«Zivilcourage» lässt sich jetzt üben – im Museum

Das Historische Museum Basel widmet seine neueste Ausstellung der «Zivilcourage». Hier können sich die Besucherinnen und Besucher einem Realitycheck unterziehen: Wie couragiert sind Sie, wenn es drauf ankommt? Die Ausstellung überzeugt durch High-Tech-Vermittlungstechnik – und wäre auch im öffentlichen Raum gut aufgehoben.

Anhand interaktiver Videostationen lässt sich in verschiedenen Situationen die eigene Zivilcourage auf die Probe stellen.

(Bild: Jonas Grieder)

Das Historische Museum Basel widmet seine neueste Ausstellung der «Zivilcourage». Hier können sich die Besucherinnen und Besucher einem Realitycheck unterziehen: Wie couragiert sind Sie, wenn es drauf ankommt? Die Ausstellung überzeugt durch High-Tech-Vermittlungstechnik – und wäre auch im öffentlichen Raum gut aufgehoben.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen spätabends in der Bahn. An der nächsten Station steigen zwei angetrunkene Nachtschwärmer ein und fangen unmittelbar damit an, einen dunkelhäutigen Passagier anzupöbeln, der unweit von Ihnen alleine dasitzt. Die Stimmung ist aggressiv, aus den Sprüchen werden Schubser an die Schulter, an die Brust. Sie aber müssen aussteigen, da ist Ihre Station, schon öffnen sich die Türen. Aus dem Augenwinkel sehen Sie, wie einer der beiden Aggressoren zum Schlag ansetzt…

Was unternehmen Sie? Und wenn Sie nichts tun, wer dann?

«Zivilcourage» heisst eine Ausstellung im Museum für Geschichte (im Historisches Museum Basel), welche die Besucherinnen und Besucher mit genau dieser Frage konfrontiert. Wobei «konfrontiert» durchaus bedeutet, dass sich die Besuchenden Situationen ausgesetzt sehen, die ein Höchstmass an Spontaneität und beherztem Handeln verlangen. Zivilcourage eben.

Jetzt oder zu spät

Dies geschieht über ein interaktives Schattenspiel, bei dem ein Bewegungssensor den Betrachter in die Szenerie mit einbezieht. Sieben Konfliktsituationen sind auf diese Art «erlebbar»: Pöbeleien an der Bushaltestelle, ein Fahrradunfall oder rassistisches Gebaren im Park. Während die Szene ihren Lauf nimmt, ist der Betrachter aufgefordert, schnell und unmittelbar zwischen mehreren Handlungsmöglichkeiten zu wählen: eingreifen, beobachten, Hilfe rufen?

Das Verhalten des Beobachtenden beeinflusst direkt den Verlauf der Situation. Damit schafft es das Spiel, den entscheidenden Faktor für couragiertes Verhalten zu simulieren: Unmittelbarkeit. Der Ausstellung gelingt es auf diesem Weg, einen flüchtigen Impuls museumstauglich zu machen, der sich unmöglich in eine Vitrine sperren liesse. Spontanes Handeln bleibt damit kein reines Gedankenspiel, sondern wird zum Erlebnis.

Ungewöhnliche Kooperation

Die Ausstellung «Zivilcourage» ist ein gemeinsames Projekt der Kantons- und Stadtentwicklung Basel, der Prävention der Kantonspolizei Basel-Stadt und des Historischen Museums Basel (HMB).

Die ungewöhnliche Zusammenarbeit basiert auf der Initiative der beiden Departmentsvertreter, die in den vergangenen Jahren mit Kampagnen zum Thema ziviles Engagement und Selbstverantwortung in einen Dialog mit der Öffentlichkeit getreten waren: Die Polizei Basel-Stadt mit ihrer «Aktion Zivilcourage: Kneifen gilt nicht» (2014) und die Kantons- und Stadtentwicklung mit ihrem «Konzept öffentlicher Raum», das im Herbst 2012 für Diskussionen sorgte.

Das Spiel ist ein Projekt der Stadt Zürich Kultur und war bereits im Stadthaus Zürich zu sehen. Gudrun Piller, stellvertretende Direktorin des HMB und Leiterin des aktuellen Projekts in Basel, erklärt an der Medienorientierung, welche Bedeutung der Ausstellung aus Sicht des Museums zukommt:

 

Wie verhält sich der Einzelne in der Gesellschaft, wenn Unrecht geschieht? Die Frage ist historisch relevant wie brandaktuell. Konkret auch in der Region Basel. Thomas Kessler, Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung, spricht in Bezug auf die zivile Hilfsbereitschaft von einer «kulturellen Hürde», die täglich festzustellen sei. «Die alemannische Individualkultur definiert sich über Diskretion und Sozialabstand», sagt Kessler. Zu viel Nähe werde schnell als unhöflich empfunden.

Geschichten teilen

Der Ausstellung beigestellt ist der interaktive Blog «Geschichten teilen». Hier können persönliche Erfahrungen mit Situationen geschildert werden, in denen Zivilcourage angewandt oder unterlassen wurde. Der Blog ist der Öffentlichkeit zugänglich, Beiträge werden als Video-, Audio- oder Textdateien gesammelt.

Das soll aber nicht heissen, dass spontane Fremdenhilfe hier ein Fremdwort sei, aber man helfe eben in Massen.

Kessler referierte des Weiteren über die Vereinzelung in der Gesellschaft, die zu einer sinkenden Empathie gegenüber Mitmenschen führe. Dennoch entscheide die Zivilgesellschaft selbstverantwortlich, wie die Lebensqualität in ihrer Mitte sei – Selbstverantwortung, die nicht wahrgenommen werde, werde automatisch an den Staat delegiert. Also an die Polizei und die Sicherheitsdienste.

Ein Wermutstropfen zum Schluss

Von diesem theoretischen Hintergrund, der die Ausstellung aus Sicht des Kantons legitimiert, ist im Museum selbst wenig zu sehen. Eine Broschüre informiert über Strategien im Notfall und erläutert Situationen, in denen Zivilcourage angebracht sei.

Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich um der Sache und der innovativen Vermittlungstechnik willen. Der einzige Wermutstropfen des Projekts ist seine Situierung im Kellergebäude eines Museums. Eine Ausstellung wie diese hätte es trotz der heiklen technischen Umstände verdient, an einem frei zugänglichen Ort erlebbar zu sein. Denn Zivilcourage sollte keinen Eintritt kosten. Sie sollte belohnt werden.

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Vernissage zur Ausstellung, Donnerstag, 10. September, 18 Uhr. Die Ausstellung dauert bis zum 31. Januar 2016.

Lesen Sie auch im «Beobachter» das Interview zur Ausstellung mit Stefan Gasser, Dienstleiter Prävention bei der Kantonspolizei Basel-Stadt, und Thomas Kessler, Leiter Kantons- und Stadtentwicklung im Präsidialdepartement Basel-Stadt: «Wegsehen ist bünzlig und feige».

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