«Wir sind eine inoffizielle Schuldenberatung»

Zum 70. Geburtstag der Basler Freizeitaktion (BFA) nimmt Geschäftsführer George Hennig im TagesWoche-Interview Stellung zum geplanten Namenswechsel, zu den Brennpunkten der Basler Jugendarbeit und zur Jubiläumsrevue «fyrimmerjung», welche dieses Wochenende im Basler Schauspielhaus aufgeführt wird.

George Hennig (Bild: Annina Striebel)

Zum 70. Geburtstag der Basler Freizeitaktion (BFA) nimmt Geschäftsführer George Hennig Stellung zum geplanten Namenswechsel, zu den Brennpunkten der Basler Jugendarbeit und zur Jubiläumsrevue «fyrimmerjung», welche dieses Wochenende im Basler Schauspielhaus aufgeführt wird.

George Hennig, die Basler Freizeitaktion (BFA) wird 70 – und heisst nun JuAr Basel (Jugendarbeit Basel). Warum der Wechsel?

Zum 70. Geburtstag war es an der Zeit, den Namen BFA in Rente zu schicken. «Basler Freizeitaktion» hat in Fachkreisen einen guten Klang, ist aber in der breiten Öffentlichkeit auch nach 70 Jahren zu wenig etabliert. Vor allem: Der Name Basler Freizeitaktion sagt nicht aus, was wir tun. Es wurde Zeit, unsere Arbeit sozusagen «beim Namen» zu nennen. Das Jubiläum ist der ideale Moment für diesen Schritt.

Wieso fiel die Wahl auf den neuen Namen JuAr Basel?

Unser Präsident Christian Platz doziert an der Schule für Gestaltung und vermittelte uns an eine dortige Weiterbildung. In einem halbjährigen Prozess setzten sich sieben Studierende am Beispiel der BFA intensiv mit dem Thema Rebranding auseinander. Die Aufgabe lautete, einen passenden Namen in entsprechendem Design zu finden. Das ist auch eine marketingtechnische Frage: Der Kunde soll sofort wissen, was hinter dem Namen steckt. Das ist bei «Jugendarbeit Basel» nun auch der Fall.

Das heisst, es ändert sich nur der Name, nicht aber das Angebot?

Ja. Das Angebot passt.

In den letzten Tagen berichtete die TagesWoche bereits über Ihr Sorgenkind Sommercasino, das zu seinem 50. Geburtstag über die Bücher muss.

Eine berechtigte Diskussion. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit Hilfe einer Betriebsanalyse die Weichen für die Zukunft nun richtig stellen werden.

Wie steht es denn um die weiteren Angebote der BFA? Haben Sie noch weitere Sorgenkinder?

Alle unsere anderen Angebote, seien dies nun Colour Key, Jugendtreffs oder die Aufsuchende Jugendarbeit, sind sehr gefragt. Der Erfolg hängt immer auch davon ab, wie griffig das Angebot auf ein Alterssegment wirkt. Das Sommercasino ist mit einer Zielgruppe, die Jugendliche und junge Erwachsene umfasst, im Markt in einer schwierigen Position.

Das heisst, die anderen Jugendzentren der BFA sind nach wie vor beliebt?

Wir haben in den letzten Jahren einen echten Boom erlebt. Zum Beispiel im «Mädona», dem einzigen Mädchentreff der Nordwestschweiz, dessen Domizil an der Müllheimerstrasse aus allen Nähten platzte, so dass wir vor eineinhalb Jahren an die Rebgasse umgezogen sind.

Das Freizeitzentrum Dreirosen im Brückenkopf hat teilweise Mühe mit der schieren Masse an jugendlichen Besuchern. Aber auch Badhuesli, Purple Park oder Neubad haben sich zu «den» Treffpunkten der Quartierjugend entwickelt. Das heisst an diesen Orten natürlich auch: zum Zentrum der Migrantenkids.

Sorgt das nicht für Zündstoff?

Unter Jugendlichen gibt es immer mal Probleme, das ist in diesem Lebensabschnitt völlig normal, gerade, wenn unterschiedliche Kulturen, Traditionen und Werte aufeinander treffen. Aber im Allgemeinen lassen sich diese Konflikte von unseren Mitarbeitern sehr gut bewältigen und schnell entschärfen. An den Anschlag kommen wir anderswo.

Wo brennt es denn?

Bei der Jugendberatung. Diese ist quasi ein Opfer ihres Erfolgs: Weil sich soviele Jugendliche bei uns melden, liegen die Wartefristen teilweise bei bis zu zwei Wochen. Das ist für Jugendliche in Not natürlich eine Ewigkeit! Stellen Sie sich vor, Sie fassen sich ein Herz, wollen den ersten Schritt zur Veränderung tun – und dann heisst es: Du kannst erst übernächste Woche vorbeikommen. Das knickt natürlich das Vertrauen der Kids gleich wieder extrem – mit der Folge, dass die Dunkelziffer hoch ist und uns ein grosser Teil dieses Segments gleich wieder wegbricht.

Was passiert mit diesen Jugendlichen?

