Wo Pilger beten und Mönche sich prügeln

Die Geburtskirche in Bethlehem war dem Einsturz nahe. Nun wird sie erstmals seit Jahrhunderten umfassend restauriert. Das könnte die Aussöhnung der seit Jahrhunderten zerstrittenen Mönchsorden in der Kirche ermöglichen.

A nun prays inside the Grotto at the Church of the Nativity, believed to be the birthplace of Jesus Christ, in the biblical West Bank city of Bethlehem, Monday, Dec. 21, 2015. (AP Photo/Nasser Shiyoukhi)

(Bild: Keystone / Nasser Shiyoukhi)

Die Geburtskirche in Bethlehem war dem Einsturz nahe. Nun wird sie erstmals seit Jahrhunderten umfassend restauriert. Das könnte die Aussöhnung der seit Jahrhunderten zerstrittenen Mönchsorden in der Kirche ermöglichen.

Zwei Dinge fielen Giammarco Piacenti auf, als er erstmals in die Kirche trat. Es war dunkel. Und es war nass. Das Dach leckte. Die mit Blei bedeckten Schindeln und der Dachstuhl hielten nach unzähligen langen Wintern in den Bergen von Judäa dem Regen und dem Schnee kaum mehr stand. Wasser floss in die Kirche und hätte den Wandmosaiken einen deutlich sichtbaren Schaden zugefügt, hätte nicht eine schwarz «Schutzschicht» aus Russ sie bedeckt.

Jahrhunderte der Gottesdienste mit Kerzenlicht und Weihrauch haben die Wände der Kirche derart verdunkelt, dass kein Stern von Bethlehem das hohe Kirchenschiff aufzuhellen vermocht hätte. «Wäre das Ihr Haus, würden Sie den Dachstock abreissen und komplett erneuern lassen», sagt Piacenti. «Aber hier geht das nicht. Jeder Stein, jeder Ziegel, jeder Balken ist Teil der Kirche.»

Piacenti, 54, führt in der Toskana ein Restaurationsunternehmen. Der Familienbetrieb, derzeit in der vierten Generation, restaurierte Pagoden in China, Barockgemälde in Florenz und die Synagoge von Budapest, aber sein aktueller Auftrag stellt alle bisherigen in den Schatten. Die Geburtskirche von Bethlehem, die älteste ohne Unterbruch genutzte Kirche im Heiligen Land, war nahe am Zusammenbruch, als Piacentis Team 2013 anrückte.

«Ein Wunderwerk der Statik.»

Giammarco Piacenti, Restaurator

Vier Jahre lang werden 25 Mitarbeiter der Firma mit diesem Gotteshaus beschäftigt sein. Nach Abschluss der Restaurierung soll die Kirche für die kommenden Jahrhunderte in Form gebracht sein – und zwar so, dass die Eingriffe möglichst unsichtbar bleiben. «Unser Auftrag ist nicht, die Geschichte des Baus zu erneuern, sondern sie zu bewahren», sagt Piacenti. Immerhin soll der Überlieferung zufolge dort, wo jetzt die Grotte ist, einst der Stall gestanden haben, wo Jesu geboren ist.

15 Erdbeben überstanden

Zu bewahren gibt es einiges: Erbaut wurde die Kirche im 4. Jahrhundert auf Geheiss des römischen Kaisers Konstantin, der das Christentum zur Staatsreligion erhob. Nach einer Revolte der Samaritaner im 6. Jahrhundert aber, waren nur die Grundmauern, die Bodenmosaike und die Grotte übrig.

Justinian, der letzte grosse Kaiser des untergehenden Römischen Reichs und wie sein Vorgänger Konstantin ein Christianisierer, baute die Kirche wieder auf – «mit den besten Materialien, die ein Weltenherrscher damals finden konnte», staunt Piacenti.

