«Wir werden immer fremdenfeindlicher»

André Dosé, Wirtschaftsführer und Präsident der Grasshoppers, blickt mit einiger Skepsis in die Zukunft der Schweiz – aber er hofft auf den Cupsieg der Mannschaft am Pfingstmontag gegen den FC Basel. Ein Gespräch über Fussball und mehr.

André Dosé ist seit 2012 Verwaltungsratspräsident des Fussballclub Grasshopper Zürich. (Bild: Christian Schnur)

André Dosé, Wirtschaftsführer und Präsident der Grasshoppers, blickt mit einiger Skepsis in die Zukunft der Schweiz – aber er hofft auf den Cupsieg der Mannschaft am Pfingstmontag gegen den FC Basel. Ein Gespräch über Fussball und mehr.

Es riecht nach Gülle an diesem Montag im Mai zwischen Dielsdorf und Niederhasli. Zwanzig Minuten vor Zürich, zwischen Pferderennbahn, Supermarkt und ausgedehnten, frisch gedüngten Feldern, liegt der Campus der Grasshoppers. Einen Tag nach der Niederlage im Zürcher Derby ist es ruhig auf dem Gelände. Vor dem Hauptgebäude zwirbeln Gärtner an einem Kunstrasen herum, im Hauptgebäude künden Digitaldrucke von den glorreichen Zeiten des Rekordmeisters. Der letzte Titel liegt zehn Jahre zurück, und dass die seither andauernde Baisse überwunden scheint, ist auch ein Verdienst des neuen Präsidenten André Dosé, einer breiteren Öffentlichkeit als Ex-Chef der Swiss bekannt.

Herr Dosé, hat GC im Meisterrennen auf der Zielgeraden kapituliert?

Wenn Sie mir vor Saisonbeginn prophezeit hätten, dass GC um den Meistertitel mitspielt, vier Runden vor Schluss Zweiter ist und im Cupfinal steht – ich hätte Sie für verrückt erklärt. Ich habe immer gesagt, dass wir kein Kader für eine Meistermannschaft haben. Dafür haben wir schlicht zu wenig Tiefe. Aber wenn man vorne dabei ist, bekommt man Appetit. Wer jedoch von uns den Meistertitel gefordert hat, ist einfach nicht realistisch.

Wie wichtig wäre der zweite Platz und die Teilnahme an der Champions-League-Qualifikation?

Europa war intern nicht das Saisonziel, wir wollten mit dem Abstieg nichts zu tun haben. Manchmal muss man kurz anhalten und über die Schulter schauen, um zu sehen, wo man herkommt. Die Erwartungen an uns sind ins Kraut geschossen. Aber klar, wir haben uns da oben in der Tabelle festgekrallt und wollen alles tun, um den zweiten Platz zu verteidigen. Und jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf den Cupfinal gegen den FCB am Pfingstmontag.

«Meine Aufgabe war es, bei den Grasshoppers wieder den Erfolgshunger zu wecken.»

Muss der Präsident nun im Club dafür sorgen, dass man mit dem bisher Erreichten zufrieden ist?

Nein, mein Hauptaufgabe war, den Erfolgshunger überhaupt wieder zu wecken. Das war hier einfach alles total platt. Niemand hat mehr an einen Erfolg glauben wollen. Und nach neun Siegen ohne Niederlage gab es schon wieder einige, die abhoben. Die muss man dann wieder auf den Boden bringen. Und wenn wir – wie letzten Sonntag im Derby – einen auf den Deckel bekommen, obwohl wir die spielerisch bessere Mannschaft waren, dann ist die Stimmung nicht gut und dann muss man die Jungs wieder daran erinnern, dass wir eine fantastische Saison spielen und uns davon nicht aus dem Konzept bringen lassen.

Wo sehen Sie den Grassshopper Club in den nächsten Jahren?

Unsere Ambition muss sein, dass GC mit seinem Markennamen regelmässig unter den ersten drei mitspielen kann. Dann wird man wahrscheinlich das eine oder andere Jahr Meister. Aber wir haben nicht die Möglichkeit, ein Budget wie jenes des FC Basel aufzustellen. Wir haben praktisch keine Zuschauereinnahmen und sind auf andere Quellen angewiesen. Wir müssen bescheidener wirtschaften.