Wir können nur Vermutungen anstellen. Ein Teil wendet sich an Vertrauenspersonen, an Lehrer, Familie oder Freunde. Ein Teil versucht, die Probleme selbständig zu lösen. Und ein Teil löst sie dann halt eben nicht. Und das macht uns Sorgen, zumal die Probleme sich stark ähneln und den Jugendlichen viel verbauen können.

Worum geht es denn dabei? Um Drogen, Gewalt, Familien- oder Beziehungsprobleme?

Eigentlich sind wir eine inoffizielle Schuldenberatung. Geldprobleme sind das dominierende Thema bei den meisten unserer Klienten. Oft kommen dann noch andere Faktoren dazu, die wiederum sehr vielfältig sind. Aber der allergrösste Teil meldet sich bei uns, weil die Schulden bis unters Dach wachsen und sie in einer akuten Notlage sind.

Kann die heutige Jugend nicht mehr mit Geld umgehen?

Es ist ein viel breiteres, gesellschaftliches Problem. In unserer Zeit wimmelt es von negativen Vorbildern in Sachen Finanzen. Gleichzeitig werden sie überall mit Verlockungen geködert – vom Handyabo über den Auto-Leasingvertrag bis zum Kleinkredit. Viele Junge überschätzen sich und ihre finanzielle Situation. Da muss nur eine Drogengeschichte dazu kommen, oder jemand die Lehrstelle verlieren: Dann ist die Misere komplett.

Wie können Sie diese Probleme lösen?

Lösen müssen die Jugendlichen diese Probleme selbst. Wir können Sie nur dabei unterstützen.

War Geld bei der Gründung der BFA vor 70 Jahren auch schon das zentrale Thema?

Kaum. Damals, in den 40er Jahren gab es kaum Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche. Die ersten Angebote der BFA waren Kellerlokale, wo junge Männer und Frauen hämmern, weben, malen und «laubsägelen» konnten. Die BFA war immer ein Spiegel der Zeit und deren Gesellschaft – darum ist ihre Geschichte auch so faszinierend.

Zum Jubiläum bringen Sie diese Geschichte nun auf die Theaterbühne. Wie entstand die Idee zur Show «fyrimmerjung»?

Vor ungefähr einem Jahr gab es die ersten Brainstormings zum Jubiläum. Wir waren uns einig, dass wir richtig auf die Pauke hauen wollen. Spontan dachten wir an ein Open-Air, eine Bühne auf dem Barfi. Aber wir sind schnell davon abgekommen, weil wir neben JKF oder Imagine nicht einfach ein weiteres Festival machen wollten, sondern lieber etwas, das die Geschichte der BFA ins Zentrum stellt. So entstand die Idee, siebzig Jahre Jugendkultur in einer Show zu würdigen. Damit klopften wir beim Theater Basel an, und stiessen zum Glück auf offene Ohren.

Wieviel Einfluss haben Sie auf den Inhalt genommen?

Die Texte stammen von unserem Präsidenten Christian Platz selbst, der ja auch ein bekannter Autor ist. Er hat grossen Aufwand betrieben, um die Sprache der jeweiligen Jahrzehnte abzubilden, damit die Formulierungen den Zeitgeist wiedergeben. Dadurch taucht man als Zuschauer in eine eigentliche Zeitreise ein.

Ich habe mich um die Live-Musik gekümmert. Da ich selber seit langer Zeit als Musiker aktiv bin, konnte ich auf ein breites Netzwerk zurückgreifen. Ich bin stolz, dass wir mit legendären Namen wie Buzz Bennet, The Countdowns, More Experience, Bettina Schelker, Black Tiger, Roli Frei oder Popmonster die Basler Pop-Geschichte Revue passieren lassen können. Mit Tom Ryser, der in der Vergangenheit zum Beispiel bereits das HipHop-Stück Gleis X und Hair inszeniert hatte, konnten wir ausserdem einen exzellenten Regisseur gewinnen – eine Idealbesetzung.

Fürwahr, eine hochkarätige Besetzung. Gestatten Sie mir trotzdem die ketzerische Frage: Ist so ein Theaterabend nicht das personifizierte Grauen für Ihre Klientel, die Jugend?

Es sind durchaus auch junge Darsteller und Musiker am Start – etwa die Rockband Daylight Robbery, deren Mitglieder knapp über 20 sind. Und eine junge DanceCrew, LoMo Dance Act, sowie die erst 13-jährige Wesline Mbeheu. Wir hoffen also auf ein sehr gemischtes Publikum. Andererseits ist so ein Jubiläum auch eher für Partnerinstitutionen, Gönner und Sponsoren sowie für aktuelle und ehemalige Mitarbeitende gedacht.

Grundsätzlich sind wir jahraus, jahrein für die Jugend da. Ich denke, zum 70. Geburtstag dürfen wir für einmal ruhig auch uns selbst und unsere Geschichte feiern. Natürlich unter der Bedingung, dass alle Jugendlichen willkommen sind – und auch an der anschliessenden Party im Schauspielhaus mitfeiern dürfen.

 

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