Holz aus Norditalien und dem Libanon-Gebirge, Säulen aus judäischem Marmor, Mosaike aus den edelsten Werkstätten des byzantinischen Reiches. Selbst nach 1500 Jahren sei ein Grossteil der Dachbalken noch einwandfrei benutzbar. Die langen Nägel im Holz sind noch so scharf, als seien sie erst gerade eingeschlagen worden.




Die Geburtskirche gilt als eine der ältesten weltweit. Ihr Herzstück ist die Grotte. (Bild: Keystone / Abed al Hashlamoun)

15 Erdbeben hat die Geburtskirche ohne Kollaps überstanden, hat Piacenti errechnet. Möglich war das dank einer zusätzlichen Schicht aus weichem Holz, das zwischen Aussenmauern und Dachstock als Federung eingefügt war und bewirkte, dass das Dach während Erdstössen gleichsam auf dem Mauerwerk schwamm, anstatt einzustürzen: «ein Wunderwerk der Statik».

Andere Schäden waren allerdings unübersehbar. Nicht nur leckte das Dach, die Aussenmauer über der kleinen, knapp 120 Zentimeter hohen Eingangspforte aus osmanischer Zeit hat sich durch die Beben kontinuierlich nach vorne geneigt. In manchen Mauerstellen fanden sich Geschossreste, die vom israelisch-palästinensischen Konflikt zeugen – die letzten von 2002, als während der zweiten Intifada die israelische Armee während 39 Tagen die Geburtskirche belagerte, weil sich palästinensische Kämpfer im Innern des Gotteshauses verbarrikadiert hatten.

Einer umfassenden Restaurierung bedarf die Kirche seit Jahrzehnten. Der Dachstock wurde letztmals 1497 erneuert, die Bleischindeln kamen im frühen 19. Jahrhundert dran. Der Rest: nahezu unangetastet während Hunderten von Jahren. Nicht, weil das Geld fehlte. Sondern wegen des uralten Streits der verschiedenen christlichen Gemeinschaften um die Besitzrechte an den heiligen Stätten.

Völkerrecht als Hausordnung

«Schauen Sie sich um», sagt Bruder Ricardo, und weist auf die alten Öllampen, die an vergoldeten Ketten von der Decke der engen Grotte baumeln, auf die schief an der Wand hängenden Gemälde mit Bibelszenen, auf die verrussten Wandteppiche. «Alles ist katalogisiert. Jedes Mauerstück, jeder Treppenabsatz. Hier» – er tritt eine Stufe nach oben – «sind wir auf armenischem Boden. Aber die Lampe darüber» – er duckt sich unter einen silbernen Leuchter – «gehört den Griechen. Und hier» – er dreht sich zu einem in einer Nische versenkten Altar hin – «feiern wir Franziskaner unsere Prozession.»

Der Franziskanermönch Ricardo Bustos kommt aus Argentinien, «wie der Papst», ergänzt er nicht ohne Stolz, aber das Heilige Land kennt er seit Langem. Oder meinte es zu kennen nach all den Jahren, die er in einem Konvent in Nazareth verbrachte. Bis er vor zwei Jahren nach Bethlehem beordert wurde.

«Als ich hier ankam, war ich ernüchtert. Überall Streit. Bis ich realisierte, was meine Aufgabe hier sein kann: ein Vermittler zu sein zwischen den Brüdern Christi.» Denn die Zwietracht und Missgunst reicht weit zurück zwischen den armenisch-apostolischen, griechisch-orthodoxen und römisch-katholischen Mönchen, deren Kirchen der Geburtsort Christi gehört, und die ihn gemeinsam verwalten.



epa05078881 Nuns and pilgrims descend into the 'Grotto' in the Church of the Nativity, the accepted birthplace of Jesus Christ, during a candlelight procession of prayer, in the West Bank city of Bethlehem, 22 December 2015. The church where Jesus was born, one of the world's oldest, is still undergoing massive reconstruction work, and is covered in white plastic sheets and scaffolding. EPA/ABED AL HASHLAMOUN

Trotz der Restaurierung finden schon vor Weihnachten Prozessionen statt. (Bild: Keystone / Abed al Hashlamoun)

