Wie wir zu gläsernen Menschen werden

Google, Facebook & Co. verkaufen neue Anwendungen, die unsere Privatsphäre verletzen, als Service. Einst gingen Bürgerrechtler gegen solche Überwachungsstrategien auf die Strasse.

Don't be evil… (Bild: Hans-Jörg Walter)

Google, Facebook & Co. verkaufen neue Anwendungen, die unsere Privatsphäre verletzen, als Service. Einst gingen Bürgerrechtler gegen solche Überwachungsstrategien auf die Strasse.

Es scheint zum guten Ton intellektueller Redlichkeit zu gehören, den Global Playern der Neuen Medien mit Argwohn zu begegnen. Die schärfsten Angriffe kommen von Datenschützern und richten sich gegen Google und Facebook. Viele Bücher malen den Teufel schon im Titel an die Wand: «Die Google-Falle» (2008), «Die unkontrollierte Weltmacht im Internet» (2008), «Die Facebook-Falle: Wie das soziale Netzwerk unser Leben verkauft» (2011), «Das Ende der Privatsphäre: Der Weg in die Überwachungsgesellschaft» (2009). Führt das Internet wirklich zu einer panoptischen Gesellschaft mit lauter gläsernen Menschen?

Die Photoshop-Kreationen in den Massenmedien sind voll düsterer Symbolik: ein Auge, in dessen Pupille sich mal das Wort Facebook spiegelt, mal das Wort Google. Das beliebteste soziale Netzwerk und die beliebteste Suchmaschine als Agenten der Überwachung?

Ende Januar 2012 gaben beide in kurzen Abständen neuen Anlass zur Sorge. Google kündigte an, alle Datenspuren zusammenzuführen, die ein Nutzer in seinen verschiedenen Diensten hinterlässt: Google, Google Maps, Google+, Google Mail, Google Kalender etc. Facebook kündigte an, die neue Profilansicht Timeline, die bisher nicht auf das erwartete Interesse stiess, zur Pflicht für alle zu machen.

Die Datenschützer schrien auf, weil Google entgegen bisheriger Beschwichtigungen nun doch die brisante Datensynthetisierung vornahm und weil Facebook über den Willen seiner Nutzer hinweg ein Feature installierte, das deren Aktivitäten auch ohne Einwilligung und Klick auf den Like-Button festhält.

 

So benehmen sich Mächtige. Natürlich führen beide Unternehmen gute Gründe für die Veränderungen an: Werden mehr Informationen über einen User ausgewertet, können die ­Suchergebnisse und schon die Suchanfragen besser personalisiert werden. Teilen die User auf Facebook mehr Daten miteinander, weiss man viel besser, mit wem man es zu tun hat.

Genau das tun Diktaturen auch, sagen die Kritiker. Immer gibt es gute Gründe für bedenkliche Bestimmungen, seien es Ordnung und Sicherheit ­dank Kontrolle und Prävention, sei es die Wärme des sozialistischen Kollektivs statt der Anonymität des bürger­lichen Individualismus. Aber während die ideo­logisch bestimmten Überwachungssysteme sich nur noch in Enklaven wie Nordkorea und Kuba halten, sind technologisch basierte Überwachungssysteme im Kommen.

Warum gelingt Programmierern das, womit Sozialingenieure nicht mehr durchkommen? Weil im post-theoretischen Zeitalter Informationstechnologien weit mehr Appeal entwickeln als Weltverbesserungstheorien? Weil keine Botschaft so überzeugend sein kann wie die Botschaft des Mediums selbst?

Mark Zuckerberg, der so viel Vertrauen in Facebook hatte, dass er die Milliarde, die ihm Yahoo dafür im Sommer 2006 geben wollte, ablehnte, will trotzdem die Botschaft des Mediums durch eine eigene ergänzen und verspricht eine bessere Gesellschaft, «wenn wir alle offen zeigen, wer wir sind und uns allen unseren Freunden auf dieselbe Weise präsentieren».

Mit dem Wechsel von der Logik der Technik zum Ideologischen macht er sich freilich angreifbar wie alle Sozialutopisten. Da hilft auch der Hinweis nicht, dass diese freiwillige, gegenseitige soziale Kontrolle bei Facebook auf massenhafte Zustimmung stösst – denn die gab es bekanntlich auch in nationalsozialistischen und realsozialistischen Diktaturen. Es bezeugt Zuckerbergs politische Unerfahrenheit, sich als Weltverbesserer ins Gerede zu bringen; er hätte besser weiter so tun sollen, als ginge es ihm nur ums Geldverdienen. Da war Google viel klüger.

Selbstkontrolle wird zum Prinzip

Google war noch vor Facebook als Datenkrake verteufelt. Als es im Sommer 2010 in Deutschland die «Street Views» erstellte, malte die Zeitschrift «Stern» Google ein Auge in beide «o», und «Die Zeit» titelte: «Die neue Welt ist nackt.» Die Kritik ist so wahr, wie sie redundant ist, denn natürlich muss es das oberste Ziel einer Suchmaschine sein, so viel wie möglich über alles Mögliche zu wissen. Die nackte Welt und der gläserne Mensch sind Googles Geschäftsinteresse.

Dass das beängstigen kann, war dem Unternehmen früh klar, und so gab es sich schon 2004 die Handlungsanweisung: Don’t be evil. Die Adresse dieser Losung hat sich freilich längst geändert. Wenn man weiss, dass Google alle Handlungen im Netz nachvoll­ziehen kann und nach unbekannten Kriterien speichert, wird die Selbst­verpflich­tung zum Aufruf an die ganze Welt: Haltet euch fern von schlechten Taten! Und ist es nicht so, dass wir inzwischen zweimal nachdenken, ob wir eine bestimmte Website anklicken?