Wie hoch ist denn das GC-Budget?

Wir haben für die nächste Saison zwei Budgets aufgestellt, mit Europacup und ohne, aber wir geben keine Zahlen bekannt. Es ist eine leichte Steigerung geplant im Vergleich zu dieser Saison.

Warum stellt GC nicht Transparenz her bei seinen Zahlen, etwa so, wie es der FC Basel macht?

Weil Basel eine andere Situation hat. Bei uns kommt das meiste Geld von Gönnern, Sponsoren und Unterstützervereinigungen. Die nächste Frage wäre dann doch, wieviel kommt vom Owners-Club, wieviel vom Donnerstag-Club und so weiter.

Wie wichtig ist der zweite Platz für die finanzielle Konsolidierung?

Die ist noch längst nicht abgeschlossen. Wir sind bei etwa fünfzig Prozent der Restrukturierung, haben der ersten Mannschaft Priorität gegeben und müssen im Unterbau, in der Juniorenabteilung, beim Kommerz, noch etliches machen. Wir stehen gut da, aber wir haben ein sehr eingeschränktes Budget, das uns auch nächste Saison keine grossen Sprünge erlaubt. Den Sponsoren muss man Nachhaltigkeit beweisen, und das geht nicht in acht, neun Monaten.

«In Zürich herrscht einfach nicht die Fussballbegeisterung, die Basel hat.»

Ist es nicht erstaunlich, dass der FCB mehr «No Shows» bei seinen Heimspielen hat als GC tatsächlich Zuschauer im Stadion?

Es ist schwierig in Zürich. Wir müssen erst wieder etwas aufbauen. Als der FCZ in der Champions League gespielt hat, war das Spiel gegen die Bayern auch in 20 Minuten ausverkauft. Die Leute kommen, wenn etwas Grosses stattfindet. Und auch wenn die Basler das nicht gerne hören: In Zürich ist einfach so unglaublich viel mehr los, sei es an kulturellen Events oder im Sport. Ausserdem herrscht hier einfach nicht die Fussballbegeisterung, die Basel hat.

Viel mehr als einen Spitzenplatz und Cupfinal kann GC ja derzeit gar nicht bieten – und dennoch kommen bei den letzten Heimspielen knapp über 4000 Zuschauer und zum Derby mit GC als Gastgeber auch nur gerade mal 14’000.

Es braucht einfach Zeit, und wir haben nun mal ein sehr ungünstiges Stadion, in dem keine Stimmung aufkommt. Unsere Spiele sind einfach kein Event, und das ist eines meiner Ziele: dass mehr Frauen und Familien an die Spiele kommen. Aber dafür brauchen wir ein Stadion, in dem Ambiance herrscht, in dem Stimmung herrscht, das ein Kessel ist. Und ein Stadion, dass eine ganz andere Infrastruktur hat. Wir haben im Letzigrund für die VIPs einfach keine glückliche Infrastruktur. Das wird mit dem neuen Stadion kommen, und ich behaupte nicht, dass wir dann sofort 5000, 6000 Zuschauer mehr haben. Aber darauf kann man dann aufbauen. Mir schweben ungefähr 15’000 Zuschauer im Schnitt vor.

Ist das nicht ein schwieriger Spagat: Einerseits der Wunsch nach einem Hexenkessel mit einer lebendigen Kurve und andererseits der Familienevent?

Es muss beides sein. Gerade GC wird ja immer in der Ecke des Clubs der Reichen platziert. Aber wir haben genauso fanatische Anhänger und Seilgemeinschaften. Das kann man sicher aneinander vorbeibringen.

Beim Derby herrschte anfangs überhaupt keine Stimmung, weil die Fans gegen das Konkordat protestiert haben. Was halten Sie von der Verschärfung der Massnahmen gegen die Fans?