Weltliche Mächte wurden in den Streit mit reingezogen

Als an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert die europäischen Kreuzritter die Region Palästina eroberten, warfen sie die jahrhundertealte Ordnung in den heiligen christlichen Stätten über den Haufen. Die Kirche Roms drängte die alten Ostkirchen des Orients zurück und beraubte sie ihrer Privilegien. Erst nach dem Ende der Kreuzfahrerreiche konnten die Ostkirchen unter der Schirmherrschaft der neuen muslimischen Machthaber ihre Positionen teilweise wieder zurückerlangen.

Doch das Gezerre der Christen um die Hoheit über die heiligen Stätten dauerte bis in die Neuzeit fort. Sukzessive zog es die europäischen Herrscherhäuser in den Streit hinein: Frankreich und später das wiedervereinigte Italien traten als Schutzmächte der Katholiken auf. Und das zaristische Russland übte für die Rechte der orthodoxen Kirche Druck auf den Sultan des Osmanischen Reiches aus, in dessen Territorium sich das Heilige Land befand.

Der Schutz der Mönche diente als Faustpfand gegen den geschwächten Sultan: Der Streit der europäischen Mächte um die Westgebiete des ehemaligen Weltreichs mündete Mitte des 19. Jahrhunderts in den Krimkrieg. Als Auslöser galt unter anderem eine lateinische Inschrift, die orthodoxe Mönche aus der Geburtsgrotte entwendet hatten.

Erst nach dem Krieg wurden die Rechte der verschiedenen Konfessionen in zwei Edikten, dem «Status Quo», am Hof des Sultans festgehalten und 1878 in den Berliner Verträgen bestätigt. Seither regelt internationales Völkerrecht die Hausordnung einer Kirche.

Mönche kämpfen mit Besenstielen

Diese Hausordnung regelt in Bethlehem das Nebeneinander von Armeniern, Griechen und Franziskanern, von der Route der Prozessionen bis zur Putzordnung der Fenster.

Dass selbst der «Status Quo» nicht jeden Streit vereiteln kann, bezeugt eine Anekdote aus dem Frühjahr 1908: Während eines Schichtwechsels der osmanischen Wache in der Geburtsgrotte stiess ein Soldat versehentlich ein Bibelgemälde der Armenier aus seiner Halterung und das Deckglas zerbrach. Der Offizier der Wache beauftragte einen armenischen Mönch, die Scherben zusammenzuwischen, aber die Griechen und Franziskaner protestierten: die Splitter hätten sich auch über jene Zonen des Grottenbodens ausgebreitet, die den anderen Kirchen unterstanden.

Sogleich standen sich Gruppen von griechischen, armenischen und franziskanischen Mönchen gegenüber, um den «Status Quo» notfalls mit Fäusten zu verteidigen, worauf der Statthalter des Sultans mit seinen Truppen sich zur Deeskalation in die Grotte zwängte. Ihm folgten zum Schutz ihrer Kirchen die Konsule von Frankreich, Griechenland, Italien und Russland.

Während den folgenden neun Monaten verhandelten Kirchen, Statthalter und Konsule vergeblich darum, unter welchen Bedingungen die Armenier ihr Bild ersetzen konnten. Als die alljährliche Weihnachtsprozession in Gefahr zu geraten drohte, setzte der Statthalter des Sultans kurzerhand selbst ein neues Glas ein und hängte das Bild an seinen alten Platz zurück.

So absurd die Geschichte klingt, sie wirkt bis heute nach: Seither hat niemand mehr die zwölf Bilder in der Grotte abgehängt.

Notfalls schreitet die Polizei ein

Bruder Ricardo lächelt schief, als er auf die alte Feindschaft angesprochen wird. «Ja, es ist traurig. Gerade wir Christen sollten der muslimischen Bevölkerung der Stadt eigentlich ein Vorbild an Brüderlichkeit bieten.» Stattdessen gingen noch vor wenigen Jahren die armenischen und griechischen Mönche mit Besenstielen aufeinander los. Sie beschuldigten sich gegenseitig, über ihr festgeschriebenes Territorium hinaus gewischt zu haben. Die palästinensische Polizei musste die Streithähne mit Knüppeln auseinandertreiben.

