen einzudämmen.
Und dennoch gebe es – das die gute Nachricht – noch Hoffnung auf eine Wende. Die Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad (im Vergleich zum vorindustriellen Niveau) ist laut Schellnhuber, der sich auf einen Report des Weltklimarats IPCC stützt, noch möglich. Die Rezepte sind weitgehend bekannt: Bereits in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltänderungen aus dem Jahr 2011 hatten er und seine Forscherkollegen einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien empfohlen. Eine «grosse Transformation» sei notwendig, ein Umbau von einem Ausmass wie bei der industriellen Revolution, damit das Raumschiff Erde nicht ins Schlingern komme.
Nur die Nationen machen nicht mit
Dafür, dass das Ziel zu erreichen ist, spricht laut Schellnhuber die Tatsache, dass es bei der Nutzung der erneuerbaren Energien bereits gewaltige technologische Fortschritte gab. Auf dem Feld der Erfindungen und Neuentwicklungen werde die Zukunft vielleicht besser ausfallen, als der Weltklimarat in seinen Szenarien erwarte. Andererseits sei die Bereitschaft der Nationen, das Klimaproblem gemeinsam zu lösen, vielleicht weniger gross als anzunehmen sei. Davon zeugte zum Beispiel die UNO-Klimakonferenz vor sechs Jahren in Kopenhagen. Schon damals sollte ein globales Klimaabkommen abgeschlossen werden, das Unterfangen scheiterte kläglich.
Schellnhuber setzt seine Hoffnungen in seinem neuen Buch, das zwar unterhaltsam geschrieben, aber mit über 700 Seiten ziemlich dick geworden ist (können sich Klimaforscher eigentlich nicht kurz fassen?), auf das Entstehen einer Weltbürgerbewegung. Ansätze dazu sieht er in der sogenannten Desinvestitionsbewegung in den USA, die vom US-Journalisten Bill McKibben mitgegründet wurde und zum Rückzug von Investitionen aus der Kohle-, Öl- und Erdgasindustrie aufruft. McKibben hat errechnet, dass 75 Prozent der fossilen Energievorräte im Boden bleiben müssen, wenn wir eine gefährliche Erderwärmung um mehr als zwei Grad noch vermeiden wollen. Oder, wie es Schellnhuber in seinem Buch treffend formuliert: Wenn wir vom «Pfad in die Heisszeit abbiegen» wollen.
Als Blaupause für die Klima-Aktivisten gilt die Boykottbewegung gegen Südafrika unter dem Apartheidregime.
Vor allem in den USA hat die Bewegung schon Erfolge erzielt. So zog die Stanford University in Kalifornien im Mai 2014 ihr Geld komplett aus der Kohleindustrie ab, und Professoren und Studierende setzten sie unter Druck, ihre Finanzmittel, insgesamt ein Stiftungskapital über 20 Milliarden Dollar, auch aus dem Öl und Erdgas zurückzuziehen. Zahlreiche Universitäten in der ganzen Welt sind dem Beispiel gefolgt. Das Virus ist also auf andere Kontinente gesprungen und beschränkt sich nicht nur auf Hochschulen.
Wie die NZZ im September berichtete, ist die Zahl der Investoren, die ihre Gelder aus Unternehmen abziehen, die fossile Energie vertreiben, innert eines Jahres sprunghaft gestiegen. Bei den Institutionen wie Pensionskassen und Versicherungen von 200 auf 400, bei den Privatpersonen gar von 650 auf 2000. Private und Institutionen halten zusammen ein Vermögen von über 2,6 Billionen Dollar – die Zahlen stammen von der US-Beratungsgesellschaft Arabella Advisors.
Die Schweiz zieht mit – teilweise zumindest
Als Blaupause für die Aktivisten gilt die Boykottbewegung gegen Südafrika unter dem Apartheidregime, die sich zum Beispiel auch gegen den Handel mit Granny-Smith-Äpfeln und Finanztransaktionen mit Südafrika richtete. Die Bewegung nahm in den 1970er-Jahren ebenfalls in akademischen Kreisen der USA und Europas ihren Anfang. Schellnhuber hofft, dass die neue Desinvestitionsbewegung diejenige gegen Geschäfte mit Südafrika noch in den Schatten stellt: Es gehe darum, das «klimazerstörerische fossile Betriebssystem für nicht mehr gesellschaftsfähig zu erklären».