Als es auf dem Tisch lag, waren wir so geschockt wie alle anderen Clubs auch. Wir haben immer gesagt: Man muss den Einzeltäter angehen und darf nicht kollektiv bestrafen. Einzelne Fälle sind massiv übertrieben dargestellt worden. Ganz so, als ob bei jedem Spiel ein riesiges Sicherheitsproblem bestünde. Das ist sicher nicht so. Wir haben in der Schweiz eine Gesetzgebung, die wenig geeignet ist, weil man den Einzeltäter zu wenig packen kann. Aber so, wie das Konkordat im Kanton Zürich umgesetzt wird, können wir damit leben. Die Fans können nach wie vor Tickets für Auswärtsspiele vor Ort kaufen, die Risikospiele ändern sich nicht – das bleiben die Begegnungen mit dem FCZ und dem FCB – die Leibesvisitationen finden nicht statt, die ID-Kontrollen auch nicht. Die Umsetzung entspricht also dem Status quo – allerdings mit der Einschränkung, dass mehr kommen kann, wenn es eskalieren sollte. Und da bleiben Fragezeichen. Im Moment hat der Kanton Zürich das mit sehr viel Augenmass umgesetzt. Aber es ist ein Gesetz, und werden die nachfolgenden Politiker genauso viel Augenmass besitzen?

«Das Konkordat wird in Zürich mit sehr viel Augenmass umgesetzt. Der Protest ist chancenlos.»

Und der Protest gegen das Konkordat und die Abstimmung in Zürich am 9. Juni?

Ist chancenlos. Ich habe Stimmen aus der Politik vernommen, die völlig übertrieben sind. Das ist oft so in der Schweiz: Auf ein populistisches Thema stürzen sich die Politiker, das lässt sich den Leuten gut verkaufen – und dann schlägt das Pendel ins Extreme aus. Ich komme aus der Fliegerei, wo man sich jeden Tag mit dem Thema Sicherheit auseinandersetzen muss. Dafür gibt es Manager und Leute, die dafür geradestehen müssen, die das Thema aktiv betreuen, von Fall zu Fall. Es wird nicht gelingen, über ein Gesetz die absolute Sicherheit hinzubekommen – viel effektiver ist es, wenn mit den Fans der nötige Austausch stattfindet.

Interessant ist doch, dass sich nur in den beiden Basel politischer Widerstand gegen das Konkordat gebildet hat.

Das hat für mich wieder mit der Identifikation in Basel mit dem Fussball zu tun. Die geht in Basel einfach tiefer und ist grösser – da muss ein Politiker praktisch beim Match gesehen werden, da ist die Politik beim Fussball viel präsenter.

Sie sagen: Alle Kraft in den Cupfinal. Wie wichtig ist am Pfingstmontag in Bern ein Sieg gegen den FC Basel? Was könnte GC daraus für die nächste Saison ziehen?

Erstens haben wir eine Riesenfreude, dass wir so weit gekommen sind. Wir hatten ein paar schwierige Spiele auf dem Weg dahin, es war fantastisch, dass wir im Halbfinal den FCZ nach einem ganz heissen Match schlagen konnten. Wenn wir diesen Titel holen könnten, wäre das eine unglaubliche Belohnung für diese Mannschaft. Und die wäre auch verdient, weil hervorragend gearbeitet wurde.

In einer Saison, in der alles ein bisschen im Schatten des FC Basel steht…

…und in der wir relativ gut Paroli geboten haben. Wir haben dreimal gegen den FCB gespielt, zweimal unentschieden und einmal haben wir hoch verloren, wobei wir da benachteiligt wurden. Auch Barcelona gewinnt in Basel nicht, wenn der FCB drei irreguläre Tore macht. Spielerisch waren wir in den drei Partien auf Augenhöhe. Das stimmt uns zuversichtlich, und in einem einzigen Spiel, in einem Cupfinal, kann alles passieren. Da entscheidet die Tagesform, ein, zwei Szenen können ausschlaggebend sein. Ich glaube, wir sind hungriger nach einem Titel, aber Basel hat mehr Routine in solchen wichtigen Spielen. Wir gehen jedenfalls mit sehr viel Vorfreude in diesen Final, und ich hoffe, es gibt einen offenen Schlagabtausch.