Auch diese Warnung trägt sozialutopische Züge und erinnert an die Funktion, die vormals dem Auge Gottes für die Einhaltung gesellschaftlicher Normen zukam. Mit einem entscheidenden Unterschied. Google spricht nicht von Weltverbesserung, sondern von der Verbesserung individueller Serviceleistung. Es knüpft da an, wo die Idee vom Auge Gottes herkommt: bei der individuellen Fürsorge. Denn als Abrahams Magd Hager, schwanger mit Abrahams Kind, vor Abrahams Frau Sarai in die Wüste geflohen war, erschien ihr schliesslich ein Engel und gebot ihr zurückzukehren mit der Verheissung reicher Nachkommenschaft. Hagars Ausruf «Du bist ein Gott, der mich sieht» ist voller Dankbarkeit.

Genau in dieser Rolle will Google sich sehen, als Ratgeber in der Not, als Orientierung in der Flut der Information. Und wie der frühere Google-CEO Eric Schmidt schon 2010 verkündete: Google will nicht nur unsere Fragen beantworten, es will uns sagen, was wir als Nächstes tun sollen. Und das kann es nur, wenn es uns so gut kennt wie der Engel Hagar. Schmidts Vision: Wir laufen die Strasse entlang und in der Nähe liegt versteckt eine Kondomeria (bei Schmidt ist es ein Posterladen). Weil Google weiss, wo wir sind, und weiss, was unsere Interessen sind, kann es uns auf besondere Produkte des Ladens hinweisen. So schön wird die neue Welt sein.

Natürlich legitimiert sich diese Totalüberwachung als Service, nicht als Weltverbesserung. Aber Überwachung ist Überwachung. Die Ironie der Geschichte der Neuen Medien ist, dass alles ganz anders begann. Mit einer Kampfansage an das bekannteste Symbol der Überwachung: Big Brother.

Das führt uns zum dritten Global Player: Apple. Als Steve Jobs im Oktober 2011 starb, war man sich in den Nachrufen einig: Dieser Mann hatte die Zukunft erfunden. Berühmtes Symbol dieser Zukunft ist das iPhone, das in einer folgenreichen Beziehung zur Vergangenheit steht, und zwar zu jenem Macintosh, den Jobs 1984 der Welt vorstellte und mit dem Apples Erfolg begann. Damals hiess der Werbespruch: «Never trust a computer you can’t lift» – mit dem iPhone konnte man nun den Computer sogar in die Jackentasche stecken. Aber während die Gewichtsfrage eine einzige Erfolgsgeschichte darstellt, ist die politische höchst ambivalent.

Die spektakuläre Werbung, die Jobs während des Super Bowl 1984 laufen liess, nutzte die anti-utopistische Anspielung, die George Orwells Roman «1984» dem Datum gegeben hatte. Man sah im Video eine rennende Frau in weiss-roter Sportkleidung, in den Händen einen Vorschlaghammer, verfolgt von einer Gruppe bewaffneter ­Polizisten. Man sah grau gekleidete Männer, die mit ausdruckslosem Gesicht einem Mann auf einem riesigen Video­screen zuhören – schöne neue Welt der totalen Indoktrination. Dann trifft der Vorschlaghammer den Bildschirm, grelles Licht ergiesst sich über die Lemminge, die staunend die Münder aufreissen.

Apple als Big Brother geoutet

Big Brother ist natürlich Big Blue, wie IBM genannt wurde, aber offiziell handelt die Werbung nicht vom Kampf gegen den führenden Marktkonkurrenten, sondern von der Emanzipation der vielen gegen die wenigen, die bisher Zugang zur neuen Technologie hatten. Der Spot endet mit Worten aus dem Off: «On January 24th, Apple Computer will introduce Macintosh. And you’ll see why 1984 won’t be like 1984».

Was für ein Video! Und was für ein Versprechen! Der Clip war schon nach der ersten Ausstrahlung so berühmt, dass er wegen seiner Ästhetik fortan ohne weitere finanzielle Aufwendungen überall gezeigt und diskutiert wurde – «virales» Marketing, lange bevor das Wort populär wurde. Mit solcher Werbung gewinnt man die Zukunft.

Inzwischen ist die Marke Apple ­allerdings anders cool als 1984. Die ­politische Botschaft ist im Design der glatten Oberfläche von iPhone und iPad untergegangen und ins Gegenteil verkehrt. Denn das iPhone, das die einst versprochene Selbstbestimmung mit dem i schon im Namen trägt, steht auch für eine permanent hinterlassene Datenspur – und damit, in Sippenhaft mit Google und Facebook, nicht zuletzt für die Produktion des gläsernen Menschen.

Die Erfindung der Zukunft geht nicht alleine auf Steve Jobs’ Konto. Auch Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page und Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg arbeiten mit hoher Energie und riesigen finanziellen Ressourcen daran, wie wir morgen leben werden.

Die Quittung kam 26 Jahre nach dem Big-Brother-Video. Zusammen mit Facebook erhielt Apple 2011 den Big-Brother-Award. Die Begründung der Jury: Apple erzwinge zur Benutzung seiner Produkte die Zustimmung zu zweifelhaften Datenschutzbedingungen. Als Jobs starb, galt schon längst nicht mehr, wofür er 1984 stand: Apple war kein David mehr gegen Goliath IBM und schwang nicht mehr den Hammer gegen Big Brother, sondern lieferte diesem neue, höchst effektive Werkzeuge.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12

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