Zürcher Migrationsamt verzichtet auf Strafanzeigen gegen anerkannte Sans-Papiers

In Basel haben Sans-Papiers, deren Aufenthalt in der Schweiz legalisiert worden ist, eine Strafanzeige am Hals. Dahinter steckt ein nicht zu lösender Rechtskonflikt. Die Kantone werden mit dem Problem allein gelassen, auch der Bund schafft keine Klärung.

Die Basler Justizbehörden halten dogmatisch an ihrer Pflicht fest, Anzeige erstatten zu müssen.

In Basel haben Sans-Papiers, deren Aufenthalt in der Schweiz legalisiert worden ist, eine Strafanzeige am Hals. Dahinter steckt ein nicht zu lösender Rechtskonflikt. Die Kantone werden mit dem Problem allein gelassen, auch der Bund schafft keine Klärung.

Gross war die Erleichterung, als die Sans-Papiers in Basel erfuhren, dass ihre Härtefallgesuche positiv beantwortet wurden und sie sich nun legal in Basel aufhalten und hier arbeiten dürfen. Doch die Geschichte hat einen Haken: Das Migrationsamt, das den Aufenthaltsstatus legalisieren musste, schickte den Betroffenen eine Strafanzeige nach. Dies, weil sie mit ihrem illegalen Aufenthalt und ihrer unbewilligten Arbeitstätigkeit gegen Strafbestimmungen im Ausländergesetz verstossen haben.

Es kommt also zur paradoxen Situation, dass sich die Betroffenen durch dieselben Umstände, die zum Zugeständnis eines Härtefalls führten, strafbar gemacht haben. Eine Hausangestellte erhielt bereits eine bedingte Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 30 Franken. Zusätzlich muss sie eine Busse von 900 Franken bezahlen sowie für die Verfahrenskosten aufkommen.

Dazu kommt, dass im Prinzip auch die Arbeitgeber der Sans-Papiers mit einer Strafanzeige rechnen müssen.

Ein Offizialdelikt

Im Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) stellt man sich auf den Standpunkt, dass das Migrationsamt nicht um eine Anzeige herumkommt, weil es sich um Offizialdelikte handelt. Das bestätigt im Grundsatz auch der Zürcher Anwalt Marc Spescha, der als versierter und engagierter Spezialist für Migrationsrecht gilt: «Es ist tatsächlich eine paradoxe oder gar schizophrene Situation, dass dieselben Behörden, welche die Härtefälle bewilligen, verpflichtet sind, Anzeige zu erstatten.»

In diesem rechtlichen Dilemma bewegen sich nicht nur die Basler Behörden. Der Zürcher Regierungsrat bestätigt die Basler Linie in der Antwort auf eine entsprechende Interpellation: Es handle sich um Offizialdelikte, «die von Amtes wegen zu verfolgen sind». Allerdings weist die Regierung gleichzeitig darauf hin, dass es im Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft und der Gerichte liege, allenfalls Schuldausschluss-, Strafbefreiungs- oder Strafaufhebungsgründe geltend zu machen.

Zürcher Migrationsamt verzichtet auf Anzeigen

Offensichtlich hat aber auch das Migrationsamt einen gewissen Ermessensspielraum. Gemäss Speschas Erfahrung sieht das sonst eher rigide Migrationsamt im Kanton Zürich im Falle regularisierter Sans-Papiers normalerweise von Anzeigen ab. Für Spescha lassen sich hierfür Opportunitätsgründe geltend machen, weil der Staat letztlich kein Interesse daran haben kann, dass der langjährige Aufenthalt unbescholtener Menschen in der Schweiz nicht ordentlich geregelt wird. «Gegenüber regularisierten Sans-Papiers erscheint das Strafbedürfnis vielfach so stark reduziert, dass der Verzicht auf eine Bestrafung gerechtfertigt ist.»

Basler SP «empört»

Davon will man in Basel bislang nichts wissen. In einer Stellungnahme zeigt sich die SP Basel-Stadt entsprechend «empört» über das Vorgehen des Migrationsamtes. Die Partei hatte in einem Vorstoss angeregt, dass Basel das Genfer Modell einer erleichterten Aufnahme von Sans-Papiers übernehmen sollte. Sie macht den Regierungsrat «mit Nachdruck» darauf aufmerksam, dass das Genfer Modell auch einen mit dem Staatssekretariat für Migration abgesprochenen Verzicht auf Strafverfolgung enthalte.

Ob diese Aussage der SP der Wahrheit entspricht, konnte die TagesWoche nicht in Erfahrung bringen. Eine Anfrage bei der Genfer Justizdirektion blieb bis zur Veröffentlichung dieses Textes unbeantwortet.

In der erwähnten Zürcher Interpellationsantwort ist aber ein Widerspruch zur Aussage der Basler SP herauszulesen: Die Opération Papyrus weise keine besonderen Regelungen mit Bezug auf das Strafrecht auf, schreibt die Zürcher Regierung und weist darauf hin: «In der bereits genannten Stellungnahme hält das EJPD sogar ausdrücklich fest, dass die kantonalen Behörden gehalten sind, für die Anwendung der geltenden Strafbestimmungen betreffend illegalen Aufenthalt bzw. illegale Erwerbstätigkeit zu sorgen.»

Der Bund hält sich raus

Beim Bund will man sich letztlich nicht in die Strafprozesshoheit der Kantone einmischen und das Prinzip der Gewaltenteilung respektieren. Entsprechend gebe es keine Empfehlung des Bundes, teilt Lukas Rieder, Mediensprecher des Staatssekretariats für Migration, auf Anfrage mit. Es handle sich um einen klassischen Zielkonflikt zweier Rechtsgebiete, und da es keine Hierarchie der Rechtsgebiete gebe, könne dieser auch nicht aufgelöst werden.

Eine Möglichkeit wäre die Amnestie im Fall einer Anerkennung der Sans-Papiers. Davon will der Bund nichts wissen, Rieder sagt bloss, «dass ein illegaler Aufenthalt nicht dazu führen kann, dass ein Härtefallgesuch abgelehnt wird». 

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