«Entweder teilen wir unseren Reichtum und integrieren diese Menschen oder sie holen sich ihn.»

Herr Dosé, lassen Sie uns politisch werden. In Ihrer erster Mannschaft spielen viele Migranten. Da scheint Integration zu funktionieren, aber warum ist das so?

Fussball hat eine unglaublich wichtige Funktion in der Migration. Ich bin am Wochenende häufig auf dem Fussballplatz und schaue Spiele unserer Jugendmannschaften. Nirgends kommen so viele Kulturen so gut miteinander aus wie im Fussball. In ganz Zürich gibt es an einem Wochenende keinen Anlass, an dem interkulturell so viel geschieht wie auf dem Fussballplatz. Warum das so ist? Das ist vielleicht die Kraft des Fussballs, das verbindende Element. Wenn es um die Unterstützung des Fussballs geht, vergisst man das gerne. Nehmen Sie die Abstimmung über den Neubau unseres Stadions im September: Da geht es nicht um eine Arena für gut bezahlte Stars – da steckt viel mehr dahinter!

Warum funktioniert Integration nicht auch in anderen Bereichen besser?

Ich verstehe das auch nicht. Und es tut mir immer sehr weh. Meine Mutter war keine Schweizerin, sie hatte eine wahnsinnige Vergangenheit im Krieg. Sie wurde in übelste Arbeitslager deportiert und flüchtete dann aus dem damaligen Russland (der heutigen Ukraine) in die Schweiz. Und diese Schweiz, die offizielle Schweiz, stand ihr ablehnend gegenüber. Sie musste sich als 16-jähriges Mädchen zwei Jahre lang verstecken, um hier bleiben zu können. Wäre sie gefunden worden, es hätte ihren sicheren Tod bedeutet. Das zeigt eine Grundhaltung, die ich immer an der Schweiz kritisiere und die ich immer noch feststelle: Wir werden immer fremdenfeindlicher, verschliessen uns immer mehr.

Ist das in Ihren Augen eine neuere Entwicklung?

Ja. Vor zweihundert Jahren war die Schweiz das Armenhaus Europas. Ich habe lange in den Vereinigten Staaten gelebt und habe dort viele Schweizer Auswanderer getroffen. Früher haben diese Auswanderer noch Geld dafür erhalten, wenn sie ihre Gemeinden verliessen! Diese Schweizer waren auf Länder wie die USA angewiesen. Länder, die sie aufnahmen und ihnen erlaubten, mit ihren Trachten und Kuhglocken an einem Sonntag durch irgendein Kaff in North Carolina zu ziehen. Das wurde toleriert. In der Schweiz funktioniert das heute nicht mehr. Obwohl es uns sehr gut geht.

Warum?

Wir haben Angst. Wir versuchen alles aus der Vergangenheit zu bewahren. Migration ist für mich das Thema Nummer 1. Das Gefälle zwischen Nord und Süd wird die grösste Aufgabe der kommenden Generation sein. Dieses Gefälle nimmt nicht ab, es nimmt zu. Die Leute kommen, so oder so. Und entweder teilen wir unseren Reichtum und integrieren diese Menschen oder sie holen sich ihn. Wir leben in einer neuen Welt, alle sind viel mobiler geworden und gleichzeitig sind die Ansprüche gewachsen.

«Schon die Minarett-Initiative war eine Katastrophe für dieses Land, das darf nicht noch einmal passieren.»

Etliche Ihrer Wirtschaftskollegen werden das anders sehen.

Ja, ich bin in diesem Thema eher ein Exot. Aber man muss dabei meinen Hintergrund bedenken und die Erfahrungen meiner Mutter. Die Schweiz wird immer als ein super humanes Land dargestellt, aber das sind wir nicht immer. Das sieht man auch im Fussball. Ich habe beim SC Baudepartement in Basel als einziger Schweizer in einer Mannschaft mit nur Ausländern gespielt. Von meinen Gegnern, den Schweizer Gegnern, wurde ich oft aufs primitivste angepöbelt. Warum kannst du nur mit denen spielen? Es war zum Teil unausstehlich.

