Stell dir vor, es ist Weihnachten und keiner geht hin. Jedenfalls nicht in die Berge. Noch am Mittag durchkreuzt kaum eine Spur die frisch präparierten Pisten auf der Madrisa, jungfräulich funkelt der Schnee.
«Vor 15 Jahren war um diese Zeit jedes Bett belegt», erinnert sich Milan, der uns mit dem Shuttlebus am Bahnhof abgeholt hat. Vor 32 Jahren sei er nach Klosters gekommen, erzählt der Serbe. Auf Skiern ist er noch nie gestanden, dafür kennt er jedes Haus im Dorf. Auf der Fahrt zeigt er auf Hotels, die heute nur noch als Logis für das Dienstpersonal genutzt werden.
Nicht nur deshalb wirkt Klosters – anders als das städtische Davos – auf sympathische Art verschlafen: Der Verkehr braust dank einer Umfahrung seit 2005 am Ort vorbei, die Chalets im dunklen Holz tragen noch (Bündner) Namen, und im Ortskern dominieren familiengeführte Sportgeschäfte und Cafés.
Die Langlaufloipen, die wir am ersten Tag ausgiebig testen, liegen zwar mehrheitlich im Schatten (auch im Schatten der Langlauf-Hochburg Davos), dafür zieht man hier fast ungestört seine Runden.
An Heiligabend hält die Region den Atem an. Kein Gedränge im Bus, kein Anstehen an den Bahnen, und auf den Terrassen der Bergrestaurants findet man zu jeder Zeit einen Platz an der Sonne. Während am Horizont die Berggipfel um die Wette glitzern, lässt zu unseren Füssen der laue Wind feinen Schneestaub schwerelos über dem Boden tänzeln: Für Schneewanderer sind die frisch gewalzten Winterwanderwege ein Genuss, man fühlt sich wie auf einer Tartanbahn.
Zurück ins Tal geht es auf einer der längsten Schlittelpisten der Schweiz: Auf acht Kilometern flitzen wir mit den gemieteten Davosern durch einen schier endlosen Nadelwald hinunter nach Saas, von wo aus uns der Bus – die Landquart mehrmals kreuzend – zurück nach Klosters bringt.
Während im Unterland unter Weihnachtsbäumen die Fetzen fliegen, herrscht in den Bergen die Ruhe vor dem Sturm: Erst nach dem Stephanstag rollt die Blechlawine an. Selbst im benachbarten Davos, wo es fast so viele Uhrengeschäfte wie Bergbahnen gibt, ist man vielerorts fast allein. Zum Beispiel auf der Schatzalp, wo Thomas Mann den tüchtigen Hans Castorp einst für sieben Jahre ins Sanatorium schickte.
Mutig über den Steilhang
Im grossen Saal des Hotels Schatzalp waltet immer noch der Geist der Belle Époque; das künstliche Plateau erreicht man bequem mit der Standseilbahn. Auch auf dem «Zauberberg» herrscht Ruhe statt Rambazamba. Das Einzelticket am Sessellift wird noch von Hand eingerissen, und Schneekanonen gelten hier als Verbrechen wider die Natur. Zufall oder nicht, aber exakt sieben Jahre standen die Nostalgie-Skilifte still, bevor sie dieses Jahr wieder in Betrieb genommen wurden.
An der Bergstation des Sessellifts schnallen wir uns Schneeschuhe an und erreichen nach einer Stunde den Strelapass, ohne an die Grenzen unserer Ausdauer gekommen zu sein.
Beim Abstieg sind wir noch mutiger, nehmen den direktesten Weg über den Steilhang, wo wir in einer Mischung aus Gehen und Rutschen eine frische Spur in den Tiefschnee zeichnen. Selbst die Tochter, die sportlichen Herausforderungen gewöhnlich mit einer gesunden Portion Skepsis begegnet, ist begeistert. In null Komma nichts sind wir zurück bei der Bergstation.
Oben blau, unten weiss, und niemand, der sich einem in den Weg stellt: Besser kann man das Jahr nicht ausklingen lassen.
Langlauf: Das Loipennetz in Davos Klosters umfasst Dutzende Kilometer von Loipen aller Schwierigkeitsgrade.
Zwischenstopp: Eine wunderbare Aussicht und währschafte Speisen gibt es im Restaurant Strela Alp.
Abfahrt: Es gibt verschiedene Schlittelpisten in der Gegend, unsere Langstreckenvariante führt von der Saaseralp, der Bergstation der Madrisabahn, nach Saas hinunter.