 

Es war die dringend anstehende Restaurierung, die zum Frieden oder zumindest zu einem Waffenstillstand geführt hat, und die kam erst voran, als der Staat eingriff. Ein von Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas einberufenes Komitee schrieb die Restauration 2009 international aus. Nach dem Beitritt Palästinas zur Unesco liess es die Kirche  2011 sogleich auf die Liste des gefährdeten Weltkulturerbes setzen.

Damit war nicht nur internationale Aufmerksamkeit, sondern auch schon ein Grossteil der Finanzierung bald gesichert. Und das grösste Hindernis zum Einverständnis der drei christlichen Gemeinden aus dem Weg geräumt: Frühere Restaurierungspläne scheiterten, weil sich Armenier, Griechen und Franziskaner über die Aufteilung der Kosten nicht einig werden konnten. Nicht dass die Gemeinschaften argwöhnten, zu viel zahlen zu müssen – vielmehr zu wenig. Sie befürchteten, in der Folge  auf altehergebrachte Ansprüche verzichten zu müssen.

Geduld, Glaube und gesunder Menschenverstand

Giammarco Piacentis Firma wird von oben nach unten restaurieren. Nach dem Dach, den Fenstern und den Wandmosaiken kommen im kommenden Jahr die Säulen aus dem 6. Jahrhundert dran, die gegenwärtig noch in Schaumstoff und weiche Holzlatten eingepackt sind, um von den aktuellen Arbeiten nicht beschädigt zu werden.

Danach folgt der Boden. Piacenti plant, das von Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert gelegte Bodenmosaik wieder freizulegen. Und dann, so Gott will, kommt die Grotte. Für diesen zentralen Ort des Christentums, nicht mehr als 36 Quadratmeter gross, steht die Einigung der drei Kirchen noch aus. «Wir werden weiter miteinander reden müssen», sagt Bruder Ricardos, und seufzt: «Und beten.» 

Immerhin, die bereits erfolgte Arbeit habe die Mönche aller drei Parteien darin bestärkt, dass eine Einigung möglich sei, und man die Gunst der Stunde nutzen müsse, um auch die russgeschwärzte Grotte instand zu setzen. Solange die Restauratoren aus Italien noch da sind. 



epa05078887 Workers clean the ground at the Church of the Nativity where Christians believe Jesus was born, in the West Bank town of Bethlehem, 22 December 2015. The church where Jesus was born, one of the world's oldest, is still undergoing massive reconstruction work, and is covered in white plastic sheets and scaffolding. EPA/ABED AL HASHLAMOUN

Die Gerüste bleiben stehen, aber immerhin wird vor Weihnachten noch der Baustaub ausgefegt. (Bild: Keystone / Abed al Hashlamoun)

«Es braucht Geduld», sagt Bruder Ricardo, und erzählt zum Abschied noch eine Anekdote: Ein armenischer Priester habe nach einer Operation während mehrerer Wochen nur eingeschränkt gehen können und sah sich gezwungen, die tägliche Prozession durch die Geburtskirche abzukürzen – und damit das Wegrecht der Franziskaner zu verletzen. 

«Wir waren einverstanden, aber die griechischen Mönche warnten uns, wir müssten einen Protestbrief ans armenische Patriarchat in Jerusalem schreiben. Also schrieb ich einen Brief, die Griechen waren zufrieden, und ich warf den Brief in den Papierkorb.» Das war vor sechs Monaten.

Ein bisschen Diplomatie und ebenso viel gesunden Menschenverstand brauche es neben dem Glauben, lächelt Bruder Ricardo. «Damit kommt man voran. Vor zehn Jahren hätte es wegen diesem Vorfall gleich einen kleinen Krieg gegeben.»

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