Haben die Schweizer ein falsches Selbstbild?

Ich habe lange im Ausland gelebt und kann sagen: Wir Schweizer nehmen uns zu wichtig. Wir sind sehr unbedeutend in Europa, wir sind sehr unbedeutend in der Welt. Ich sage nicht, wir Schweizer müssen in die EU, dagegen spricht viel. Aber: Wir müssen uns auf unsere Rolle als Europäer besinnen. Wenn wir Europäer so weitermachen wie heute, werden England, Deutschland, Italien und Frankreich in den zwanzig Jahren als Europa nicht mehr in den G-20 sein. Und was für Europa gilt, gilt auch für die Schweiz. Sich so zu isolieren ist keine gute Strategie für die Zukunft.

In nächster Zeit stehen mehrere Initiativen zur Zuwanderung zur Debatte. Was halten Sie von den Vorstössen?

Schon die Minarett-Initiative war eine Katastrophe für dieses Land, das darf nicht noch einmal passieren. Wir müssen liberal bleiben, wir haben die Kontrolle doch immer noch. Unser Land wird nicht überflutet. Das sind alles überzeichnete Bilder, dramatisierte Bilder. Denken Sie an die Flüchtlinge in Syrien, die Schweiz hätte doch die Möglichkeit viel humaner zu sein und sie hätte auch das Geld dazu. Ich habe in Bahrain gelebt, beim «bösen Islam». Dort war es möglich, eine katholische Kirche zu bauen, gleich neben einer Moschee. Es wurde toleriert.

Lehnen Sie in diesem Fall die Revision des Asylgesetzes ab?

Ich habe den genauen Wortlaut noch nicht im Detail gelesen. Aber Verschärfungen stehe ich prinzipiell kritisch gegenüber.

«Die Schweiz befindet sich in einer Schieflage. Es geht ständig abwärts.»

Ein zweites grosses Thema der aktuellen Schweizer Politik ist die Verteilungsgerechtigkeit. Können Sie verstehen, wenn viele Leute die Schere zwischen Arm und Reich nicht mehr erträglich finden?

Das Thema hat zwei Aspekte. Zum einen wurde die Schraube von einzelnen Firmen und Managern überdreht. Ich kann nachvollziehen, wenn die Leute das nicht goutieren und ich verteidige diese Manager auch nicht. Zum anderen bin ich ein sehr liberaler Mensch und finde Ideen wie die 1:12-Initiative falsch. Warum wurde die Schweiz so stark wie sie heute ist? Weil sie vom Zweiten Weltkrieg verschont wurde und weil wir nach dem Krieg ein unglaublich liberales Land waren, das internationalen Unternehmen sehr viel anbieten konnte. Heute befindet sich die Schweiz in Schieflage, es geht stetig abwärts. Wir realisieren nicht, was wir mit unseren liberalen Grundsätzen aufgeben. Es kann nicht sein, dass das Wort Unternehmer ein Schimpfwort wird.

Sind wir Schweizer zu bequem geworden?

Ich bin mir nicht sicher, ob das das richtige Wort ist, aber es ist sicher ein Teil des Problems. Wir sind nicht bekannt dafür, grosse Kämpfer zu sein. Das ist mit ein Grund, warum im Fussball die Mehrheit der jungen Spieler einen ausländischen Hintergrund haben. Die sind hungriger, die wollen mehr. Das hat mit dem ganzen Umfeld zu tun. Uns geht es sehr gut. Und wenn es einem sehr gut geht, verpasst man manchmal den Moment, einen Schritt vorwärts zu machen. Das gilt für Unternehmen und das gilt vielleicht auch für die Schweiz.

Wir sind nicht hungrig genug?

Ja. Und wir sind zu wenig selbstbewusst.

Ihre Karriere ist auch geprägt vom Moment des Scheiterns. Müssten die Schweizer das Scheitern lernen?

