Zeitmaschine: Nacktheit vor Gericht

In elf Prozessen erstritt Eduard Fankhauser zu Beginn des 20. Jahrhunderts Toleranz für Schweizer Naturisten.

In elf Prozessen erstritt Eduard Fankhauser zu Beginn des 20. Jahrhunderts Toleranz für Schweizer Naturisten.

Nacktheit wird je nach Zeit und Kultur unterschiedlich beurteilt. In der Schweiz der 1920er-Jahre konnte sie zu einer Vorladung vor Gericht führen. Eduard Fankhauser (1904–1998) musste dies am eigenen Leib erfahren. Dies sollte ihn aber nicht daran hindern, sich unverdrossen für das Recht auf Nacktheit in Bild und freier Natur einzusetzen.

Zwischen 1926 und 1944 kämpfte Fankhauser in elf Prozessen – zum Teil bis vor Bundesgericht – erfolgreich für das Recht auf Nacktheit und Toleranz für die Naturistenbewegung.

Er gründete den Schweizer Lichtbund, die Organisation der Naturisten in der Schweiz, und setzte sich für eine gesunde Lebensführung durch Alkohol- und Tabakabstinenz, Vegetarismus, die Pflege des Geistes und den Gesundheitssport ein.

Fankhauser geriet ins Visier der Gerichte, weil er im Schaufenster seiner Berner Buchhandlung Hefte mit nackten Menschen zum Verkauf anbot. In der Folge wurde er in einem Schreiben vom 24. März 1926 aufgefordert, «unter Androhung der gesetzlichen Folgen im Falle des Ausbleibens» am 30. März 1926 «um 91⁄2 Uhr in das Amtshaus Bern, II. Stock, Zimmer 52» zu kommen, «um amtlich verhört und eventuell beurteilt zu werden wegen Widerhandlung gegen das Gesetz über das Lichtspielwesen und Massnahmen gegen die Schundliteratur».

Den anschliessenden Prozess und seine Verteidigung hat Fankhauser in der Schrift «Nacktheit vor Gericht» eingehend dokumentiert und beschrieben.

Als Illustration dienen ihm Nacktbilder unterschiedlichster Art. Da werden Gymnastikübungen und Spiele unter freiem Himmel gezeigt, auch «Basler Freunde im Gelände» oder ein Sonnenuntergang auf der «Insel der Nackten», sportliche Actionbilder mit entblössten Skifahrern und so weiter.

Freispruch für die Freizügigkeit

Der Ernährungswissenschaftler und Erfinder des Birchermüeslis, Dr. Max Bircher, half dem Angeklagten mit seiner Stellungnahme zur Freikürperkultur. Bircher betonte, dass es für die Gesundheit wichtig sei, dass auch beim Menschen die Geschlechtsteile regelmässig der direkten Einwirkung von Luft und Sonnenlicht ausgesetzt würden.

Fankhauser wurde schliesslich freigesprochen. Der Richter begründete seinen Entscheid unter anderem folgendermassen:

«Die Darstellung nackter menschlicher Körper ist an und für sich nicht unsittlich oder objektiv anstössig… Die Erfahrung lehrt, dass ein mehr oder weniger geschicktes Verhüllen des Körpers

unter Umständen die Phantasie, namentlich der Jugend, in einer Weise anzuregen geeignet ist, wie es bei einer völligen Entblössung nicht der Fall wäre … Es kann nicht angenommen werden, dass ein normal empfindender Durchschnittsmensch unseres modernen Zeitalters durch diese Bilder in seiner Sittlichkeit gefährdet oder in seinem Schamgefühl verletzt werde …»

Ob die Naturisten gut daran taten, für ihre Sache die Fotografie einzusetzen, liess der vergleichsweise liberale Richter offen: «Ob es geschmackvoll ist, wenn Frauenspersonen sich unbekleidet mit allen Geschlechtsmerkmalen photographieren lassen und diese Aufnahmen veröffentlich lassen, um der Ausbreitung ihrer Ansichten zu dienen, ist eine Frage, welche hier nicht zu entscheiden ist.»

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