Bisheriger Höhepunkt der Bewegung in den USA für Klimaschutz war sicher eine Demonstration in New York. Im September 2013 versammelten sich im Vorfeld eines von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon einberufenen Klimagipfels weit über 300’000 Personen und setzten ein kraftvolles Zeichen.
Wie steht es in der Schweiz? Auch hierzulande regt sich etwas, wenn auch in kleinerem Rahmen, wie unsere Recherche zeigt. So ruft in Zürich ein Ableger der Aktivistengruppe «Fossil free» ebenfalls dazu auf, die fossile Industrie auszutrocknen. Mit ein paar Klicks kann man mithilfe einer ausformulierten Mail grosse Institutionen wie die Nationalbank, die Suva und die Pensionskasse Publica dazu auffordern, doch bitte auf Investitionen in Öl, Kohle und Erdgas zu verzichten.
Das Beispiel der Publica, der Pensionskasse des Bundes, ist interessant. Diese überlegt sich zurzeit tatsächlich, aus Aktien und Obligationen fossiler Energieunternehmen auszusteigen, wie Stefan Beiner, Leiter Asset Management, einen Bericht der linken «Wochenzeitung» (WOZ) bestätigt. Grund für das Überprüfen des Portfolios ist die Furcht vor einer «Kohlenstoff-Blase».
Was versteht man darunter? Energiefirmen könnten an Wert verlieren, wenn sie aus Gründen des Klimaschutzes einen Teil ihrer Rohstoffe im Boden lassen müssten. Dieser Verlust würde auch die Anleger treffen. Auch wenn Pensionskassen sich den Rückzug aus diesem Geschäft primär aus ökonomischen Gründen überlegen, kann öffentlicher Druck den Entscheid positiv beeinflussen, hoffen die Klimaschützer. Wenn sich die Publica, die grösste öffentliche Pensionskasse der Schweiz, zurückzieht, könnte dies ein Signal sein, dass ihr auch andere Anleger folgen.
Kein Thema bei der Pensionskasse Basel-Stadt
Wie steht es in Basel? Die Pensionskasse Basel-Stadt (PKBS) fühlt sich zwar laut Eigenwerbung einem «Nachhaltigkeits-Ansatz» verpflichtet. Ein Rückzug aus fossilen Energie-Unternehmen ist für sie aber kein Thema, wie Direktorin Susanne Jeger der TagesWoche schreibt. Sie verfügt über keine Zahlen, wie viel ihre Pensionskasse in solche Firmen investiert hat.
Auf die Mobilisierung der Strasse im Vorfeld des Pariser Klimagipfels setzt in der Schweiz die Klimaallianz, ein Bündnis von 60 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. Für Samstag (28. November) hat sie Klimaaktionen in verschiedenen Städten geplant. In Bern tritt die Mundartband Karsumpu auf, in Zürich soll die Menschenmenge ein riesiges Herz formen. In Basel liess sich niemand finden, der eine Aktion organisieren wollte. Politische Reden gibt es an den Anlässen kaum.
«Der Klimawandel ist für viele Menschen abstrakt», sagt Philip Gehri, Sprecher vom WWF Schweiz. Man versuche, mit solchen Aktionen die Herzen der Menschen zu erobern. Für nächstes Jahr stellt er ebenfalls eine Kampagne für Desinvestitionen aus der fossilen Energie in Aussicht. Eine Weltbürgerbewegung ist ein grosses Wort, aber Nicht-Regierungsorganisationen setzen auch hierzulande auf die Mobilisierung der Bevölkerung, damit wir die Klima-Kurve noch kriegen.
Wichtiges Klimatreffen in Paris
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen beginnt am Montag (30. November) in Paris die jährliche UNO-Klimakonferenz. Nach jahrelangen Vorbereitungen soll diesmal ein Abkommen abgeschlossen werden, das alle Staaten in die Pflicht nimmt, ihre Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Für die Schweiz wird Umweltministerin Doris Leuthard in die Verhandlungen eingreifen. Die Schweiz hat angekündigt, dass sie ihre CO2-Emissionen bis 2030 (im Vergleich zu 1990) um 50 Prozent verringern will, wovon 20 Prozent mit Projekten im Ausland angerechnet werden sollen. Ein wichtiger Diskussionspunkt des Treffens ist auch, wie Klimaschutzmassnahmen in Entwicklungsländern finanziert werden.