Wir müssen sicher an unserer Mentalität arbeiten. Wenn in der Schweiz etwas scheitert, heisst es immer: Oh jesses Gott. Dabei gehört Scheitern per Definition zum Wesen des Unternehmertums! Wer Risiken eingeht, riskiert auch ein Scheitern. Darauf kommt es nicht an, es kommt darauf an, auf das Scheitern mit der richtigen Strategie zu antworten und etwas Neues anzupacken.

War das Wegbrechen des Bankgeheimnisses so ein historisches Scheitern?

Vielleicht. Aber statt zu reagieren, klammern wir uns an ein Instrument, das nicht mehr zeitgemäss ist. Manchmal kommt es einem vor, die kleine Schweiz wolle einen internationalen Trend aufhalten. Und das geht halt nicht. Aber ich bin kein Banker und zum Glück muss ich keine Bank führen.

«Was einem wirklich Angst macht, ist die Hoffnungslosigkeit der Menschen in Spanien.»

Wenn man nach Europa blickt, geht es der Schweiz doch noch verhältnismässig gut.

Ja, die Situation in Europa macht mir riesige Sorgen. Ich bin häufig in Spanien, und was ich dort sehe, ist dramatisch. Es macht mir Angst, wenn 50 Prozent der Jugendlichen und 30 Prozent der Gesamtbevölkerung arbeitslos sind. Das ist eine Zeitbombe. Europa ist an einem schwierigen Punkt, wir haben hier ein extremes Nord-Süd-Gefälle. Gleichzeitig vertreten die meisten Länder primär ihre eigenen Interessen, kümmern sich um die eigenen Banken, das eigene System. Man schafft damit Situationen für Länder im Süden, aus denen sie sich nicht mehr selber befreien können. Was einem wirklich Angst macht, ist die Hoffnungslosigkeit der Menschen. Vor ein paar Jahren habe ich in Spanien noch grenzenlosen Optimismus gespürt, eine ganze Generation wurde top ausgebildet. Und diese Generation hat nun keine Aufgabe im eigenen Land und lebt verteilt über ganz Europa. Dafür fehlt im Land selber die wirtschaftliche Leistung, die es für einen Turnaround brauchen würde. Das ist eine erschreckende Situation.

Braucht es mehr Transfer zwischen den Ländern?

Wir haben das ja heute schon – aber nicht so, dass es den Ländern wirklich helfen würde. In Griechenland ist unter der momentanen «Hilfe» der Nordländer kein Wachstum mehr möglich. Wir Menschen haben früher vom Teilen gelebt. Wenn einer auf der Jagd erfolgreich war, dann hat er seine Beute geteilt. Davon sind wir heute weit entfernt.

Teilen Sie den mit anderen?

Nicht mehr und nicht weniger als andere Leute. Ich unterstütze Projekte, die ich gut finde. Beispielsweise in Afrika, das ich häufig bereist habe. Wenn man dort durch gewisse Städte fährt, wird einem schlecht. Darum ist GC nun auch bei der Right-to-Play-Foundation. Ich bin der Meinung, dass ein Club auch eine soziale Verantwortung hat, und diese Säule haben wir nun aufgebaut.

Sind Sie selber eigentlich ehrenamtlich für GC tätig?

Sagen wir so: Das Engagement kostet mich nichts.

André Dosé

André Dosé (56) hat eine Tellerwäscherkarriere hinter sich: Er war Sprühpilot in den USA, heuerte bei der Crossair an, wurde deren Chef und dann, nach dem Grounding der Swissair 2001, präsidierte er zwei Jahre lang die Swiss. Vor einem Jahr wurde Dosé neuer GC-Präsident. Er restrukturierte den Club und hat Erfolg damit: Nach einer missratenen Saison, die fast mit dem Abstieg von GC geendet hätte, sind die Zürcher die hartnäckigsten Widersacher des FC Basel. Dosé, der unter anderem auch VR-Präsident der BLT ist, lebt in Münchwilen und hat zwei erwachsene Kinder.

Quellen

Porträt von André Dosé im «Tages-Anzeiger».

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