«Wir wollen den Fussball in Basel hochhalten»

Seit zehn Jahren setzt die Basler Fanarbeit auf Dialog und feiert in diesen Wochen ihr Jubiläum. Der Co-Leiter Thomas Gander erzählt im Interview von seiner Arbeit und seiner Rolle zwischen Fankurve, Verein und Polizei.

«Die Fanszene befindet sich in einer ständigen Veränderung.» Thomas Gander, seit acht Jahren Fanarbeiter beim FC Basel. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Seit zehn Jahren setzt die Basler Fanarbeit auf Dialog und feiert in diesen Wochen ihr Jubiläum. Der Co-Leiter Thomas Gander erzählt im Interview von seiner Arbeit und seiner Rolle zwischen Fankurve, Verein und Polizei.

Thomas Gander (37) ist Co-Leiter der Fanarbeit Basel, SP-Grossrat und Geschäftsleiter der Fanarbeit Schweiz. Als Fürsprecher der Fankultur und dezidierter Kritiker des Hooligankonkordats macht er schweizweit von sich reden. Im Interview sagt er, welchen Einfluss er auf die Basler Fanszene hat, welche Schwierigkeiten seine Doppelrolle als Politiker und Fanarbeiter mit sich bringt und weshalb die Fanarbeit keine Garantie für weniger Gewalt ist.

Am Mittwochabend empfängt der FC Basel in der Champions League Steaua Bukarest, eine Mannschaft mit einer gewaltbereiten Fanszene. Sind Sie angespannt?

Aus Prinzip machen wir keine Voraussagen auf ein Spiel hin. Bei den Ostmannschaften bleibt jedoch immer ein gewisser Unsicherheitsfaktor. Man weiss nicht genau, wie viele Fans mitreisen und welches Gewaltpotenzial sie mitbringen. Bei Schalke waren wir besser informiert. Die Kontakte zu den Behörden nach Osteuropa sind deutlich weniger ausgebaut.

Im Hinblick auf ein solches Spiel: Wie bereiten Sie sich vor?

Wir treffen uns regelmässig mit den Sicherheitsverantwortlichen und dem Fanverantwortlichen vom FCB und der Polizei. Bei diesen Treffen besprechen wir die vergangenen und die kommenden Spiele. Das Schalke-Spiel lag aufgrund der vorliegenden Informationen letztes Mal mehr im Fokus – zum Spiel gegen Rumänien dringen nur einzelne Informationen durch, was eine spezielle Vorbereitung schwierig macht.

Der eine Teil sind die auswärtigen Fans. Der andere die Basler. Woran erkennen Sie im Vorfeld eines Spiels das Potenzial für Ausschreitungen?

Diese Anzeichen sind nicht immer klar festzumachen. Eine Möglichkeit ist es, beim Austausch mit den Fans die Spannung vor einem Spiel herauszuspüren. Was genau am Spieltag passiert, ist dann auch sehr situationsbedingt. Bei internationalen Spielen wissen auch häufig die Fans nicht, wie sich die gegnerischen Fans verhalten. Man kennt sich nur vom Hörensagen, und Gerüchte machen die Runde.

Wie gehen Sie mit den Informationen um, die Sie von den Fans erhalten?

In unserer Rolle müssen wir immer gut abwägen, welche Informationen wir weitergeben können und was wir überhaupt wissen wollen. Das hat sich in der Zwischenzeit gut eingespielt.

«Wir müssen immer gut abwägen, welche Informationen wir weitergeben.»

Gerade an Spieltagen besteht grundsätzlich eine gute Zusammenarbeit. Die Polizei fragt bei uns nach, erwartet aber nicht unbedingt eine klare Antwort. Umgekehrt gilt das Gleiche.

Polizei oder Fans, für welche Interessen setzt sich die Fanarbeit ein?

Das ist eine hochspannende Frage. Am Montag hielt ich vor 30 Polizisten einen Vortrag zur Rolle der Fanarbeit und über Möglichkeiten und Grenzen in der Zusammenarbeit mit der Polizei. Es gibt immer wieder zwei Vorwürfe an uns. Der eine lautet, wir seien zu nahe an den Fans und somit parteiisch. Der andere lautet, wir seien zu weit weg und hätten deshalb zu wenig Einfluss. Sicher nehmen wir teilweise auch eine anwaltschaftliche Position für eine lebendige, auch wilde Fanszene ein – wir wissen aber sehr wohl auch zu differenzieren.

