Die links gerichteten Aachen Ultras geben auf, weil rechte Hooligans sie attackieren und bedrohen. Und weil ihr Verein, der derzeit insolvente Drittligist Alemannia, fast tatenlos zusieht.
Es ist ein einmaliger Vorgang: Eine Fussball-Fangruppe löst sich auf, aus politischen Gründen. Die Aachen Ultras (ACU), seit 1999 Heimat für zuletzt rund 100 Fans der Alemannia, wurden von Rechten gejagt, attackiert und eingeschüchtert und fühlen sich vom Verein im Stich gelassen. 2010 hatte sich von der ACU die sogenannte «Karlsbande» abgespaltet, die enge Verbindungen zum braunen Sumpf hat, etwa zur seit August verbotenen Kameradschaft Aachener Land (KAL).
David Rother, einer der Aachen Ultras, erklärt die Hintergründe. Seinen richtigen Namen will der 26-jährige Student aus Angst vor neuen Übergriffen der Tivoli-Nazis nicht nennen.
Das Fussball-Magazin «11 Freunde» zu einem Überfall der Karlsbande und zur Auflösung der Aachen Ultras.
Ausserdem vertiefte Beiträge zur Unterwanderung von rechts in «11Freunde» sowie bei der «Frankfurter Allgemeine».
Informationen zum Thema bietet zudem das Portal netz-gegen-nazis.de und der Lokale Aktionsplan Aachen.
Was ist seit der Abspaltung 2010 passiert?
Die Stimmung wurde immer aggressiver. Wir wurden beschimpft als Juden, Zecken und Homos. Und immer wieder bedroht von Hooligans und Neonazis. Auswärts im Gästeblock gab es Angriffe, uns wurde aufgelauert. Zuletzt, nach einem Auswärtsspiel traf der Bus der Karlsbande auf einem Rastplatz auf ein Auto von uns: Fast alle aus dem Bus sind raus, haben den Wagen angegriffen und mit Flaschen beworfen; der Fahrer konnte nur mit Mühe abhauen. Und hier in Aachen gab es Hausbesuche, wo Leute der Karlsbande die Wohnungstür eingetreten haben.
Ist die Karlsbande eine Neonazi-Gruppe?
Die Karlsbande sagt: Es interessiert uns nicht, was unsere Leute denken, Hauptsache sie sind für die Alemannia. Aber alle wissen: Die Karlsbande duldet Nazis in ihren Reihen und im nahen Umfeld, wir kennen die Verbindungen zur Rechtsaussen-Szene gut. Der Tivoli war immer schon Rekrutierungsfeld für Neonazis. Wer von denen gross geworden ist in der Region, hatte seine Anfänge meist am Tivoli.
«Tolle Empfehlung: Setzt Euch mit denen an einen Tisch. Mit Leuten, die mich vorher angegriffen haben!»
Wie waren intern die Debatten?
Es war ein schleichender Prozess. Wir haben festgestellt, dass wir uns von anderen Fans und auch vom Klub immer weiter distanziert haben. Gespräche mit Alemannia haben wir gesucht, vereinzelt gab es die auch, aber dann schlief alles wieder ein. Tolle Empfehlungen gab es wie: Setzt Euch mit denen an einen Tisch. Mit Leuten, die mich zwei Wochen vorher angegriffen haben! Wie das denn?! Von aussen haben sich Mediatoren angeboten, Beratungsstellen der Stadt, Politologen der Hochschule. Im Verein hat man darauf nicht reagiert – aus Angst vor dem Eindruck, man käme allein mit dem Problem nicht zurecht. Das gäbe doch auch der Alemannia gute Publicity.
Immerhin darf die Karlsbande ihr Banner nicht mehr im Stadion aufhängen.
Darauf hat die Karlsbande reagiert durch das grosse Plakat „Unerwünscht“. Und dann, bei einem Spiel, hing das Karlsbande-Banner auf einmal wieder. Niemand ist eingeschritten. Auch im Nachgang gab es nichts dazu.
Beim «Rettungsspiel» des derzeit insolventen Drittligisten gegen den FC Bayern am 20. Januar (2:5) war der Block der ACU tatsächlich leer. Gehen Sie jetzt auch privat nicht mehr zum Tivoli? Das wäre ja Kündigung der Liebe.
Die Liebe ist erkaltet. Wenn man sich nicht mehr wohl fühlt in dem gewohnten Umfeld und dort permanent einer Bedrohung ausgesetzt ist, entfremdet man sich. Jetzt wird kaum noch jemand von uns hingehen, auch nicht als Einzelperson.
Oder ist die Auflösung der ACU eine geschickte Inszenierung?
Das war der einzig logische Schritt, wenn man Ideale vertritt. Wir sehen aktuell keine Perspektive für eine antirassistisch eingestellte Gruppe. Bei unserem letzten Spiel haben wir viel Solidarität aus anderen Fanszenen bekommen. Auch die fragen: Warum macht Aachen so wenig gegen rechts?! In Bremen bekamen acht Dortmunder Neonazis am Wochenende Stadionverbot. So ein krasses Zeichen würde ich mir hier auch wünschen. Man muss die Nazis ächten. Wenn der Verein das Credo vorgäbe, die nicht bei uns, dann hole ich doch auch die vielen Leute ins Boot, die sonst sagen: Fussball hat nichts mit Politik zu tun…
«Es ist zwiespältig: Die Rechten sind ja nicht aus dem Stadion – wir gehen.»
Sind die ACUler Märtyrer?
Wir sind keine Märtyrer – ich leide nicht, wenn ich nicht mehr hingebe. Wir sind mürbe geworden. Die vielen Solidaritätsbekundungen zeigen: Es kann wohl so verkehrt nicht gewesen sein, was wir getan haben. Aber ansonsten ist es zwiespältig. Die Rechten sind ja nicht aus dem Stadion – wir gehen.
Gibt es von den Rechten schon Reaktionen über die linken Feiglinge, die sich verpissen…
Die feiern das. Die feiern sich selber. Und wir werden ausserhalb Aachens gelobt für unseren Schritt. Schon seltsam.
Jüngst schrieb die IG der Fanclubs: «Die Lossagung der Aachen Ultras hat uns allen sehr weh getan und der Alemannia sehr geschadet.» Das negative Bild in der Öffentlichkeit gefährde sogar «akut das Überleben unseres Traditionsverein». Der Club schloss sich «vorbehaltlos» an. Werden die Aachen Ultras posthum zum Totengräber?
Unser Bestreben war niemals, der Alemannia zu schaden. Nur irgendwann ist der Punkt gekommen, wo man bei Perspektivlosigkeit einen Schlussstrich ziehen muss, zumindest vorläufig. Jetzt gelten wir als Nestbeschmutzer, wenn wir die Rechten thematisieren und sind die Beschuldigten. Übrigens: Vom Verein hat sich bis jetzt niemand bei uns gemeldet.