Sportredaktor Samuel ist es nach etwas Dramatik. «Time to say goodbye …», singt er halblaut, aber mit Leidenschaft hinter seinem Bildschirm. «Ach, bitte nicht», seufzt Catherine eine Pult-Insel entfernt. «Das läuft mir jetzt wieder den ganzen Tag nach!» Sportredaktor Christoph sucht passende Worte und findet sie: «Wo Menschen singen, da lass dich nieder. So heisst es doch, oder?»
In ihren letzten Tagen wandelt sich die TagesWoche zum Loriot-Sketch. Alltag ad absurdum. Die Akteure sind gefangen zwischen Realität und Unfassbarem, gemeinsam streifen wir durch grossen Unsinn. Und wir lachen dabei, ohne zu wissen, was zur Hölle es da eigentlich zu lachen gibt.
Der junge Reporter vom Online-Portal «Nau» ist erstaunt. «Aha, ihr macht Witze? Okay, cool.» Mit der Kamera auf den Schultern stapft er durch die Redaktion, davor war «Telebasel» da, davor das SRF. Einige von uns verkriechen sich, damit sie das schwarze Auge der Kamera nicht verschluckt. Nicht einmal 24 Stunden zuvor tüftelten wir noch an Recherchen, telefonierten, trafen uns mit Menschen zum Gespräch.
Dann kam das Beben.
Sanitäter in der Not
Der Boden schwankt und wellt sich. Wir stützen uns gegenseitig, halten uns fest, um nicht zu fallen. Die Fensterscheiben bersten, die Scherben bohren sich tief ins Fleisch. Neonröhren knallen uns vor die Füsse. Klaffende Löcher in der Decke – hier ist es nicht mehr sicher. Ich greife nach an einer Wand, sie zittert. Oder sind es meine Hände?
Eine Flasche Korn bleibt ganz. Unverwüstlich, ist sie der Rettungsring, zu dem wir geschlossen vordringen. Es geht das Gerücht um, einige aus der Redaktion seien ihr vor der grossen Erschütterung schon mal präventiv nahegekommen. Zur Sicherheit nochmals auftanken, vor den letzten Kilometern.
Der Alkohol ätzt den Schock aus den Gesichtern. Am nächsten Morgen schenkt er uns teuflische Brummschädel. «Betroffene Gesichter auf der Redaktion der TagesWoche», kommentiert der Journalist von «Schweiz Aktuell» eine Nahaufnahme von Daniels Gesicht. «Ich hatte einfach einen heavy Kater», ruft der Gezeichnete durch die Redaktion und in die Twitter-Welt hinaus.
Co-Redaktionsleiter Renato kommt nun oft mit klackernden Schnürschuhen und im Tschopen ins Büro, darunter aber doch ein, wenn wir ehrlich sind, ziemlich ausgeleiertes T-Shirt. Journi-Schick ist das. Denn wer weiss, wie häufig der Zweiklang der Türklingel noch durch die Räume hallt. Bevor …, tja.
«Er hat das wirklich gut gemacht», findet Olivier zu den Interviews, die Renato in den letzten Tagen geben musste. «Und so authentisch, dieser Siech lacht ja nie», sagt er, und nickt seinem Noch-Chef zu. Und kitzelt ein breites Grinsen aus ihm heraus. Da ist die Welt fast in Ordnung.
Flucht ins Fantastische
Manchmal wollen wir ihr trotzdem entfliehen. Also wird die N64-Konsole aus der Ecke gekramt, im Sitzungszimmer installiert, und dank «Mario Kart» durch tiefe Schluchten und dichten Dschungel gerast. Co-Redaktionsleiter Gabriel schlägt sich überraschend schlecht. «Weisst du, im ganz alten Mario Kart, im ersten, also da, da hätt ich euch …»
Zum Glück klopft da gerade Renato an die Tür. «Freunde, ist jemand morgen um neun hier?», sagt er. Zögerliches Kopfnicken in der Runde. «Es kommt ein Achtjähriger zu Besuch – Zukunftstag.» Nach Loriot nun auch noch Monty Python.
Mit ihrem Zitronen-Mohn-Kuchen gibt uns Catherine ein bisschen Bodenhaftung zurück. Reto schleicht um das dick glasierte Gebäck. Zwischen den Bissen dichtet er: «Langsam gehen unsere Lichter aus. Da bleibt uns nur der Leichenschmaus.» Applaus für ihn und für uns. Die Räume sind verwüstet, aber wir sind noch ganz.
Machs gut und danke, Fisch!
Der Kuchen ist gegessen, die letzten «Sch’n’nobe» werden für heute gesprochen. Die Bürostühle stehen da, wie sie eben dastehen, wenn man sich am Ende eines Tages vom Pult abstösst und sagt: So, für heute reichts. Auf dem Tisch von Dominique herrscht dasselbe Chaos wie immer. Oder: wie noch für einige Tage. Alles, was man jetzt noch hört, ist das Aquarium bei der Bildredaktion. Dieses beruhigende Gluckern, wenn das dreckige Wasser durch den Filter fliesst und dreckig wieder herausströmt.
Die meisten Fische sind schon länger tot. Der einzige Überlebende ist ein dicker schwarzer Wels. Mit seinem Maul saugt er alles auf, was ihm unterkommt. Wie ein Saugnapf hängt er sich an die Steine, die Glasscheibe, den Filter, mit schier unstillbarem Hunger. Und wenn er doch mal genug hat, versteckt er sich in seiner Höhle.
Dem Wels hat das Beben nichts ausgemacht. Er wird weiterschwimmen, wenn wir unsere Pulte räumen, unsere Taschen packen und durchs Trümmerfeld hinausschreiten. Und seine Glubschaugen werden weiterglubschen, wenn wir an die Scheibe klopfen und ihm sagen:
Wir sind dann mal weg.