Die Fanszene wird häufig als unberechenbar beschrieben. Nach zehn Jahren Fanarbeit, ist die Szene für Sie berechenbarer geworden?

Die Fanszene befindet sich in einer ständigen Veränderung, deshalb bleibt sie für mich unberechenbar. Berechenbarer sind gewisse Eskalationen, aber die Überraschungen bleiben. Das Verhalten und überhaupt das Dasein einer Fankurve wie in Basel bleibt für alle Beteiligten eine ständige Herausforderung.

Wir hatten vor etwa einem Monat um ein Porträt angefragt und wollten Sie an ein Spiel oder zu einem Treffen mit Fans begleiten. Nach langem Nachdenken haben Sie uns dann abgesagt. Was war der Grund?

Ich habe das Gefühl, wenn Sie mich als Medienschaffender begleiten, kann ich meine Arbeit nicht mehr ausführen, wie ich muss. Ich stehe dann unter einer künstlichen Beobachtung, und das verändert die Situation. Es widerspricht auch meiner Persönlichkeit, mich so ins Zentrum zu stellen. Einerseits sind wir ein Team, andererseits passt es nicht zum Wesen der Sozialen Arbeit. Zudem glaube ich nicht, dass es die Fanszene verstehen würde, wieso ich in diese geschlossene Subkultur einen Journalisten mitnehme. Ich finde es berechtigt, dass es in unserer Zeit gewisse schützenswerte und nicht entmythologisierte Orte gibt.

Es klingt so, als hätten Sie in diesem Umfeld nur sehr begrenzte Freiheiten.

Die Fanarbeit steht und fällt mit der Akzeptanz innerhalb der Fanszene, das ist kein Geheimnis. Sie steht und fällt aber auch mit der Akzeptanz bei Verein und Polizei. Wir sind mitten in diesem System drin. Da muss man sich auch einen gewissen Panzer aufbauen und lernen, einige Dinge nicht persönlich zu nehmen und Grenzen zu akzeptieren. Es ist wichtig, immer wieder auch eine Distanz zum Geschehen aufbauen zu können.

Wie gross sind ihre Möglichkeiten, Einfluss auf die Fans zu nehmen?

Wenn wir mit der Friedensfahne kommen und sagen, beim nächsten Spiel haltet ihr euch zurück, dann wird das natürlich nicht gross ernst genommen. Wir können insofern Einfluss nehmen, als wir einen Weg aktiv unterstützen, der ein gemeinsames Ziel mit den Fans, dem Verein und auch der Behörden anstrebt. Wir wollen den Fussball in Basel hochhalten und lebendig behalten.

«Das Ziel einer völligen Gewaltfreiheit im Fussball ist nicht realistisch.»

Einig über die Umsetzung müssen wir uns dabei aber nicht immer sein. Auch streiten liegt drin. Auch wenn die Erkenntnis etwas bitter ist, das Ziel einer völligen Gewaltfreiheit im Fussball kann zwar als Wunsch ausgesprochen werden, realistisch ist es aber eben nicht. Wir sprechen von Eindämmung der Gewalt.

Erreicht die Fanarbeit alle Fans, auch den gewaltbereiten Teil?

Die Fans in der Kurve erreichen wir, und dort hat es auch Fans, die der Gewalt nicht abschwören. Es gibt aber Konstellationen wie etwa beim Cup-Final in Bern im vergangenen Mai. Da werden auch ältere, ehemalige Figuren und ihr Umfeld mobilisiert. Da hört dann die Zugänglichkeit für uns auf. Das ist aber sehr selten der Fall.

Welche Rolle spielt die alte Hooligan-Szene noch?

Als aktive Gruppierung sind sie nicht mehr präsent. Es gibt aber die bekannten Figuren, die sich ihren Namen gemacht haben. Und die behalten ihren Ruf.

Fürchten Sie die Eskalation?

Es gibt das sogenannte ungute Gefühl, so eine Art Intuition, dass etwas in der Luft liegt. Wenn es zu Gewalt kommt, beschäftigt mich das. Die Bilder hängen im Kopf nach. Daraus kann auch Verärgerung und Frust entstehen. Umso wichtiger wird dann das Netzwerk, das wir in Basel haben.

Richtete sich das Gewaltpotenzial der Szene auch schon gegen Sie?

Verbal kommt das vor, körperlich habe ich das noch nie erlebt. Ich weiss aber auch, in welcher Situation ich mich zurückziehen soll. Potenzial für Reibungsflächen gibt es neu und wenig überraschend auch mit meinem politischen Mandat. Es ist für mich aber eine spannende Herausforderung, mit diesen beiden Rollen umzugehen.

Inwiefern hängen sie zusammen?

Ich wäre wahrscheinlich nicht in den Grossen Rat gewählt worden, wenn ich mir in der Vergangenheit nicht auch als Fanarbeiter einen gewissen Namen gemacht hätte. Es ist wiederum als Politiker nicht ganz einfach, nicht «nur» auf diese Funktion reduziert zu werden. Dabei braucht die Fanarbeit mich als Politiker per se nicht. Zum Beispiel gibt es in Basel auch andere Politiker, die sich differenziert etwa zum Hooligan-Konkordat äussern können. Ich versuche aber, die beiden Rollen auseinanderzuhalten. Immer ist das nicht möglich. Zuletzt habe ich das nach dem Spiel gegen Aarau erlebt. Da kommt ein Fan zu mir, spricht mich auf die 1:12 Initiative an und will wissen, was das für Auswirkungen auf den FC Basel hätte.

Was haben Sie ihm geantwortet?

Dass ich es grundsätzlich legitim finde, wenn sich auch der FC Basel mit einer Lohnspanne auseinandersetzen muss, die zusammenhängend mit dem Erfolg und grundsätzlich mit der zunehmenden Kommerzialisierung im Fussball immer mehr auseinander geht.

Bleiben wir beim Thomas Gander als Fanarbeiter. Ist es für Sie heute einfacher, das Risiko an Spielen zu kalkulieren als noch vor acht Jahren?

Schwierige Frage. Ich denke, die Eskalationspunkte sind durch die starke Kontrolle der Fans einerseits besser festzumachen, gleichzeitig aber auch unberechenbarer geworden. Der grösste Eskalationsherd ist zur Zeit im Schweizer Fussball der Eingangsbereich der Stadien. Wenn bei der Eingangskontrolle Fackeln gefunden werden, dann eskaliert es.

«Der grösste Eskalationsherd ist der Eingangsbereich.»

Die Fans versuchen dann, ihr Mitglied von einer drohenden Festnahme zu schützen, die Sicherheitsleute wollen natürlich das Gegenteil. Brisant ist, beide Seiten sind nicht abgeneigt, sich dabei aneinander messen zu können. Da sind starke Feindbilder entstanden.

Wo sehen Sie Fortschritte nach zehn Jahren Fanarbeit?

Ich schreibe uns nicht gerne alleine «Erfolg» auf die Fahne, das entspricht nicht dem Weg, den wir in Basel zu gehen versuchen und auch nicht unserer Arbeitshaltung. Wenn Erfolg, dann ist es dieser, dass wir nach acht Jahren als Vertrauenspersonen und als Fachpersonen ernstgenommen werden. Bei der hitzigen Kontroverse um das Thema Fanverhalten ist es etwas karikiert ausgedrückt überhaupt auch ein Erfolg, dass es uns immer noch gibt.

Was wäre anders, wenn es die Fanarbeit nicht gäbe?

Ich weiss es nicht. Es gäbe sicher die Muttenzerkurve, es gäbe den FCB.

Gäbe es mehr Gewalt?

Das ist eine sehr hypothetische Frage. Mit dem Thema würde in Basel sicher anders umgegangen. Aber ob es mehr oder weniger Gewalt gäbe, ist offen. Das gilt übrigens auch für die Qualifizierung der Polizeiarbeit. Die Polizei kann ebensowenig belegen wie die Fanarbeit auch, ob ihr Handeln zur Eindämmung von Gewalt rund um den Fussball führt oder letzten Endes gar kontraproduktiv ist. Auffallend ist, dass die Fanarbeit nach Vorfällen schneller in Frage gestellt wird und Ressourcenunterschiede dann bei der Bewertung keine Rolle spielen. In Fragen der Erwartungshaltung wird dabei oft auch mit verschiedenen Ellen gemessen.

Ich bitte Sie zum Abschluss einen Satz zu ergänzen. Es braucht die Fanarbeit, weil…

…ein Umfeld, das die Fussballfans nur als Risikofaktor und unter Sicherheitsaspekten betrachtet und behandelt, viele unterstützenwerte Facetten einer begeisterungsfähigen und kreativen Fankultur wie der in Basel völlig ausblendet und mit dieser Einseitigkeit mehr Konflikte heraufbeschwört werden als Lösungen gefunden.

Nächster Artikel